Die Perzeption des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion


En stor tak til Mads.
Så blev den ged barberet.

1. Einleitung

„Le ‘r’ constitue un véritable ‘caméléon’ dans la jungle des sons linguistiques. Vu sa marginalité dans les systèmes phonémiques, il est quasiment prédestiné à la variation et au changement: fricative sourde ou sonore, vibrante, approximante ou même voyelle – il peut prendre presque toutes les ‘couleurs’ en fonction de son environnement, et aussi disparaître complètement.“ (Pustka 2012, 271)

Die verwendete Metapher der Sprachwissenschaftlerin Elissa Pustka verdeutlicht, dass das /r/ aufgrund seiner hohen Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit zwar unauffällig erscheint, jedoch beim genauen Hinsehen bzw. -hören ein überraschend breites phonologisches und phonetisches Repertoire offenbart. Die vorliegende Bachelorarbeit behandelt unter anderem daher folgende Frage: Welche „Farbe“ nimmt das „Chamäleon-/r/“ im Kontext des Regionalfranzösischen auf La Réunion an? Wird das Phonem in postvokaler Stellung wie im Standardfranzösischen als uvularer Vibrant [ʀ] realisiert oder wird es, rückführend auf den Einfluss des créole réunionnais, elidiert?

Um sich einer Antwort dieser Fragestellung anzunähern, werden zunächst im Rahmen der Sprachgeschichte relevante soziolinguistische Aspekte skizziert. Dabei wird im Besonderen auf die Ereignisse seit der départementalisation eingegangen, da diese die aktuelle (Sprach)Situation der Insel nachhaltig beeinflussen. Die Realisierung des postvokalen /r/ im Regionalfranzösischen auf La Réunion ist somit im Spannungsfeld zwischen Französisierungstendenzen und Aufwertungsbestrebungen der Kreolsprachen zu verstehen. Die Untersuchung des Phonems in der vorliegenden Bachelorarbeit baut dabei auf den neuesten Forschungsergebnissen auf (vgl. Bordal 2006) und kombiniert diese mit aktuellen Erkenntnissen aus dem Bereich der Sprachperzeption (vgl. Jannedy/Weirich 2014). Demzufolge wird das postvokale /r/ im Regionalfranzösischen auf La Réunion nicht wie bisher mithilfe der Produktion von Sprecherinnen und Sprechern, sondern anhand der Perzeption von Hörerinnen und Hörern erforscht. Im Rahmen des sogenannten divergierenden Perzeptionseffekts soll festgestellt werden, ob Testpersonen dieselben akustischen Stimuli in verschiedenen priming conditions unterschiedlich wahrnehmen. Für priming conditions wurden im Kontext des Regionalfranzösisch auf La Réunion die geographischen Indikatoren La Réunion und Paris festgelegt, während als Grundlage für die akustischen Stimuli das Minimalpaar fou /fu/ und four /fuʀ/ ausgewählt wurde. Die akustischen Stimuli wurden mit dem Praat-Programm synthetisiert und in ein 9-Step-Kontinuum eingebettet, wobei Stimulus 1 [fu] und Stimulus 9 [fuʀ] darstellt. Im Rahmen einer word identification response task ergeben sich daraus zwei konkrete Forschungshypothesen: Tendieren die Probandinnen und Probanden der Gruppe Paris eher dazu [fuʀ] zu hören? Bzw. kategorisieren die Probandinnen und Probanden der Gruppe La Réunion die identischen Stimuli vergleichsweise häufiger als [fu]? In Anlehnung an Bordal (2006) wurden außerdem Metadaten zum Alter, Geschlecht, höchsten Bildungsabschluss sowie zur Erstsprache der Testpersonen erhoben, da davon ausgegangen wurde, dass diese Faktoren möglicherweise einen Einfluss auf die Perzeption der akustischen Stimuli haben. In Anschluss an die statistische Analyse werden die Ergebnisse schließlich diskutiert, sodass nicht nur eine differenzierte Antwort auf die Forschungshypothese, sondern ferner eine Aussage zum Status quo des Regionalfranzösisch auf La Réunion ermöglicht wird.

2. Historische Entwicklung des Regionalfranzösischen auf La Réunion

Das Aufzeigen der geschichtlichen Ausgangsbedingungen des créole réunionnais bis hin zu seinem heutigen Einfluss auf das Regionalfranzösisch auf La Réunion sind notwendig, um die sprachwissenschaftlichen Hintergründe sowie die gesellschaftspolitische Aktualität der durchgeführten Studie adäquat einordnen zu können. Die nachfolgenden Ausführungen erheben dabei jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf die komplexe Historie der Insel, sondern haben vielmehr das Ziel, relevante Informationen hinsichtlich der vorliegenden sprachwissenschaftlichen Studie zu skizzieren. Zunächst wird daher auf die französische Besiedlungsphase eingegangen, gefolgt von einer kurzen Darstellung der kolonialen Diglossie im 18. Jh. Der Statuswechsel La Réunions von einer französischen Kolonie zu einem Département et Région d’Outre-Mer (DROM) veränderte in relativ kurzer Zeit die (Sprach)Situation auf der Insel nachhaltig, weswegen auf diesen Aspekt genauer eingegangen wird und seine Auswirkungen auf die aktuelle Sprachsituation separat behandelt werden.

2.1. Französische Besiedlungsphase

Nachdem der portugiesische Seefahrer Pedro Mascarenhas im Jahr 1512 die später nach ihm benannte Inselkette der Maskarenen im Indischen Ozean entdeckt hatte, wurde La Réunion 1638 als „terre vierge“ (Bordal 2006, 11) offiziell von der Grande Nation beansprucht. Die unbewohnte, circa 14 000 km vom französischen Festland entfernte Insel wurde interessanterweise jedoch primär aufgrund einer erfolglosen Inbesitznahme Madagaskars erschlossen und spielte aufgrund des abgelegenen Standorts eine – in Hinblick auf Frankreichs damalige koloniale Ambitionen – verhältnismäßig unwichtige Rolle (Chaudenson 2003a, 1122). Diese Tatsache spiegelt sich auch in der demographischen Entwicklung wider, denn der Nachschub an Hilfsgütern sowie Siedlerinnen und Siedlern aus dem Hexagon erfolgte sporadisch und nur sehr langsam. Es musste dringend auf eingeschiffte, vornehmlich madagassische serviteurs zurückgegriffen werden, um die Nutzbarmachung der Landwirtschaft und somit ein Überleben auf der Insel zu gewährleisten. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ist hervorzuheben, dass der französische Bevölkerungsanteil für verhältnismäßig lange Zeit in der Überzahl war. Noch im Jahr 1690 – ungefähr fünfzig nach Beginn der französischen Besiedlung – stellten circa 2⁄3 der Population Weiße und 1⁄3 Schwarze dar, wobei letztere zu 60% jünger als 15 Jahre alt waren. Bordal merkt diesbezüglich an:

A défaut d’enseignement formel de la langue, ils [les jeunes serviteurs] apprennent le français [de leurs maîtres] par des stratégies d’apprentissage non scolaires. […] Ils ne perfectionnent pas réellement leur compétence linguistique, mais apprennent à parler une approximation du français. (Bordal 2006, 15)

Während in anderen französischen Kolonien, wie beispielsweise Québec, Mitglieder der höheren und gebildeten Kreisen zum Zweck der kulturellen Anbindung an Frankreich gezielt angeworben wurden, waren die Zuwanderer auf La Réunion mehrheitlich den sozial niedrigen Schichten zugehörig. Bei den Siedlerinnen und Siedlern handelte es sich meist um einfache Handwerker, Bauern, Seeleute, Tagelöhner und sogar Sträflinge, die überwiegend aus den Regionen westlich der Linie Bordeaux-Paris stammten und deren Mehrzahl weder lesen noch schreiben konnte. In Hinsicht auf Bordals Aussage muss daher differenziert werden: Die jungen Schwarzen lernten als Sprache nicht etwa die Standardsprache der Île-de-France oder den entsprechenden bon usage, sondern eine stark davon abweichende, regional eingefärbte Varietät des Französischen (Chaudenson 2003a, 1123).

