1. Galloitalisches Sizilien im Überblick
Die normannischen Eroberungskriege führten zu einem tiefgreifenden demographischen Wandel Siziliens, denn im Gefolge ergab sich eine massive Einwanderung norditalienischer Siedler, deren Sprache meist als galloitalisch (galloitalico) bezeichnet und so in der italienischen Forschung vom ‘Galloromanischen’ aus dem Gebiet des heutigen Frankreich unterschieden wird:
La guerra normanna di conquista della Sicilia, durata un trentennio (1061: presa di Messina, 1072: caduta di Palermo, 1091: caduta di Butera, Noto e Malta), aveva creato notevoli vuoti demografici. L'elemento arabo, però, restava numeroso, forte e sempre pronto a riprendere le armi. La politica matrimoniale degli Altavilla, imparentatisi più volte con gli Aleramici del Monferrato - Ruggero aveva sposato nel 1087 in terze nozze Adelasia del Monferrato e il fratello di lei, Enrico, aveva sposato Flandina, figlia di Ruggero -, e la necessità di poter contare su popolazioni fedeli nella lotta contro gli arabi, sono i presupposti per l’emigrazione di popolazioni italiane settentrionali verso la Sicilia. Ad Enrico viene concesso un feudo assai esteso e ricco che si estende da Paternò, nella Sicilia orientale, fino a Butera, e che include le terre di Piazza Armerina e di Mazzarino. La disponibilità di terre così vaste da ripopolare o da rimpinguare demograficamente e la necessità del controllo del territorio, creano un flusso migratorio potente dalla Liguria e dal Piemonte meridionale. Tale flusso, favorito da un diffuso disagio sociale nell’entroterra ligure e nella Cispadana (Petracco Sicardi 1965: 129-130), viene incoraggiato dagli Aleramici (Pfister 1988: 34-37 e 1994: 27-29) e da religiosi dell’isola (Peri 1959: 274), pronti a concedere agli immigrati importanti franchige e privilegi (Peri 1978: 97, Pfister 1988: 34-37). (Trovato 2013, 280)
Um die historische Sprachsituation richtig zu verstehen, ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die galloitalischen Varietäten niemals isoliert, sondern stets im Kontakt mit genuin sizilianischen Varietäten standen:
Le popolazioni italiane settentrionali immigrate [...] si sono sempre insediate in località abitate da siciliani e non hanno mai fondato (o rifondato) città nuove o comunque disabitate. Fin dall’inizio, perciò, lo scontro tra due realtà linguistiche diverse, il siciliano e il galloitalico, fu inevitabile. (Trovato 2013, 285)
Die Orte mit norditalienischen Einwanderern werden mit einem etwas irreführenden Ausdruck auch als ‘Lombardia siciliana’ bezeichnet. Genauer gesagt lassen sich zwei Gruppen unterscheiden (vgl. Trovato 2013, 277 und Foti 2015, I, Anm. 1)
14 Zentren mit galloitalischen Varietäten | |||
Provinz | Gemeinde | Provinz | Gemeinde |
Messina | San Fratello | Catania | Randazzo |
Acquedolci | Enna | Nicosia | |
San Piero Patti | Sperlinga | ||
Montalbano Elicona | Piazza Armerina | ||
Novara di Sicilia | Aidone | ||
Fondachelli-Fantina | |||
Siracusa | Ferla | ||
Buccheri | |||
Càssaro |
10 Orte mit mehr oder weniger zahlreichen galloitalischen Varianten im lokalen Sizilianischen | |||
Provinz | Gemeinde | Provinz | Gemeinde |
Messina | Roccella Valdemone | Catania | Bronte |
Santa Domenica Vittoria | Maletto | ||
Francavilla | Caltagirone | ||
Enna | Valguarnera Caropepe | Mirabella Imbaccari | |
Palermo | Corleone | San Michele di Ganzaria | |
Piedimonte Etneo | |||
Linguaglossa |
In anderen Orten scheint ehemals eine galloitalitalische Komponente vorhanden gewesen zu sein. Die folgende Karte gibt einen Überblick:
Karte 1 - Lombardia siciliana
∎ galloitalische Varietät (● AIS-Ort)
∎ sizilianische Varietät mit norditalienischen Varianten (● AIS-Ort)
∎untergegangene galloitalische Varietät oder verschwundene norditalienische Varianten1
∎ Zentrum der Grafschaft Monferrato
Es liegt nahe, hinter der Topographie der Ansiedlung einen strategischen Plan zu vermuten, einerseits "lo scopo di tagliare in due le comunità arabe della Sicilia sudorientale da quelle della Sicilia occidentale e impedir loro di congiungere le forze (Varvaro 1981, 186)" (Trovato 2013, 276), andererseits liegen die Orte wie ein Ring um Catania2.