2.2. Koloniale Diglossie

Die ersten Dekaden des 18. Jahrhunderts, in denen sich die société d’habitation auf La Réunion zu einer société de plantation wandelt, sind vom Aufkommen einer schnell wachsenden Agrarindustrie charakterisiert. Stand zunächst noch die Kultivierung von Kaffee, Gewürzen und Indigo im Vordergrund, wird diese nun von einer Monokultur des Zuckerrohrs abgelöst. Während zuvor die französischen Siedlerinnen und Siedler gemeinsam mit ihren serviteurs in der Landwirtschaft arbeiteten, riss der enge Kontakt und die alltägliche Interaktion ab, denn für die schwere körperliche Arbeit auf den Plantagen war eine enorme Anzahl an Arbeitskräften erforderlich, die zwischen 1715 und 1800 vor allem aus Madagaskar und Ostafrika verschleppt wurden.1 Plantagenverwalter achteten darauf, dass die Sklavinnen und Sklaven möglichst von verschiedener ethnischer und sprachlicher Herkunft waren, um eine Kommunikation untereinander zu erschweren und sich somit vor Aufständen zu schützen  (Stein 2017, 154). Mit der einsetzenden systematischen Trennung der weißen von der restlichen Bevölkerung zeichnet sich der Beginn der französischen Kolonisierung auf La Réunion ab. Der folgende Auszug aus dem Bericht eines Missionars bietet einen Einblick in die Vielzahl der Ethnien auf der kleinen Insel:2

Cafres de Guinée, Yoloffs, Bambaras, Sénégalais, Wildaliens, Cafres de la côte opposée à l‘est, Monotopas, Monoëmurgis, Kérimbins et Mozambicains, tous de langue différente et à peu près semblable au gloussement des coqs d‘Inde, des Indiens de la grand terre ou insulaire, Bingalis, Malais et Maures, tous également de langue différente, des Malgasses ou Madagascariens […] qui sont nés dans la colonie de tous ces esclaves étrangers. (Maestri 1999, 238)

In dieser Periode setzt der Kreolisierungsprozess ein, denn zur Verständigung wird die von den madagassischen, bereits ansässigen Arbeitern erlernte Varietät des Französischen als Referenz verwendet, die jedoch immer mehr durch die Elemente der afrikanischen Muttersprachen der Sklavinnen und Sklaven beeinflusst wird und sich schließlich zum créole réunionnais als „système linguistique autonome par rapport au français“ (Ledegen 2010, 103) entwickelt.3 Chaudenson spezifiziert bezüglich der neu entstehenden sprachlichen Varietät, dass sich diese unter Bedingungen einer zweiten Lernergeneration von der zuvor vorherrschenden „approximation du français“ (Chaudenson 2003b, 448) zu einer „approximation approximative du français“ (Chaudenson 2003b, 449) entwickelt.4 Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts steigt die Anzahl der Bevölkerung stark an, was aus sprachwissenschaftlicher Perspektive zwei interessante Folgen mit sich bringt.

Erstens kommt es aufgrund des Populationszuwachses zu einer sozialen Diversifizierung bzw. teilweise zu einer Proletarisierung der weißen Bevölkerung (vgl. Baggioni 1991, 115). Diejenigen, die sich im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf nicht durchsetzen konnten, sehen sich gezwungen in die Hochebenen der Insel zurückzuziehen, und werden fortan als petits Blancs des Hauts bezeichnet. Anders als die grands Blancs des Bas, die ihr Erbe und ihren Einflussbereich in den städtischen Zentren vor allem durch verwandtschaftliche Solidarität und Kooperation vergrößern, ist das Verhältnis der petits Blancs untereinander vor allem durch Rivalität angesichts des harten Überlebenskampfes im Hochland gekennzeichnet (vgl. Wolff 2010, 82). Die von den petits Blancs verwendete Umgangssprache ist durch seine Nähe zur französischen Sprache charakterisiert, da diese, im Gegensatz zur Varietät in Küstennähe, durch die relative geographische Isolation nur der ersten Kreolisierungsphase unterzogen wurde. Die Varietät der petits Blancs und seiner Nachkommen wird von Sprachwissenschaftlern daher als französisiertes Kreolisch bzw. als kreolischer Akrolekt klassifiziert, was im Punkt 2.3 noch genauer ausgeführt wird. Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass sich aufgrund des bergigen Reliefs der Insel sowie der nur beschränkt zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel, eine beachtliche Anzahl an diatopischen Varietäten des Kreolischen auf La Réunion entwickeln konnte (vgl. Bordal 2006, 17).

Zweitens beginnt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine klassische koloniale Diglossie abzuzeichnen.5 Kreolisch gilt als jargon, mauvais patois, français corrompu oder français bâtard (vgl. Stein 2017, 171). Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Anzahl der schwarzen Bevölkerung die der Kolonisten bei Weitem übersteigt – das Verhältnis beträgt 2⁄3 zu 1⁄3 – wird nicht das von der Mehrheit gesprochene créole réunionnais, sondern das von der weißen Elite verwendete français bourbonnais zur dominanten Kultursprache (vgl. Baggioni/Beniamo 1993, 157). Das Kreolische gewinnt zwar auch für die französischen Siedlerinnen und Siedler zunehmend an Bedeutung und wird durch den Umgang mit den Untergebenen erlernt, dennoch blieb eine Anerkennung als vollwertige Sprache verwehrt. Man sah in ihr einen Beweis für die intellektuelle Unterlegenheit der Sklavinnen und Sklaven, die nicht imstande waren bzw. denen nicht ermöglicht wurde, die französische Sprache angemessen zu lernen (vgl. Stein 2017, 157). Im Kontext der Diglossie werden die Funktionen der beiden Sprachvarietäten komplementär distribuiert: Während einerseits die französische Sprache als high variety in formalen, offiziellen und distanzsprachlichen Kontexten verwendet wird und daher hohes Prestige besitzt, wird das Kreolische andererseits als low variety in der Alltagssprache, d.h. als Nähesprache verwendet, und genießt eine entsprechende geringe Reputation.

Im Jahr 1723 werden auf La Réunion mit der Implementierung des code noir die sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft weiter gefestigt: Die Interessen der weißen Plantagenbesitzer werden geschützt, wohingegen die Individuen der schwarzen Bevölkerungsschicht zu „blen meubles“ (Wolff 2010, 81) degradiert werden. Butler beschreibt diesen Vorgang als „l’assujettissement […], le processus par lequel on devient subordonné à un pouvoir et le processus par lequel on devient un sujet.“ (Butler 2002, 23)6 Im Jahr 1848 wird die Sklaverei zwar offiziell abgeschafft, dennoch bleibt eine auf Ungleichheit basierende soziale Ordnung weiterhin bestehen, die weite Teile der schwarzen Bevölkerung bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der misère noire gefangen hält.7 Die 62 000 freigelassenen und vorwiegend schwarzen Sklavinnen und Sklaven, auch kafres genannt, werden ab 1860 zunächst von Vertragsarbeitern aus Südindien, die als malbars bezeichnet werden, und schließlich aus dem Kanton stammende chinois ersetzt. Letztere beginnen, wie auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die aus dem nordindischen Gudjurat emigrierten zarabes, in den aufkommenden Stoff- und Holzhandel zu investieren. Die Neuankömmlinge nehmen das créole réunionnais als neue Sprache an und verlieren zum Großteil innerhalb von zwei Generationen ihre Muttersprache (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).8

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)

2.3. Départementalisation

Im Jahr 1945 sieht sich nicht nur Frankreich, sondern auch La Réunion als dessen Kolonie, mit den zerstörerischen Konsequenzen des 2. Weltkrieges konfrontiert. Auf der Insel stagniert die ohnehin schwache Wirtschaftskraft, außerdem verschärfen sich Armut und Kindersterblichkeit infolge des auferlegten Handelsembargos.9 Obwohl La Réunion – neben Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guyana – im darauffolgenden Jahr mit seiner Eingliederung als Département et Région d’Outre-Mer (DROM) offiziell den restlichen Regionen in Kontinentalfrankreich gleichgestellt wird, bleibt die ferngelegene Insel im Kontext der politique de decolonisation angesichts der sich anbahnenden Krise in Algerien für das nationale Interesse vorerst von untergeordneter Priorität (vgl. Combeau 2010, 18). Die seit der Sklaverei und Plantagenwirtschaft bestehenden, tiefsitzenden sozialen Disparitäten zwischen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und der weißen Minorität bleiben somit zunächst aufrechterhalten: Während sich der Großteil der Familien in z.T. extremer Armut befindet, können die grands Blancs und deren „caste d’héritiers“ (Alaoui/Tupin 2010, 126) weiterhin ihre wirtschaftliche, politische und kulturelle Vormachtstellung verteidigen.10 Darunter fällt aus sprachwissenschaftlicher Sicht unter anderem auch, dass das français bourbonnais nach wie vor die lokale Norm stellt, obwohl die Majorität vornehmlich Kreolisch spricht. Analog zu den gesellschaftlichen Strukturen etablieren sich zu dieser Zeit mit der Parti Communiste Réunionnais (PCR) einerseits und der Rassemblement du Peuple Français (RPF) andererseits zwei unterschiedliche politische Ausrichtungen. Die gegensätzlichen Ideologien kollidieren miteinander und führen zu einem, angesichts der ohnehin prekären sozialen und wirtschaftlichen Situation, stark angespannten Klima auf La Réunion.11 Des Weiteren wird die Organisation von stabilen demokratischen Strukturen durch das Nichteinhalten der Gesetze untergraben. Beispielsweise werden Wahlfälschungen vorgenommen, außerdem werden Oppositionelle von der Präfektur überwacht und an der öffentlichen Meinungsäußerung gehindert, sodass es schließlich zu gewalttätigen Aufständen und mehreren politisch motivierten Morden kommt (vgl. Vergès 2015, 41). Nachdem La Réunion bis in die 1950er als „département abandonnée“ (Combeau 2010, 18) von einer Gleichstellung mit Frankreich noch weit entfernt scheint, entwickelt sich in den 1960ern, angestoßen von neuen (inter)nationalen Impulsen, eine neue Herangehensweise des Staates „inspiré par l’idéologie d’un retard à rattraper.“ (Watin/Wolff 2010, 6)12 Infolgedessen finden in nur wenigen Jahrzehnten grundlegende, irreversible Veränderungen statt, unter welchen die von der Landwirtschaft geprägte Bevölkerung zu einer modernen Industriegesellschaft „mutiert.“ (Nicaise 2010, 179) Während die Investitionen Frankreichs zwar allmählich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und zum Angleichen des Lebensstandards verhelfen, werden in den aktuellen Forschungen vor allem die negativen Begleiterscheinungen der radikalen Einflussnahme thematisiert.

Zunächst muss diesbezüglich differenziert werden, dass die grands Blancs, trotz der offiziellen Eingliederung von La Réunion in den französischen Staat, ihre ökonomische Vormachtstellung in den ersten Dekaden weiterhin beibehalten und dadurch zum Aufrechterhalten von postkolonialen Strukturen beitragen. Obwohl seit den 1970ern der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt fällt und somit zu einem starken Rückgang in der Produktion führt, sind bis heute 70% der landwirtschaftlichen Nutzflächen auf der Insel vom Zuckerrohr besetzt (vgl. Rochoux 2010, 40).13 Durch die Angleichung des Verwaltungsapparats nach hexagonalem Vorbild entstehen zwar zahlreiche Arbeitsplätze im administrativen Bereich, diese werden jedoch primär von bereits ausgebildeten und somit qualifizierten Beamten aus Metropol-Frankreich besetzt, die im Rahmen des Bureau pour le Développement des Migrations dans les Départements d’outre-mers auf La Réunion kommen (vgl. Wolff 2010, 83).14 Die Einwanderungswelle der zoreys trägt gemäß Watin zur Auflösung bereits bestehender gesellschaftlicher und sozialer Strukturen bei, die durch den Anpassungsprozess an eine westliche Konsumgesellschaft letztendlich zur Negation der kreolischen Identität beitragen. So ersetzen beispielsweise im Zuge der Urbanisierung die dem modernen Standard angepassten Wohnungen in den städtischen Ballungszentren kartié, kaz und kour und somit die Fundamente des familiären Miteinanders innerhalb der communauté créole (vgl. Watin 2010, 56).15 Der einsetzende Vorgang der Akkulturation macht sich des Weiteren auch sehr markant auf sprachlicher Ebene bemerkbar, was im Folgenden genauer erläutert wird.

Da die schulische Bildung vor der départementalisation noch lokal und von privaten, konfessionell ausgerichteten Trägern organisiert wurde und vornehmlich für die soziale Elite vorgesehen war, blieb die Verbreitung der französischen Sprache bzw. des français bourbonnais unter der Bevölkerungsmehrheit relativ gering (Bordal 2006: 18). Mit der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht und dem Aufkommen neuer Medien beginnt das français métropolitain den Einfluss der sprachlichen Varietät der grands Blancs in die familiäre Sphäre zurückzudrängen und kann sich als neue Norm etablieren (vgl. Baggioni/Beniamo 1993, 157).16 Zwar propagiert das neu etablierte, demokratisierte Schulsystem die Chancengleichheit aller Schülerinnen und Schüler, dennoch muss festgehalten werden, dass sich aufgrund der „absence relative de progrès social“ (Alaoui/Tupin 2010, 129) erst in den 1980/90ern eine qualitativ hochwertige Bildung etabliert und sich positiv auf die soziale Mobilität auswirkt.17 Des Weiteren verbreiten die vornehmlich aus Metropol-Frankreich stammenden bzw. dort ausgebildeten Lehrkräfte nicht nur den hexagonalen Sprachgebrauch, sondern auch eine westliche, moderne Lebensauffassung, was vor allem die junge Generation auf La Réunion in einen Identitätskonflikt bringt. Diese Entwicklung wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die neu aufkommende urbane Mittelschicht statt der kreolischen Muttersprache nun bewusst innerhalb der Familien Französisch übermittelt, welches den schulischen und beruflichen Erfolg und somit auch den sozialen Aufstieg symbolisiert. Dieses Phänomen ist umso bemerkenswerter, wenn man in Betracht zieht, dass die meistern Sprecher Französisch lediglich als L2 erlernen und daher den Kindern eine interlangue fossilisée weitergibt, die sich durch zahlreiche (un)bewusste kreolische Interferenzen charakterisiert (vgl. Bretegnier 1998, 247).18 Die einsetzenden und in der Sprachwissenschaft nach wie vor kontrovers diskutierten Dekreolisiserungs- bzw. Französisierungstendenzen rufen vor allem bei den monolingualen Sprechern des créole réunionnais, die tendenziell eher dem sozial schwachen Milieu entstammen, eine „culpabilité lingustique“ (Carayol/Chaudenson 1978, 185) hervor.19 Ferner führt die Beschränkung der kreolischen Muttersprache auf den nähesprachlichen Bereich sowie die ständige Konfrontation mit der französischen Sprache im öffentlichen Leben zu einer „insécurité linguistique.“ (Ledegen 2010, 112) Probanden bringen im Rahmen von sprachwissenschaftlichen Studien wiederholt das Gefühl von Inferiorität zum Ausdruck, was sich an den beiden folgenden Aussagen exemplarisch zeigen lässt:

  • „C’est pas [sic] de mes désirs de voir mes enfants parler le créole. Je voudrais que mes enfants soient plus élevés que moi, en français, en instruction, en éducation et tout.“  (Genouvrier/Gueunier/Khomsi 1978, 157)
  • „[T]ou lé jeune ke va antand anou [les créoles] kozé in jour si zot i rentend nou kozé komsa zot va rir.“20 (Carayol/Chaudenson 1978, 185)

Obwohl bereits in den 1960ern ein erhöhtes wissenschaftliches Interesse an der Kreolistik aufkommt und man beginnt, das als zu starr wahrgenommene Prinzip der Diglossie zu erweitern, zeigen die beiden ausgewählten Zitate trotzdem deutlich, dass die dichotomische Sicht nach wie vor den Sprecherinnen und Sprechern vertreten wird.21 Während eine wichtige Neuerung von Fishman 1967 darin besteht, den Begriff in Abgrenzung vom Bilinguismus zu definieren, konzipiert Stewart 1962 basierend auf der diglossischen Grundkonstellation eine Sprachverwendungsgrammatik, welche die Pole low variety und high variety durch die Termini Akrolekt und Basilekt ersetzt.22 Die bereits angesprochene „insécurité linguistique“ (Ledegen 2010, 112), einhergehend mit dem Eindruck vieler Sprecher, keine der beiden Sprachen bzw. Sprachvarietäten ausreichend zu beherrschen, erweitert zudem die Perspektive auf den intermediären Bereich. Dieser bezieht sich per definitionem auf sprachliche Äußerungen, die zwischen den beiden Polen liegen und sowohl Merkmale der Standard- als auch der Kreolsprache aufweisen. In dem Versuch das aus linguistischer Sicht bezeichnete „no man’s land“ (Ledegen 2011, 153) näher zu analysieren, entwirft Bickerton 1973 das Konzept des Mesolekts, während  Prudent 1981 basierend auf seinen Untersuchungen zum créole martiniquais den Begriff des Interlekts lanciert. Indem sich letzterer für eine radikale „non-existence de frontières“ (Bordal 2006, 30) ausspricht und – statt einer Stratifikation der unterschiedlichen Varietäten im Rahmen eines Sprachkontinuums – ein in sich geschlossenes Mikrosystem fordert, wird die zentrale Problematik des Interlekts deutlich.23 Wie die für die Sprachrealität auf La Réunion angepasste untenstehende Abbildung zeigt, werden die verschiedenen Sprachformen gemäß dem aktuellen Forschungsstand zwar durchaus als Einheit verstanden, jedoch dem Konzept des Interlekts widersprechend, als „arc-en-ciel d’usages […] s’organisant de façon graduelle“ (ebd.: 153) wahrgenommen.

Das Sprachkontinuum im Kontext von La Réunion (vgl. Sobotta 2006: 106, Modifikation CM). Der kreolische Basilekt charakterisiert sich durch seine maximale Abweichung von der französischen Sprache, wohingegen der Akrolekt, als sein entsprechendes Gegenstück, eine relativ starke Nähe zu dieser aufzeigt. Ersterer wird vor allem in den Regionen nahe der Küste gesprochen, indessen Letzterer vornehmlich von den Nachkommen der petits Blancs in den höher gelegenen Bergregionen der Insel verwendet wird (vgl. Ledegen 2010, 104).