2. Ein Laboratorium für den historischen Varietätenkontakt
Die unterschiedlich guten Erhaltungs- oder: Erosionsstufen des Galloitalischen bieten sehr gute Voraussetzungen für die Untersuchung des historischen Varietätenkontakts; es lässt sich gewissermaßen beobachten, wie sich das System alter Migrationsvarietäten in der Umgebung (nicht sehr eng) verwandter Varietäten auflöst und mit welchen gesellschaftlichen Parametern diese Prozesse korreliert sind. Eine breit angelegte vergleichende Untersuchung fehlt leider; sie könnte im Übrigen noch andere galloitalische Sprachinseln in Süditalien berücksichtigen, die im AIS ebenfalls erfasst wurden:
Karte 3: Im AIS erfasste norditaloromanische Sprachinseln in Süditalien
∎ galloitalisch | ∎ okzitanisch | ∎ frankoprovenzalisch
Durchweg markant ist die phonetische Sonderstellung der galloitalischen Orte in ihrem jeweiligen Umfeld. Sie zeigt sich schön im silbenstrukturellen Unterschied zwischen norditalienischen Dialekten einerseits und mittel- und süditalienischen Dialekten andererseits. Da im Norden unbetonte, insbesondere auch auslautende Vokale (mit Ausnahme von -a) weithin systematisch weggefallen sind und zudem intervokalische Konsonanten oft geschwunden sind, haben sich regelhaft zahlreiche einsilbige Wörter und Wörter mit komplexen Silben (K(K)V(K)K) ergeben, wogegen im Süden generell eher KVKV -Strukturen dominieren. So zeigen fast alle galloitalischen Orte in Sizilien, Kalabrien und Apulien - und nur diese - einsilbige Varianten, [pã], [paŋ] ‘pane’, anstatt der zweisilbigen Varianten [panə/pani] (vgl. AIS 985):
Karte 4: Einsilbige Kognaten von lat. pane(m) ‘Brot’ in galloitalischen Orten Süditaliens
2.1. Die aktuelle Situation aus soziolinguistischer Sicht: drei Szenarien
Es wäre wohl abwegig, die galloitalischen Orte als ethnische Minderheit zu klassifizieren, denn es handelt sich um eine
comunità interamente assimilate alla circostante sicilianità nella strutturazione dei rapporti sociali, nella cultura, nelle «condizioni di vita e nell’habitat» (Cardona [...]). (Orioles 1999, 214)
Mit der Assimilation an die "circostante sicilianità" ist gemeint, dass sich die galloitalischen Orte nicht durch eine eigenständige Kultur auszeichnen; es heißt aber nicht, dass die historische Richtung der Assimilation, besser: Akkulturation, ausschließlich in der Übernahme autochthoner sizilianischer Kulturtechniken und Gebräuche seitens der galloitalischen Einwanderer bestanden hätte. Denn es gibt durchaus Indizien für die umgekehrte Richtung, also für die Übernahme importierter, galloromanischer Techniken durch die Sizilianer. Ein bemerkenswertes Beispiel liefert die Bezeichnung des Konzepts KÄSE. Wie AIS, Karte 1217 zeigt (🔗), sagt man dafür in Sizilien fast überall tumazzu, ein Diminutiv der Grundform tuma, die ebenfalls belegt ist, und zwar bezeichnenderweise im galloitalischen Fondachelli-Fantina; das Wort wurde ohne Zweifel von den Einwanderern aus Nordwestitalien mitgebracht, wie die piemontesischen, okzitanischen und ligurischen Formen in AIS 1217 eindeutig belegen (vgl. fra. tomme). Die Verbreitung des Worten in ganz Sizilien hängt gewiss mit der Verbreitung spezifischer Herstellungstechniken zusammen, mit denen das Wort assoziiert war (vgl. Krefeld 2018p). Es ist im Übrigen zu überlegen, ob nicht auch siz. furmaggio ein galloitalischer Import ist.