Während sich basierend auf der diglossischen Grundkonstellation Basilekt und Akrolekt an jeweils zwei entgegengesetzten Polen des Kontinuums befinden, lässt sich der Interlekt zwischen ihnen das positionieren. Die schematische Grafik verdeutlicht zwar durch die unterschiedlich gemusterten Kompartiments, dass eine generelle Kategorisierung der Sprachvarietäten möglich ist, visualisiert jedoch nicht ihre für die Sprachrealität auf La Réunion so markanten, „zones flottantes.“ (Ledegen/Léglise 2007, 3)24 Bordal nimmt diese Widersprüchlichkeit ebenfalls in ihre Bewertung des Sprachkontinuums auf und konstatiert: „La notion de continuum est une théorisation dont l’objectif est de décrire de manière rigoureuse cette hétérogénéité linguistique.“ (Bordal 2006, 22) Obwohl das neu etablierte Konzept grundsätzlich den dynamischen Kontakt des Kreolischen und Französischen in einem heterogenen Sprachraum wiederspiegelt und zu einer friedlichen Koexistenz zwischen den beiden Varietäten beiträgt, entwickelt sich in den 1970ern nichtsdestotrotz eine von der communauté créole organisierte, teilweise militante Bewegung, die eine kulturelle Gleichstellung fordert (vgl. Watin/Wolff 2010, 12). Während die Medien zuvor vor allem zur Verbreitung der französischen Standardsprache beitrugen und – indem das Kreolische lediglich zum Zweck der Karikatur aufgegriffen wurde – die allgemein vorherrschende Sprecherhaltung repräsentierten, stellt das am 14. Juli 1981 illegal im Untergrund etablierte Radio FreeDom eine markante Zäsur dar (vgl. Idelson 2002, 106). Gemeinsam mit dem fünf Jahre später gegründetem Télé FreeDom fungiert es als „accélérateur sociolinguistique“ (Ledegen 2011, 157) und setzt sich unter anderem für das Recht auf Meinungsfreiheit sowie für eine unabhängige, nicht vom Staat zensierte Medienlandschaft ein, die neben der französischen Sprache auch dem créole réunionnais eine öffentlichkeits- und debattierfähige Rolle zuspricht.25 Auch das maloya, ein originär aus Mozambique und Madagaskar stammender Musik- und Tanzstil, sowie das moringe, welches ähnlich zum Capoeira in Brasilien von den Sklavinnen und Sklaven au rond de kour praktiziert wurde, erfahren, gefördert von der kommunistischen Partei, eine medienwirksame Wiederbelebung und werden als Ausdruck einer „identité créole opprimée“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152) ausgelegt.26 In den späten 1970ern setzen sich linksgerichtete Literaten und Intellektuelle außerdem mit der Verschriftlichung des Kreolischen auseinander und können, trotz scharfen Separatismusvorwürfen seitens der rechtskonservativen Partei auf La Réunion sowie den Protesten des Collectif pour la Défense de Française und des Collectif Réunionnais des Parents pour la Défense de l‘Education des Enfants et de l’Instruction Civique, die Publikation von ersten Wörterbüchern kréol rénioné / français (vgl. Armand 1985; Baggioni 1987) durchsetzen. Während sich die anfänglichen Bestrebungen für eine standardisierte Graphie des Kreolischen vor allem durch eine maximale Abweichung „en s’en distinguant de la façon la plus radicale, en coupant le lien de filiation avec la langue-mère“ (Bavoux 2004, 224) charakterisieren, erfolgt in den Folgejahren wiederum eine Annäherung an die französische Schreibweise.27 Letzteres scheint im Kontext des mühsam erkämpften Selbstbewusstseins des créole réunionnais zunächst ungewöhnlich, lässt sich aber unter anderem mit einem Kurswechsel in der nationalen Politik erklären. Im Jahr 1982 wird infolge des loi de décentralisation dem auf La Réunion neu gegründetem Conseil Régional die Verantwortung und Entscheidungsfreiheit in lokalen Angelegenheiten übertragen, was zu einer Annäherung der politischen Akteure führt und die „confrontations passionnées autour du débat autonomiste“ (Nicaise 2010, 175) schließlich beendet. Eine „construction d’une mémoire collective“ (Simonin 2010, 214) beginnt sich zu etablieren, was sich beispielsweise mit der Anerkennung des 20. Dezembers als offizieller Gedenktag an die Abschaffung der Sklaverei manifestiert. Nachdem man sich noch zu Beginn der départementalisation bewusst versuchte an das hexagonale Ideal anzupassen, setzt nun ein legitimiertes Interesse und eine Wertschätzung an dem kulturellen Erbe der eignen Vorfahren ein. Nicaise fasst diesbezüglich zusammen : „[L]a pensée de la plus commune aura migré du modèle assimilationniste à celui de la créolité.“ (Nicaise 2010, 167) Diese „hybridation“  (Ledegen 2010, 105) zeigt sich auch auf sprachwissenschaftlicher Ebene: Nachdem erst das français bourbonnais von dem français métropolitain abgelöst wurde, kommt nun die Frage nach dem regionalen Standard auf. Während die hexagonale Varietät primär von den Medien und den aus Kontinentalfrankreich Zugewanderten genutzt wird, spricht die Mehrheit auf La Réunion „un métissage du français et du créole, un mélange bien assumé dans l’ensemble.“ (Najède 2004, 141)

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).

2.4. Aktuelle Sprachsituation

Im Jahr 2000 wird mit dem loi d’orientation pour l’outre-Mer in §33 nicht nur der Schutz der traditionellen Kulturen der Überseedepartements verankert, sondern in §34 werden darüber hinaus die Kreolsprachen als offizielle Regionalsprachen Frankreichs anerkannt. Ledegen konstatiert, dass mit dieser Maßnahme „le créole a radicalement changé le statut.“ (Ledegen 2011, 157) So belegt beispielsweise eine Umfrage aus dem Jahr 2001, dass das créole réunionnais von 70% der Befragten als Sprache wahrgenommen wird, während im Vorjahr nur 20% diesen Standpunkt vertraten (vgl. Ledegen 2010, 157). Begünstigt wird außerdem die Sicht auf die „pratiques mélangeantes“ (Ledegen 2007, 173) der französischen und kreolischen Sprache, die charakteristisch für das Regionalfranzösisch auf La Réunion sind. Dieses Phänomen kann anhand folgender Aussage einer 35-jährigen Sprecherin aus Plaines des Palmistes illustriert werden:

Bon, c’est vrai que dans le langage, on parle français, et bien, on laisse partir des mots de créole, dedans. Voilà. On mélange. C’est un petit mélange de tout façon. Surtout […] pour les jeunes d’aujourd’hui. Voilà. Euh, je trouve que c’est bien, au moins […] ils gardent quand même le créole et ben, ils parlent français aussi. (Bordal/Ledegen 2009, 179)

Wurde die sprachliche Variation seit der départementalisation als „fautive eu égard à la norme du français standard“ (Ledegen 2010, 111) wahrgenommen und mit „gens pauvres qui ne savent pas s’exprimer [en français]“ (Ledegen 2007, 157) assoziiert, wird sie mittlerweile positiv aufgefasst.28 Letzteres sieht Ledegen durch den jeweiligen sozioökonomischen Hintergrund begründet: Während das créole réunionnais die einzige sprachliche Option für Sprecherinnen und Sprecher aus dem sozial benachteiligtem Milieu darstellt, tritt die kreolische Sprache in der Mittelklasse vor allem im Zusammenhang einer „compétence bilingue“ (Ledegen 2010, 118) auf. Die kreolischen Einflüsse auf das Regionalfranzösisch auf La Réunion werden heutzutage von der älteren Generation akzeptiert, deren Sprachbiographie von der Diglossie geprägt wurde, wohingegen sie von den jüngeren Sprecherinnen und Sprecher nicht nur befürwortet, sondern auch stärker praktiziert werden. Ledegen konstatiert, dass die junge Generation „des positionnements plus sereins […] dans une dynamique interlectale où les deux langues coexistent dans un contexte moins tendu“  (Ledegen 2007, 155) vertritt. Wurde das créole réunionnais gemäß bisherigen Studien vor allem älteren Sprecherinnen und Sprechern mit eher niedrigem Bildungsabschluss zugeordnet, können hinsichtlich der kreolischen Interferenzen zwei bemerkenswerte Aspekte festgestellt werden. Erstens wird das „parler réunionnais“ (Simonin 2002, 287) vor allem Jugendlichen der Mittelklasse und gehobenen Schicht zugesprochen und zweitens ist eine entsprechende Befürwortung bei denjenigen höher, die ihren Bildungsweg nach dem baccalauréat fortführen (vgl. Ledegen 2007, 163). Interessant ist in diesem Zusammenhang die folgende Aussage von Magdelaine-Andrianjafitrimo: „Les jeunes générations sont plus francisées.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 146) Zwar ist es zutreffend, dass – wie bereits im Punkt 2.3 aufgeführt ist – das français métropolitain seit der départementalisation unter dem Großteil der Bevölkerung verbreitet wird, allerdings muss hierbei differenziert werden. Denn nicht das Standardfranzösische, sondern vielmehr das français familier beeinflusst die jungen Sprecherinnen und Sprecher heutzutage.29 Ein Vergleich des Atlas Linguistique de la Réunion mit den aktuellen Korpora macht dabei deutlich, dass die „pratiques alternantes“ (Ledegen 2011, 157) schon in den 1970ern präsent waren, jedoch erst ab den 2000ern weite Verbreitung finden.30

Neben dem loi d’orientation pour l’outre-Mer wird ferner im Jahr 2002 mit der Einrichtung eines Certificat d’Aptitude au Professorat de l’Enseignement du Second degré de créole (CAPES) für die Kreolsprachen eine weitere offizielle Maßnahme zur Aufwertung dieser Sprachen beigetragen (vgl. Stein 2017, 195).31 Dies stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein der kreolischen Sprachgemeinschaft, sondern wirkt sich auch auf das Verständnis der eigenen Identität aus. Die Identität der Bewohnerinnen und Bewohner auf La Réunion wird in erster Linie über den Gegensatz zwischen dedan und déor bzw. zwischen nasion und kont-nasion definiert und beschreibt „en isolant un noyau de population initial supposé plus légitime à d’autres groupes plus récemment arrivés dans l’île.“ (Baggioni 1991, 119) Gerechtfertigt wird diese Legitimiät mit einer „ancienneté de la présence dans l’île“ (ebd.: 118) und grenzt nicht nur die seit départementalisation aus dem Hexagon Zugezogenen aus, sondern auch die seit bereits mehr als zweihundert Jahren auf La Réunion ansässigen, indischen und chinesischen Migranten.32 Fuma und Poirier beobachten diesbezüglich ein Spannungsfeld zwischen einer „identité collective réunionnaise“ (Fuma/Poirier 1992, 57) und den Besonderheiten der einzelnen Kulturgemeinschaften.33

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)

3. Relevante sprachwissenschaftliche Forschungen

Der sprachhistorische Teil thematisierte nicht nur den Ursprung und die Entwicklung des Regionalfranzösisch auf La Réunion, sondern ging in den Punkten 2.3 und 2.4 spezifisch auf das Spannungsfeld zwischen créole réunionnais und français métropolitain ein. Im Folgenden sollen diese Erkenntnisse in den Kontext relevanter sprachwissenschaftlicher Studien eingebettet werden, sodass der spezifische Forschungsgegenstand und die ausgewählte methodische Vorgehensweise der vorliegenden Bachelorarbeit schlüssig werden. Vorausgreifend kann bereits erwähnt werden, dass die aufgrund der Französisierungstendenzen stark abnehmenden kreolischen Elemente im Regionalfranzösisch auf La Réunion den übergeordneten Rahmen darstellen. Vom besonderen Interesse sind dabei die seit den 1970ern dokumentierten Rückgänge auf phonetischer und phonologischer Ebene, wobei der Fokus spezifisch auf dem postvokalen /r/ liegt (vgl. Valdman 1978). Das postvokale /r/ soll daher zunächst im Kontext des Standardfranzösischen und des créole réunionnais miteinander verglichen und anschließend mit aktuellen Forschungsergebnissen verknüpft werden (vgl. Bordal 2006). Während die bisherigen Forschungen aus der Perspektive der Sprachproduktion vorgehen, soll in einem weiterführenden Schritt zu neuen Erkenntnissen aus Sicht der Sprachperzeption übergeleitet werden. Konkret für die vorliegende Bachelorarbeit bedeutet dies, dass das postvokale /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion nicht mehr wie bislang mithilfe von Sprecherinnen und Sprechern untersucht wird, sondern mithilfe von Hörerinnen und Hörern.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)

3.1. Postvokales /r/ im Standardfranzösischen und créole réunionnais

Im Standardfranzösischen sowie im Regionalfranzösisch auf La Réunion wird das /r/ mehrheitlich einem uvularen Frikativ zugeordnet. Es kann entsprechend seiner Stellung in der Silbe entweder stimmhaft als [ʀ], [ʁ] bzw. [ɣ] oder stimmlos als [χ⁠] realisiert werden (vgl. Pustka 2012, 276).34 Im Standardfranzösischen ist das postvokale /r/ in der Koda „généralement stable et ne s’élide que dans de rares exemples“ (Bordal 2006, 48), wohingegen dessen Elision charakteristisch für das Regionalfranzösisch auf La Réunion ist.35 In Bezug auf den Begriff der Elision muss hierbei jedoch differenziert werden, denn entgegen dem herkömmlichen Wortsinn handelt es sich nicht um eine klare Tilgung des Phonems, sondern vielmehr um eine maximal geschwächte Aussprache unter Beeinflussung seiner direkten Umgebung.36 Pustka konstatiert hierzu: „Le point le plus intéressant est certainement que le ‘r’ en coda influence systématiquement la voyelle qui le précède […]: la voyelle est allongée comme en créole.“ (Pustka 2012, 281) Die Aussage von Pustka bündelt zwei entscheidende Aspekte, die aufgrund ihrer Wichtigkeit für die vorliegende Bachelorarbeit noch einmal hervorgehoben werden. Erstens wird durch die Elision des /r/ der vorangehende Vokal verlängert, was in den jüngsten sprachwissenschaftlichen Studien als ein Indiz für ein latenten Konsonanten gesehen wird (vgl. Bordal/Ledegen 2009). Zweitens wird auf die Rolle des créole réunionnais im Regionalfranzösisch aufmerksam gemacht. Wie bereits in den Punkten 2.3 und 2.4 skizziert, „[combattent] les influences du créole les tendances à l’alignement sur les normes du français standard.“ (Baggioni 1991, 88) Aufgrund des zunehmenden Einflusses des français métropolitain und den daraus resultierenden Französisierungstendenzen, kommt es auf phonetischer Ebene zu einer beträchtlichen Abnahme kreolischer Elemente im Regionalfranzösischen auf La Réunion. Während beispielsweise die für das créole réunionnais als typisch geltende Assibilierung oder Nasalpalatisierung bereits am Verschwinden sind, „überlebt“ lediglich die Elision des postvokalen /r/ als kreolisches Element im Regionalfranzösisch auf La Réunion (vgl. Bordal/Ledegen 2009, 198). Die letzte und bisher einzige Studie spezifisch zum postvokalen /r/ wurde von Bordal 2006 in Anlehnung an das Projekt Phonologie du Français Contemporain (PFC) durchgeführt. Im Rahmen zweier unterschiedlicher sprachwissenschaftlicher Methoden wurden Daten von insgesamt 30 Sprecherinnen und Sprechern mit L1 créole réunionnais erhoben.37 Aus praktischen Gründen wurde jedoch letztendlich nur das Sprachmaterial von neun Probandinnen und Probanden analysiert, die eine Liste von 120 ausgewählten Wörtern vorlasen. Bordal kommt zum Ergebnis, dass das postvokale /r/ zu 77% elidiert wird (vgl. Bordal 2006, 78).

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)

3.2. Veränderte Forschungsperspektive: Von der Sprachproduktion zur Sprachperzeption

In den Bereichen der Sozio- und Psycholinguistik wird mit der Grundannahme geforscht, dass akustische Stimuli sowohl bei Produktion als auch deren Verarbeitung mit außersprachlichen Faktoren verknüpft werden. Ausgehend von Labovs Forschungsergebnissen wurde dabei zunächst nachgewiesen, dass Sprecherinnen und Sprecher ihren Sprachgebrauch den konkreten Kommunikationsbedingungen anpassen (vgl. Labov 1966).38 Darauf aufbauend konnte im Rahmen der communication accomodation theory ferner ein divergierender bzw. konvergierender Effekt festgestellt werden, der nicht nur in sozialer Umgebung (vgl. Bourhis/Giles 1977) sondern auch im Kontext ohne direkte Interaktion auftritt (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010).39 In den letzten Dekaden fand in der Sozio- und Psycholinguistik vermehrt eine veränderte Forschungsperspektive Einzug, die den Fokus von der Sprachproduktion zur -perzeption verschob. Diesbezüglich wurden primär Sprecherhaltungen untersucht, die vor allem mithilfe von spezifischen Interviewtechniken explizit ermittelt wurden. Da die Authentizität der Sprecherantworten jedoch mit dem Verweis auf das observer’s paradox und die political correctness angezweifelt wurden, entstanden neue Methoden: Anstatt die Probanden, wie bisher, mit einer Meinungsbefragung direkt zu konfrontieren, sollten diese in ihrer neuen Rolle als Hörerinnen und Hörer Sprachmaterial eigenständig bewerten. Unter Einbezug neurowissenschaftlicher Untersuchungen wurde dabei davon ausgegangen, dass akustische Stimuli nicht nur phonetisch verarbeitet, sondern je nach individueller Erfahrung mit spezifischen sozialen Attributen in Verbindung gebracht und als „exemplar clouds“ (Pierrehumbert 2002, 10) im Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Diesbezüglich konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Probanden auf Grundlage von Sprachmaterial Rückschlüsse auf die Ethnie (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999), sexuelle Orientierung (vgl. Babel/Munsin 2007) sowie soziale Herkunft oder Persönlichkeitsmerkmalen (vgl. Addington 1968)der Sprecherin oder des Sprechers zogen.40 Da bestimmte Verbindungen zwischen sprachlichen Phänomenen und deren soziale Bewertung aufgrund von mehrfach replizierten Studien als relativ gesicherte Kenntnisse galten, setzten sich Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler mit neuen Forschungsansätzen auseinander. Sollten die Probanden bei den anfänglichen Studien den akustischen Stimuli noch soziale Einschätzungen entnehmen, wurde dies nun umgekehrt angewandt. Den Hörerinnen und Hörern wurden im Rahmen von sprachwissenschaftlichen Studien gezielt soziale Information mit akustischen Impulsen vermittelt, während die Versuchsleiterinnen und Versuchsleiter bereits vorab eine Vorhersage über deren phonetische Wahrnehmung der Probanden formulierten. Beispielweise konnte nachgewiesen werden, dass die auditive Wahrnehmung der Testpersonen von dem Dialekt des Versuchsleiters (vgl. Brunelle/Jannedy 2007), der eigenen Sprecherhaltung (vgl. Babel 2010) oder von Abbildungen (vgl. Staum Casasanto 2008), die in den Versuchsablauf integriert wurden, maßgeblich beeinflusst wurden.