Ebenso wenig wie eine ethnische bilden die galloitalici eine offiziell anerkannte Minderheit im Sinne des nationalen italienischen Sprachenrechts (Legge 442/1999); aber immerhin sind sie auf regionaler Ebene in den Registro delle Eredità immateriali della Sicilia eingetragen (🔗). Ein starker sozialer Zusammenhalt bestimmter Sprechergruppen - wenn auch nicht unbedingt der ganzen Sprachgruppe - steht jedoch außer Frage. Allerdings ist es nicht leicht sich einen aktuellen Überblick über die sprachliche Situation des Galloitalischen zu verschaffen. Zwar lässt sich grundsätzlich sagen, dass es sich um informelle Varietäten handelt, die eher von vertrauten Gesprächspartnern in informellen Situationen gebraucht werden. Die Vitalität ist jedoch durchaus unterschiedlich:
Riguardo ai tipi di utenza, la condizione generale, è l’uso del galloitalico nell’ambito familiare e nei rapporti abituali all’interno della comunità, pur con condizioni differenziate tra centri con buona conservazione (Nicosia, Sperlinga, S. Fratello e Novara, almeno fino agli anni 60, dal momento che oggi qui il gallotalico è soggetto a crisi perchè poco usato dagli uomini), e centri con restrizioni d’uso all’interno di piccoli gruppi o con regressione in zone periferiche e in quartieri „antichi“, come nel caso del piazzese, nonché in ambiti limitati (ad. es. ad Aidone in campagna e sul posto di lavoro). (Mocciaro 1999, 194)
Wenn Sprecher das Galloitalische nicht benutzen oder gar aufgeben geschieht dies im Allgemein eher zu Gunsten des lokalen Sizilianischen und nicht des Italienischen:
tutti i fattori socioculturali [...] favoriscono, infatti, prima il siciliano e solo al livello alto l’italiano; questo è veicolato, oltre che da fatti culturali e politici, da forme della vita moderna (commercio, alcune forme di artigianato e dell'industria, mass-media), dai contatti con l'esterno, nonché, almeno per il passato, dagli effetti dell'emigrazione di ritorno, più marcati per quanto riguardava i bambini. (Mocciaro 1999, 197) (Mocciaro 1999, 197)
Aber mit Fremden wurde spontan eher das Sizilianische als das Italienische benutzt, ebenso in „in contesti più o meno ufficiali, come in occasione delle serenate alla ragazza, o nel chiedere in sposa una donna“ (Mocciaro 1999, 197, Anm. 24).
Eine genaue soziolinguistische Bestandsaufnahme ist also erforderlich. Antonia G. Mocciaro 1999, 207 hat die Faktoren herausgearbeitet, die bei einer vergleichenden Typisierung berücksichtigt werden sollten; sie sind über Sizilien hinaus grundsätzlich relevant für die Beschreibung von Szenarien prekärer sprachlicher Vitalität:
a) correlazioni tra atteggiamenti autovalutativi e comportamento linguistico nei riguardi della parlata tradizionale;
b) [...] l'interdipendenza tra processi socioeconomici e mutamenti linguistici [...] (contatti con l'esterno e pendolarismo, migrazioni temporanee, ecc.);
c) verifica delle condizioni di bilinguismo (con situazioni di instabilità quando è all'interno della comunità stessa) in relazione als fattore ‘interlocutore’ [...];
d) [...] la variabile sesso, ruolo delle donne nei riguardi della conservazione della tradizione linguistica, nonché dell'influenza della madre nella educazione linguistica dei figli;
e) comportamento della classe colta e recupero consapevole del galloitalico;
f) esame della varietà locale di siciliano attraverso la scelta di indicatori linguistici come forme ‘miste’ e ibridismi. (Mocciaro 1999, 207)
Die Ausprägung dieser Parameter ist durchaus nicht vorhersehbar, sondern kann sehr stark divergieren. So spricht Orioles im Hinblick auf den in der Dialektologie und Variationslinguistik immer wieder thematisierten Parameter d) vom:
diverso comportamento comunicativo della donna, ora conservatrice come a Novara di Sicilia, ora proiettata verso l’innovazione come a Nicosia [...] (Orioles 1999, 213)
Antonia Mocciaro 1999, 200 hat diesen Aspekt exemplarisch, an konkreten Merkmalen spezifiziert. Sie konnte beobachten, dass zwei typisch galloitalische Merkmale, die in Sperlinga unmarkiert sind, in Nicosia nur noch von älteren Frauen3 in einem speziellem Stadtviertel realisiert werden:
- Velarisierung von finalem [-n] > [-ŋ], z.B. [paŋ] ‘pane’, [domaŋ] ‘domani’;
- Endvokale [-ə], [-ø].
Ein ähnliches Beispiel aus Novara di Sicilia zeigt die variationslinguistische Komplexität, denn während sich die geschlechtsspezifische (diasexuelle) Markierung verloren hat, konnte sich die Variante als freies Allophon verallgemeinern (Daten aus Mocciaro 1999, 200; Schema von Th.K.):
Männer | Frauen | |
1970 | [an] santo, stanza, lampo | [ɛ̃n] [ˡs:ɛ̃ntu], [ˡstɛ̃nʣa], [ˡlɛ̃mpu] |
1999 | individuelles Schwanken [an]/[ɛ̃n] |
Auch der Parameter e), die Loyalität der gesellschaftlichen Oberschicht zum Galloitalienischen, ist differenziert zu betrachten; denn in manchen Orten (Aidone und San Fratello) konnte eine „[r]ivalutazione del dialetto galloitalico presso le classi alte" (Mocciaro 1999, 200) verzeichnet werden, die sich nicht zuletzt im aktiven Gebrauch des galloitalico bei Studenten und beruflich gut qualifizierten Sprecher*innen ("diplomati") zeigt.
Wo das Galloitalische dagegen in der jüngeren Generation stark zurückgeht, erweist sich - wie auch in vergleichbaren anderen Gebieten - die scherzhafte Verwendung als letzte Nische (vgl. Mocciaro 1999, 194).
Die soziolinguistische Situation der galloitalischen Varietäten (Symbole ∎, ● auf Karte 1) ist also durchaus unterschiedlich; in einer recht aktuellen Synthese unterscheidet Salvatore Trovato 2013, 280 f. grosso modo drei Szenarien, die jedoch im Detail spezifiziert werden müssten4.
Szenario (1): In drei Orten (San Fratello, Nicosia, Sperlinga) ist das Galloitalische stabil ("gode ancora di buona salute"; Trovato 2013, 280) und wird neben einer lokalen sizilianischen Varietät gebraucht, "ma in situazioni diafasiche diverse" (Trovato 2013, 280 f.). Es gibt also gewissermaßen einen dialektalen Bilinguismus, unter dem Dach des Regionalitalienischen.
Szenario (2): In einigen anderen Orten (Piazza Armerina, Aidone) ist eine vergleichbare Konstellation noch rudimentär vorhanden, aber der Verwendungsbereich des Galloitalischen ist mittlerweile stark eingeschränkt auf eine "funzione ludica e poetica e sempre meno [...] comunicativa" (Trovato 2013, 281).
Es liegt so eine sehr spezielle Situation von Mehrsprachigkeit vor, die in der bekannten Typik diglossieartiger Konstellationen von Berruto 1987b nicht erfasst wird (🔗). Sie zeichnet sich durch das Nebeneinander von zwei lokalen Dialekten im informellen Bereich aus, die jedoch mit unterschiedlichem Prestige versehen sind. Auf der Grundlage von Tropea 1974, 383 und Mocciaro 1999, 200 lässt sich das folgende Schema ableiten:
formell: | schriftlich | Standarditalienisch | |
mündlich | Lokales Italienisch | ||
informell: | soziales Prestige + | Dialekt 2: Sizilianisch | |
soziales Prestige - | Dialekt 1: Galloitalisch | ||
bidialektale 'Diglossie' |
Szenario (3): In den restlichen Orten (San Piero Patti, Montalbano Elicona, Novara, Fondachelli-Fantina, Randazzo, Ferla) gibt es keinen dialektalen Bilinguismus, aber doch ein Bewusstsein "della diversità del dialetto che vi si parla" (Trovato 2013, 281).
Die folgende Karte zeigt die drei Konstellationen:
Karte 2: Soziolinguistische Konstellationen des Galloitalischen
Legende:
∎Szenario (1): stabiler dialektaler Bilinguismus Galloitalisch | Sizilianisch
● Szenario (2): dialektaler Bilinguismus mit stark eingeschränktem Verwendungsbereich
▲ Szenario (3): kein dialektaler Bilinguismus; Bewusstsein dialektaler Besonderheit
2.1.1. Szenario 1
2.1.1.1. San Fratello (= AIS 817):
In diesem Ort (vgl. dazu jetzt Foti 2015) zeichnet sich das Galloitalische durch „una gagliarda vitalità e una granitica compatezza“ (Tropea zitiert in Trovato 1989, 362) aus. Trovato weist im selben Zusammenhang auf die „spiccata endogamia“ und den „spiccato orgoglio dei Sanfratellini“ (vgl. Tropea 1974) hin und betont
la quasi ermetica chiusura dei Sanfratellini nei confronti dei Siciliani dell’area circostante chiamati spregiativamente ʂʈɽakkwei o marräni. (Trovato 1989, 362)
Im Wesentlichen wurden die Ergebnisss der bereits etwas älteren Fallstudie von Giovanni Tropea 1974 bestätigt.