Für das Experimentaldesign der vorliegenden Bachelorarbeit dient die Studie von Jannedy und Weirich (2014) als Vorlage, weshalb im Folgenden deren methodische Vorgehensweise kurz dargestellt wird. Auf Grundlage dessen wird in den Punkten 4.1 bis 4.5 auf bewusste Abweichungen in Bezug auf Versuchsaufbau und statistischen Auswertungen eingegangen und genauer erörtert. Die Grundlage für die Studie von Jannedy und Weirich (2014) stellt der sogenannte divergierende Perzeptionseffekt dar, den sie folgendermaßen definieren: „The differential categorization of identical stimuli depending on the presence of a prime is described as a perceptual divergence effect.“ (Jannedy/Weirich 2014, 91) Im konkreten Experiment waren die priming conditions die Namen von zwei unterschiedlichen Berliner Ortsteilen: Einerseits das urbane Kreuzberg, das als kultureller Schmelztiegel der Hauptstadt vor allem mit jungen Menschen mit multiethnischer Familienverwurzelung assoziiert wird und andererseits das eher ländlich wahrgenommene Zehlendorf, dessen Bewohner vor allem der deutschen Mittelklasse zugeordnet werden  (ebd.: 100f.). Alle Testpersonen hörten dieselben akustischen Stimuli mit synthetisierten Frikativen, die sich innerhalb des Kontinuums zwischen /ç/ und /ʃ/ befinden und entweder als Fichte /fɪçtə/ oder fischte /fɪʃtə/ eingeordnet werden können. Das Minimalpaar wurde bewusst ausgewählt, da vorausgehende Studien nachwiesen, dass junge Sprecherinnen und Sprecher des Berliner „Hood German“ (ebd.: 92) /ç/ als [ʃ] aussprechen. Die Probanden füllten zunächst ein Blatt mit persönlichen Angaben aus und wurden von der Versuchsleiterin bewusst darum gebeten ihre Gruppenzuteilung – entweder Kreuzberg oder Zehlendorf – auf dem Dokument zu überprüfen. Anschließend hörten die Testpersonen jeweils zehnmal die 14 ausgewählten akustischen Stimuli in randomisierter Reihenfolge und ordneten diese im Rahmen einer word identification response task entweder dem Bild eines Fichtenwaldes oder eines fischenden Mannes zu. Während die Probanden mit denselben akustischen Stimuli und visualisierten Antwortmöglichkeiten konfrontiert wurden, besteht der entscheidende Unterschied darin, dass auf einer präparierten Antwortbox entsprechend der Zuordnung entweder Kreuzberg oder Zehlendorf geschrieben stand (vgl. Abbildung 2). Jannedy und Weirich (2014) kommen nach Analyse der erhobenen Daten zu folgender Schlussfolgerung: Ein divergierender Perzeptionseffekt kann zwar bei den Hörerinnen und Hörer der mittleren und älteren Altersgruppe festgestellt werden, interessanterweise jedoch nicht bei den Jüngeren. Konkret anhand von Ergebnissen bedeutet dies, dass Probanden der Generation 30+ und 50+ die akustischen Stimuli in der Gruppenzuordnung Kreuzberg signifikant häufiger als /ʃ/ kategorisieren, wie vergleichsweise in der Zuordnung Zehlendorf oder in der Kontrollgruppe, wohingegen die Hörerinnen und Hörer in den Zwanzigern wider Erwarten nicht von der Angabe eines geographischen Indikators beim Experiment beeinflusst scheinen (vgl. ebd.: 113-117).

Die für die priming condition Kreuzberg präparierte Antwortbox mit zwei Knöpfen (vgl. Jannedy/Weirich 2014, 104). Der linke blaue Knopf visualisiert einen jungen Mann beim Fischen und repräsentiert das Zielwort fischte /fɪʃtə/. Der rechte grüne Knopf stellt einen Nadelwald dar und repräsentiert das Zielwort Fichte /fɪçtə/ dar. In der Mitte steht die priming condition Kreuzberg geschrieben.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).

4. Methodik

Gegenstand der vorliegenden Bachelorarbeit ist der divergierende Perzeptionseffekt. Während Jannedy und Weirich (2014) diesen im Kontext des palatalen Frikativs im Hood German untersuchen, wurde für die vorliegende Bachelorarbeit die Elision des kreolischen postvokalen /r/ ausgewählt. Dieses spezifische phonetische Phänomen ist besonders interessant, da seine zu untersuchende (In)Stabilität in Zusammenhang mit den soziolinguistischen Veränderungen seit der départementalisation steht. Nach Vorlage von Jannedy und Weirich (2014) wird das phonetische Phänomen anhand eines Minimalpaares konkretisiert: Für die vorliegenden Studie zum Regionalfranzösisch auf La Réunion wurden fou /fu/ (dt. ‘verrücktʼ) und four /fuʀ/ (dt. ‘Ofenʼ) ausgewählt. /fu/ und /fuʀ/ wurden in einem akustischen Kontinuum eingebettet, wobei Stimulus 1 [fu] darstellt und sich schließlich schrittweise bis Stimulus 9 [fuʀ] nähert. Die Probandinnen und Probanden werden gemäß der Ausgangsstudie in drei unterschiedliche priming conditions unterteilt: die neutrale Kontrollgruppe (Gruppe CG), die Gruppe La Réunion (Gruppe LR) oder die Gruppe Paris (Gruppe PA). Die Hörerinnen und Hörer müssen in einer word identification response task die akustischen Stimuli entweder dem Bild eines Ofens oder einem verrückten Wissenschaftler zuordnen. Im Rahmen des divergierenden Perzeptionseffekts werden die folgenden zwei Hypothesen untersucht: Neigen die Testpersonen in der Gruppe LR eher dazu [fu] zu hören, da sie La Réunion mit dem créole réunionnais verbinden? Und tendieren im Vergleich dazu die Testpersonen in der Gruppe PA eher dazu [fuʀ] zu hören, da sie Paris mit dem Standardfranzösisch verbinden? Im Folgenden wird auf die Versuchsbeschreibung, priming conditions, Testpersonen, akustischen Stimuli und statistische Vorgehensweise genauer eingegangen.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).

4.1. Versuchsbeschreibung

Das Perzeptionsexperiment zum postvokalen /r/ im Regionalfranzösischen auf La Réunion fand zwischen April und Juni 2019 statt und wurde aus praktischen Gründen mehrheitlich in den Universitätsbibliotheken von Saint Denis durchgeführt.41 Der Ablauf des Experiments ist in drei Schritte gegliedert und wird nachfolgend erläutert. In einem ersten Schritt füllten die Probandinnen und Probanden auf einer von der Versuchsleiterin speziell angefertigten Website, Angaben zu ihrem Alter, höchsten Bildungsabschluss, Geschlecht, ihrer Erstsprache sowie zu der auf La Réunion und in Kontinentalfrankreich verbrachten Zeit aus (vgl. Umfrage online). Der zweite Schritt musste gemäß den Vorschriften in Papierform durchgeführt werden, da die Testpersonen für ihre circa 15-minütige Teilnahme mit fünf Euro vergütet wurden und den Erhalt per Unterschrift bestätigten. Auf dem gleichen Dokument trugen sie außerdem in der Rubrik Gruppe gemäß ihrer Zuteilung La Réunion, Paris oder die neutrale Ziffer 1 für die Kontrollgruppe ein (vgl. Anhang 1).42 Den dritten Schritt führten die Probandinnen und Probanden selbstständig und in Abwesenheit der Versuchsleiterin an einem Acer Aspire 13 durch. Am Laptop sind ohrenumschließende Kopfhörer (Superlux MD-660 mit einer Frequenzrate von 10 – 30000 Hz) sowie eine kabellose Maus angebracht, da damit gerechnet werden musste, dass vor allem ältere Testpersonen das Touchpad nicht sicher bedienen können. Die Probandinnen und Probanden bekamen auf der Startseite des Praat-Programms folgende Aufforderung: „Ceci est un audio expérimentation. Après avoir écouté les paroles, choissisez l‘image, qui correspond à votre opinion. Cliquez pour commencer.“43 Bei den paroles handelte es sich um die Stimuli des akustischen 9-Step-Kontinuums zwischen [fu] und [fuʀ], die in randomisierter Reihenfolge in Datenblöcken gesammelt und insgesamt zehnmal von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer angehört wurden. Der erste Datenblock diente zur Gewöhnung und wurde daher nicht in die statistische Analyse miteinbezogen (vgl. Anhang 2, Abschnitt 2). Ferner soll angemerkt werden, dass die akustischen Stimuli jeweils nur einmal angehört werden konnten.

Die word identification response task für die Untersuchung des divergierenden Perzeptionseffekts im Regionalfranzösisch auf La Réunion (vgl. Praat; Erstellung des Versuchsaufbaus CM). Links befindet sich die Abbildung eines Ofens (fr. four), während rechts ein verrückter Wissenschaftler (fr. fou) dargestellt wird.

Im Rahmen der word identification response task mussten die Probandinnen und Probanden die akustischen Stimuli entweder dem Bild eines Ofens (fr. four) oder eines verrückten Wissenschaftlers (fr. fou) per Mausklick zuordnen (vgl. Abbildung 3).44 Auf Grundlage der Kategorisierung der Testpersonen wurde ein divergierender Perzeptionseffekt bezüglich der der Elision oder Realisierung des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion untersucht, wobei die Elision bisheriger Forschungen als Indiz für das créole réunionnais gewertet wird und die Aussprache des /r/ als uvularer Vibrant als ein Merkmal des Standardfranzösischen gilt. Nach Vorlage von Jannedy und Weirich (2014) wird neben den akustischen Stimuli auch die entsprechende Zuteilung der priming conditions in der word identification response task wieder aufgegriffen. Wie in der Abbildung 3 exemplarisch für die Gruppe LR dargestellt, steht daher über den beiden Bildern folgender Text: „La Réunion. Faites correspondre les paroles à une image.“

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.

4.2. Priming Conditions

Um einen divergierenden Perzeptionseffekt zu untersuchen, müssen die Probandinnen und Probanden zwar dieselben akustischen Stimuli kategorisieren, werden jedoch in insgesamt drei unterschiedliche priming conditions eingeteilt. Da im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit die Elision des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion Forschungsgegenstand ist, stellen die priming conditions La Réunion (LR), Paris (PA) und Kontrollgruppe (CG) dar. Gemäß bisherigen Studien wird die Elision des postvokalen /r/ dem créole réunionnais zugeordnet, während im Vergleich dazu die Artikulation als [ʀ] als Charakteristikum des Standardfranzösischen gilt. Gemäß der Ausgangsstudie von Jannedy und Weirich (2014) stellt die Kontrollgruppe einen Referenzwert dar.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.

4.3. Testpersonen

Wichtiges Auswahlkriterium für die Teilnahme am Experiment war, dass die Probandinnen und Probanden weder Einschränkungen beim Sehen noch Hören haben. Um außerdem die Abhängigkeit von zu vielen Variablen zu minimieren, wurden nur aus dem Hexagon oder La Réunion stammende Personen für die Teilnahme an der Studie zugelassen, die dementsprechend als Erstsprache Französisch oder créole réunionnais beherrschten.45 Die Studie zur Untersuchung eines divergierenden Perzeptionseffekt wurde insgesamt 122-mal durchgeführt, wobei nach den Kriterien der Auswahl der Daten (vgl. Punkt 5.1) jedoch nur die Ergebnisse von 79 Probandinnen und Probanden analysiert wurden. Von den 79 Testpersonen waren 43 weiblich und 36 männlich. Die Mehrheit der Probandinnen und Probanden wurden in der Hauptstadt Saint-Denis befragt, während die Studie vereinzelt in Sainte-Anne, Saint-Paul, Saint-Joseph und Étang-Salé les Hauts durchgeführt wurden. In Bezug auf den höchsten Bildungsabschluss handelt es sich um eine relativ homogene Gruppe. Die Altersspanne der Befragten reichte von 18 bis 62 Jahre (vgl. Abbildung 4).

Die Altersverteilung der Probandinnen und Probanden gemäß der Kontrollgruppe sowie der Gruppe La Réunion und Paris (vgl. Anhang 2, Abschnitt 14; Skript CM und MMF). Während der ersten priming group insgesamt 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugeordnet wurden, betrifft dies für die anderen beiden jeweils 30.

Der Median des Alters liegt bei 25, wobei der Mittelwert mit 29.4 Jahren vergleichsweise höher ist. Während der erste Quadrant auf 20 Jahre berechnet, was bedeutet das 25% aller Testpersonen in diesem oder von niedrigerem Alter waren, konnte der dritte Quadrant auf 34.5 Jahre festgelegt werden, was bedeutet das 75% aller Probanden in diesem oder von niedrigerem Alter waren (vgl. Anhang 2, Abschnitt 14).

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.

4.4. Akustische Stimuli

In der vorliegenden Bachelorarbeit wird der divergierende Perzeptionseffekt im spezifischen Kontext des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion untersucht, weswegen aufgrund der passenden Silbenstruktur das Minimalpaar fou und four ausgewählt wurde. Wie bereits in 3.1 angesprochen, handelt es sich hierbei jedoch nicht um Homophone, da eine Elision des postvokalen /r/ mit einer Längung des vorangehenden Vokals einhergeht. Bordal bestätigt, dass das Minimalpaar im Regionalfranzösisch auf La Réunion daher als [fu] und [fu:] realisiert werden (vgl. Bordal 2006, 85). Während beim Erstellen des akustischen 9-Step-Kontinuums das Synthetisieren des uvularen Vibranten [ʀ] sichergestellt wurde, konnte aus praktischen Gründen leider keine Anpassung des Vokals durchgeführt werden. Bei Stimulus 1 handelt es sich dementsprechend um [fu], während in den darauffolgenden Stimuli der uvulare Vibrant immer deutlicher hervortritt und Stimulus 9 schließlich eindeutig als [fuʀ] klassifiziert wird (siehe unten). Die akustischen Stimuli basieren auf speziell für die vorliegende Bachelorarbeit erstellten Aufnahmen, die von einer circa 30-jährigen Sprecherin mit L1 Französisch aus Paris gesprochen werden.

Stimulus 1:


Stimulus 2:

Stimulus 3:

Stimulus 4:

Stimulus 5:

Stimulus 6:

Stimulus 7:

Stimulus 8:

Stimulus 9:

 

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.

4.5. Statistische Vorgehensweise

Für die statistische Auswertung wurde ein generalized linear mixed model (GLMM) mithilfe der glmer-Funktion gefittet, die Teil des lme4 Pakets der R-Software ist. Das GLM-Modell benötigt für die folgenden drei Typen von Elementen:

  • erklärende zufällige Variable
  • erklärende fixierte Variable
  • abhängige (in diesem Fall kategorische) Variable

Im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit stellt die zufällige Variable dir Probandinnen und Probanden dar, während die fixierte Variable Stimulus, Alter, Gruppe, Erstsprache und Geschlecht beinhaltet. Die abhängige Variable beschreibt, ob die Testperson den Stimulus als four kategorisierte oder nicht, wobei die Antwortauswahl fou mit 0 und four entsprechend mit 1 berechnet wurde. In diesem Modell wird eine Logit-Transformation der abhängigen Variabel benutzt.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.

5. Ergebnisse

Nachdem im Punkt 4 auf das methodische Vorgehen der vorliegenden Bachelorarbeit eingegangen wurde, sollen nun daran anschließend die Ergebnisse zur Studie des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion präsentiert werden. In Abweichung von der Ausgangsstudie von Jannedy und Weirich (2014) wird nicht nur das Verfahren der Auswahl der Daten überhaupt erst thematisiert, sondern auch begründet. Um einen neutralen Umgang mit den Daten zu ermöglichen – d.h. um das (Nicht)Auswählen bestimmter Ergebnisse hinsichtlich ihrer Passung zu den beiden Eingangshypothesen auszuschließen – wurde der Ausschluss von Testergebnissen bewusst vor der statistischen Analyse durchgeführt. Diese wurde in der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Version 3.5.3 der R-Software durchgeführt. Die Modifikation der Tabelle sowie die Visualisierung und Berechnung der 50%-Wahrnehmungsschwelle nach dem Vorbild der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind Voraussetzung für eine adäquate Einordnung und Diskussion der Ergebnisse, die im Punkt 6 vorgenommen wird.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.

5.1. Auswahl der Daten

Für die statistische Analyse wurden 6 399 (79 Probanden x 9 Schritte des Kontinuums x 9 Datenblöcke) von den insgesamt 9 882 Antworten (122 Probanden x 9 Schritte des Kontinuums x 9 Datenblöcke) verwendet (vgl. Anhang 2, Abschnitt 3).46 Da – wie bereits in Punkt 4.3 erläutert wurde – eine Teilnahme nur für aus La Réunion oder dem Hexagon stammende Personen vorgesehen war, mussten insgesamt vier Ergebnisse exkludiert werden.47 Weitere sieben konnten ebenfalls nicht für die statistische Analyse verwendet werden, da die Praat-Dateien sich aus technischen Gründen als nicht lesbar herausstellten. Bei der genauen Durchsicht der Antworten fiel ferner auf, dass sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst sehr spät mit dem Kategorisieren der Stimuli begannen. Die Versuchsleiterin vermutet, dass diese Probandinnen und Probanden den verrückten Wissenschaftler zunächst nicht in Verbindung mit fou brachten, da anschließend mehrmals die Rückmeldung gegeben wurde, dass in Bezug auf die Abbildung, Wörter wie médecin (dt. ‘Arztʼ) oder scientifique (dt. ‘Wissenschaftlerʼ) erwartet wurden. In Bezug auf die Auswahl der Daten ist außerdem auffällig, dass die Ergebnisse von insgesamt 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht in die statistische Analyse aufgenommen werden konnten, da lediglich die Antwortmöglichkeit four ausgewählt wurde. Infolge des plotting in der R-Software stellten sich ferner bei neun weiteren Probandinnen und Probanden ein stark atypisches Antwortverhalten heraus (vgl. Abbildung 5).

Die beispielhafte Gegenüberstellung eines zu erwartenden (links) und eines atypischen (rechts) Antwortverhaltens von zwei Testpersonen aus der Gruppe Paris. Die x-Achse stellt die Stimuli von 1 bis 9 dar, die y-Achse stellt den prozentualen Anteil der Antwortauswahl four dar. Während die Antwortauswahl von Testperson 9 (links) einer signoidalen Kurve folgt, erscheint diese bei Testperson 78 (rechts) arbiträr.

Die gegenüberstellenden Darstellungen stellt kontrastiv ein zu erwartendes und ein atypisches Antwortverhalten von zwei Testpersonen derselben priming condition dar. Die exemplarisch ausgewählten Ergebnisse der Testperson 9 auf der linken Seite konnten als eine sigmoidale Kurve geplottet werden, wohingegen die Antwortauswahl von Testperson 78 auf der rechten Seite keinem konsistenten oder logischem Schema folgen. In den beiden Darstellungen sind auf der x-Achse die akustischen Stimuli auf einer Skala von 1 bis 9 abgebildet, während auf der y-Achse die prozentuale Auswahl der Antwort four wiedergegeben wird. So wird beispielsweise deutlich, dass die Testperson 78 den Stimulus 1 zu 80% als four kategorisierte, wobei dieser auditiv eindeutig als [fu] identifizierbar ist. In Bezug auf das atypische Antwortverhalten als auch auf die Antwortauswahl von ausschließlich four fällt auf, dass die entsprechende Anzahl mit neun bzw. 17 Probandinnen und Probanden überraschend hoch ausfällt. Die Tatsache, dass die Ergebnisse relativ gleichmäßig auf die Gruppen CG, LR und PA verteilt sind, spricht in diesem Fall gegen die Beeinflussung einer bestimmten priming condition.48 Denkbare Ursachen könnten Unkonzentriertheit, Nervosität oder fehlende Ernsthaftigkeit seitens der Probandinnen und Probanden sein.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.