2.1.1.2. Nicosia
In diesem Ort gelten ähnliche Verhältnisse wie in San Fratello:
Di buona salute gode pure il dialetto galloitalico di Nicosia. Esso viene parlato da tutti gli strati sociali [...] gode di un relativo prestigio al punto che anche le classi sociali piú elevate, che pure indolgono (soprattutto le donne) al siciliano del posto e all’italiano, lo parlano con disinvoltura e spesso anche con orgoglio. (Trovato 1989, 363)
Alklerdings notierte Trovato in derselben Arbeit bereits den „inizio di un malessere“ (Trovato 1989, 364), denn die jüngere Generation geht zum Italienischen oder auch zum Sizilianischen über:
[I] ragazzi delle nuove generazioni, soprattutto in ambiente piccolo-borghese, sono stati abituati fin dall’infanzia all’italiano da genitori che tra di loro parlano per lo più il siciliano del posto. Diventati grandi, al di fuori dell‘ambiente familiare, questi ragazzi passano per lo più dall’italiano, come lingua abituale, al siciliano del posto, ma non al galloitalico. (Trovato 1989, 364)
2.1.1.3. Sperlinga (= AIS 836)
Dieser kleine Zentrum steht sprachlich dem zuvor genannten Nicosia sehr nahe; in soziolinguistischer Hinsicht scheint das Galloitalische aber im Jahre 1989 noch fester verankert gewesen zu sein:
[...] il galloitalico tradizionale molto simile al nicosiano, del quale può considerarsi la variante rustica ma non quella arcaica, è parlato da tutti gli strati della popolazione in qualsiasi contesto e situatzione, mentre il siciliano del posto, anche questo fortemente e pesantemente condizionato dal galloitalico, è usato solo nei rapporti coi forestieri e con qualche difficoltà da parte dei Sperlinghesi. (Trovato 1989, 364)
2.1.2. Szenario 2
2.1.2.1. Piazza Armerina
Ganz anders präsentierte sich im Jahre 1989 die Situation in diesem großen und wirtschaftlich wichtigen Ort:
In rapido declino e in via di sparizione è il galloitalico di Piazza Armerina [...] piccoli gruppi di contadini e pastori i quali solitamente evitano di usarlo quando si recano in paese [...] viene parlato come codice misto col siciliano del posto. Quest’ultimo è fortemente influenzato [...] dall’antico dialetto galloitalico. (Trovato 1989, 364)
Aber dennoch konnten zwei, wenn man so will, sprachökologische Nischen beobachtet werden, in denen sich das Galloitalische gut behauptete:
[...] come lingua della poesia vernacolare e, in particolar modo dalle nuove generazioni, in funzione ludica: chi vuole far dello spirito, soprattutto tra gli studenti della città, parla o tenta di parlare il dialetto galloitalico tradizionale. (Trovato 1989, 364)
2.1.2.2. Aidone (= AIS 865)
In diesem kleinen Zentrum ist das Galloitalische nurmehr Sprache weniger Familien und wird allenfalls noch wenig bei der Landarbeit gesprochen. In der örtlichen Öffentlichkeit wird es als stigmatisierend empfunden; es herrscht ein „attegiamento di ostilità contro il ‹vernacolo›“ (Mocciaro 1999, 197, Anm. 25). In vergleichender Perspektive wurde der Ort von Antonia Mocciaro wie folgt charakterisiert:
La situazione di bilinguismo dialettale dei sei centri è strettamente correlata con atteggiamenti autovalutativi nei confronti della parlata tradizionale: all’orgoglio per la propria parlata, a S. Fratello, e al prestigio ad essa attribuito a Nicosia, si oppone, ad es. una valutazione decisamente negativa ad Aidone, dove l’uso del „vernacolo“ è osteggiato nei bambini e giudicato 'rozzo' e 'anacronistico'. (Mocciaro 1999, 194)
2.1.3. Szenario 3
2.1.3.1. Novara (= AIS 818 [Fantina]):
Dieser Ort ist relativ schlecht erforscht; das Galloitalische scheint sich hier zu einer verhältnismäßig gut erhaltenen, häuslichen Sprache der Frauen entwickelt zu haben „che conducono ancora una vita legata all’ambiente domestico“ (Trovato 1989, 363).
2.2. Merkmale des Galloitalischen in Sizilien
Auffällig ist zunächst die unterschiedliche Widerstandsfähigkeit (‘Resilienz’) der sprachlichen Teilsysteme; als besonders robust erweist sich die Phonetik, speziell der Vokalismus. Während der sizilianische Haupttonvokalismus nur fünf Vokale kenne (/i/, /e/, /a/, /o/, /u/) , haben die galloitalischen Varietäten oft zusätzlich eine palatal gerundete Serie (/y/,/ø/, /œ/); diese Orte sind im AIS leider nicht dokumentiert. Oft sind auch die Diphthonge /ié/ (< lat. ĕ) und /uó/ (< lat. ŏ; vgl. San Fratello nuóv ‘novo’, AIS 288, 🔗) erhalten sowie im unbetonten Vokalismus der Mittelzungenvokal /ə/; beide Merkmale sind dem Sizilianischen sonst fremd. Charakteristisch sind ferner die Palatalisierung von betontem [a] > [æ], wie gamba > γjéma und der Ausfall der Endvokale, die in Verbindung mit dem Schwund intervokalischer Konsonanten zur Präferenz der Silbenstruktur CVC anstatt CVCV führt.
Auch im Konsonantismus finden sich bemerkenswerte Merkmale, wie die bereits erwähnte Lenisierung bzw. der Schwund intervokalischer Konsonanten ([ka'i:na] ‘catena’ ; 🔗), die Palatalisierung von [-ti] > [-t∫] wie im Monferrato ([kwænt∫] ‘quanti’; 🔗) oder die initiale Palatalisierung von [ka] > [kç] sowie das velare silbenfinale [ŋ] (beide Phänomene in [kçeŋ] ‘cane’; 🔗).
Eine besondere Bemerkung verdient die Palatalisierung von lat. [fl]; laut AIS-Karte 1357 ist diese Konsonantenverbindung in den Kognaten von lat. florem ‘Blume’ nirgendwo erhalten; es wurde überall ein frikativer Anlaut verzeichnet; allerdings ist die Varianz erheblich und keine einzige der sechs Varianten ist spezifisch für die galloitalischen Orte:
sizilianische Entwicklungen von lat. fl in florem nach AIS 1357 | ||||||
lat. fl | ∫ | ç | ∫ç | j | tj | t∫ |
Frikative | Affrikate |
Eine neuere Karte auf Grundlage der Erhebungen des Atlante Linguistico della Sicilia (ALS) aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts 5 verzeichnet nur drei Frikative:
sizilianische Entwicklungen von lat. fl in florem nach ALS-Erhebungen | |||
lat. fl | h' = IPA ç | ',c= IPA ∫ | i̯ = IPA j |
Frikative |
Es stellt sich nun einerseits die Frage nach der Herkunft der Frikative (die Affrikate sind wohl sekundär daraus entstanden) und nach dem Unterschied zwischen den beiden Erhebungen (AIS vs. ALS): die Frikative finden sich außerhalb von Sizilien auf dem italienischen Festland wieder, nämlich [ç] und [j] in Kalabrien und [∫] in Kampanien. Aber speziell dieses postalveolare Variante [∫], die in der neueren Erhebung dominiert, ist eben auch ganz charakteristisch für Ligurien - sie könnte also ursprünglich galloitalisch sein und wurde eventuell durch die anderen Varianten verdrängt.
Es gibt durchaus phonetische Einflüsse des Sizilianischen auf das Galloitalische, sogar auf den besonders stabilen Dialekt von San Fratello. Hier wird anlautendes [l-] > [ɖ-] bzw. [ɖɖ-], also etwa lat. lactem ‘latte’ > [ɖæt] (AIS Karte 1199) und mittlerweile auch zu nicht retroflexem [dd-], ddätt ‘latte’ (Foti 2015, 121). Diese Entwicklung ist dem Galloitalischen in Nordwestitalien vollkommen fremd; sie findet sich jedoch - unter anderen phonetischen Bedingungen - in Sizilien und allgemein in Süditalien. Hier wird intervokalisches langes --ll- bekanntlich ganz systematisch > [-ɖɖ-] (vgl. AIS Karte 823, [cavaɖɖi] ‘cavalli’). Diese Entwicklung ist offenkundig auf initiale l- übertragen worden, erstaunlicherweise selbst da (San Fratello), wo sie beim intervokalischen -ll- unterblieb (🔗).
Bibliographie
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