5.2. Statistische Analyse

Für die Erstanalyse der vorliegenden Studie wurden der Faktor Geschlecht sowie nach Vorbild der Ausgangsstudie die Interaktion Gruppe:Stimulus miteinbezogen (vgl. Jannedy/Weirich: 106-109). Deren Wichtigkeit wurde evaluiert, indem diese beim GLM-Modell-Fit zunächst miteinbezogen und anschließend ausgelassen wurden. Im entsprechenden Modell stellten sich die Effekte sowohl des Faktors als auch der Interaktion als statistisch nicht signifikant heraus, weshalb diese nicht in die Zweitanalyse inkludiert werden.49 Für die Zweitanalyse werden die Faktoren Gruppe, Stimulus sowie die Interaktion Gruppe:Alter sowie Alter:Erstsprache miteinbezogen.

Tabelle 1: Der Output der Zusammenfassung der GLMM-Analyse (vgl. Anhang 2, Abschnitt 5; Skript CM und MMF). Die Schätzungen der Effekte und Standardfehler werden in der R-Software als Logit transformierte Werte dargestellt. Verwendete Abkürzungen: CG: Kontrollgruppe, LR: La Réunion, PA: Paris, *: p-Wert < 0.05, **: p-Wert < 0.01, ***: p-Wert < 0.001. 

Die Ergebnisse des Outputs der Zusammenfassung der GLMM-Analyse werden nach Vorlage der Studie von Jannedy und Weirich (2014) in Tabelle 1 aufgeführt, wobei diesbezüglich jedoch festgehalten werden sollte, dass die Schätzungen und Standardfehler in den dargestellten Logit-transformierten Werten nicht direkt für eine Interpretation anwendbar sind (vgl. ebd.: 108f.). Um die Logit-transformierten Werte in interpretierbare Wahrscheinlichkeiten zu konvertieren, wird die folgende Gleichung verwendet:

Des Weiteren kann in Bezug auf die Ausgangsstudie angemerkt werden, dass der z-Wert nicht aussagekräftig ist, sondern lediglich für die Zwischenberechnung für den p-Wert benötigt wird. Die p-Werte in Tabelle 1 beziehen sich auf die festgelegten Nullhypothesen und müssen korrekt interpretiert werden.50 In jeder Zeile, d.h. für jede Schätzung, ist die Nullhypothese, dass die geschätzten „wahren“ Werte gleich null sind. Die p-Werte drücken somit die Wahrscheinlichkeit der vorliegenden Daten aus unter der Voraussetzung, dass die „wahren“ Werte 0 sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Schätzungen als Logit-transformierte Werte wiedergegeben werden, wobei die Umrechnung der Logit-Werte von 0 in eine Wahrscheinlichkeit 0.5 oder 50% ergibt (vgl. Gleichung 1), weshalb die Nullhypothese auch so interpretiert werden kann, dass die Schätzungen 50% entsprechen. Diese auf Wahrscheinlichkeit basierende Interpretation wird benötigt, um die Schätzungen des Intercepts zu erörtern.51 Dies soll am konkreten Beispiel erklärt werden: Die erste Zeile der Tabelle 1 stellt den Intercept des GLM-Modells dar und ist der Referenzwert mit dem alle anderen Werte verglichen werden. Der Intercept wurde als eine 20-jährige Person aus der Gruppe LR mit créole réunionnais als Erstsprache festgelegt, die den Stimulus 0 kategorisiert (vgl. Anhang 2, Abschnitt 5).52 Da es jedoch keinen Stimulus 0 gibt, ist die Schätzung für den Intercept nicht direkt interpretierbar. Des Weiteren ist der p-Wert für diesen Intercept nicht aussagekräftig, da er sich auf die Signifikanz der Nullhypothese bezieht. Die Nullhypothese im vorliegenden Kontext geht, wie bereits erwähnt jedoch davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit entsprechend der Referenzbedingung (Gruppe LR, 20 Jahre, L1 créole réunionnais, Stimulus 0) gleich 50% ist, was jedoch keine Hypothese der vorliegenden Bachelorarbeit ist. Die restlichen p-Werte beziehen sich auf die verschiedenen Faktoren, die sich jeweils vom Referenzwert unterscheiden, wobei ein Wert von 0 für diese Faktoren keinen Unterschied zur Referenz bedeuten würde. Beispielsweise wird der Logit-Wert des Faktors Stimulus auf einen positiven Effekt von 1.75 mit eine p-Wert unter 0.001 geschätzt und ist somit hoch signifikant. Konkret bedeutet dies: Jedes Mal, wenn der Stimulus um den Faktor eins erhöht wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Logit-Wert, bezogen auf die Wahrscheinlichkeit four zu wählen, um 1.75 zunimmt. Um beispielsweise die Schätzung für eine 20-jährige Person mit L1 créole réunionnais aus der Gruppe LR, die den Stimulus 4 kategorisiert, zu berechnen, wird der Intercept Wert von -6.28 mit dem Produkt von 1.75 und 4 addiert wird, was zum Ergebnis 0.72 führt. Um 0.72 wiederum in Wahrscheinlichkeit zu transformieren, muss der Wert in die Gleichung 1 eingesetzt werden, sodass man 0.67 als Ergebnis erhält (vgl. Gleichung 2).

Dies bedeutet, dass unter den oben aufgeführten Bedingungen die Testperson zu 67% die Antwortmöglichkeit four auswählen wird. Neben Stimulus sind außerdem auch die in Tabelle 1 aufgelisteten Faktoren Gruppe PA, GruppeLR:Alter und GruppePA:andere_Erstsprache signifikant, was im Folgenden genauer erläutert wird. Die Schätzung der Gruppe PA bezieht sich auf den Unterschied der beiden Gruppen, was bedeutet, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen Probanden in der Gruppe LR und der Gruppe PA gibt (p=0.018). Die Schätzung dieses Unterschieds beträgt auf der Logit-Skala 1.19, d.h. wenn das bereits verwendete Beispiel (Gruppe LR, 20 Jahre, L1 créole réunionnais, Stimulus 4) auf die Gruppe PA angewendet werden soll, muss 0.72 mit 1.19 addiert werden und führt zur Summe 1.91. Wird 1.91 wiederum in Wahrscheinlichkeit umgewandelt, erhält man 0.81 (vgl. Gleichung 3).

Dies bedeutet, dass unter der neuen Bedingung (Gruppe PA, 20 Jahre, L1 créole réunionnais, Stimulus 4) die Testperson zu 81% die Antwortmöglichkeit four auswählt. Die restlichen signifikanten Faktoren beziehen sich auf die Interaktion von GruppeLR:Alter und GruppePA:andere_Erstsprache. Eine Interaktion dieser Faktoren bedeutet, dass der Effekt von Alter und Erstsprache von der Gruppenzugehörigkeit abhängt, d.h. Alter hat nur einen signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, four als Antwortmöglichkeit auszuwählen, wenn die Testperson in der Gruppe LR ist. Der Faktor Erstsprache hingegen hat nur einen signifikanten Effekt, wenn die Testperson in der Gruppe PA ist. Für Probanden aus der Gruppe LR scheint Alter einen signifikant negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit four als Antwortmöglichkeit auszuwählen zu haben, d.h. je älter die Testperson, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit four zu wählen. Zusammenfassend können die in Tabelle 1 dargestellten Ergebnisse daher folgendermaßen interpretiert werden:

  • Probandinnen und Probanden in der Gruppe PA haben eine stärkere Tendenz four als Antwortmöglichkeit zu wählen bzw. [fuʀ] zu hören (p = 0.018).
  • Probandinnen und Probanden in der Gruppe LR haben eine stärkere Tendenz fou als Antwortmöglichkeit zu wählen bzw. [fu] zu hören, je älter sie sind. Das bedeutet außerdem, dass der Unterschied zwischen den beiden Gruppen mit dem Alter der Probanden steigt.
Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.

5.3. Modifikation der Tabelle

Bei der Anwendung mehrerer statistischer Tests werden die p-Werte üblicherweise „korrigiert“, da mehr Tests auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit führen, dass einer oder mehrere davon zufällig signifikant ist. Bei Tabelle 2 handelt es sich daher um eine modifizierte Version, bei der die nicht angepassten p-Werte neben den angepassten abgebildet sind. Die p-Werte wurden anhand der Holm-Methode und der Funktion p.adjust in der R-Software angepasst (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5). In Tabelle 2 sind die angepassten p-Werte nicht mehr für die Faktoren Gruppe PA und die Interaktion GruppePA:andere_Erstsprache signifikant, obwohl diese nach wie vor im Vergleich zu den anderen Werten, beinahe an das Signifikanzlevel von 0.05 heranreichen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es keinen Unterschied zwischen den Gruppen gibt, sondern spiegelt lediglich die Tatsache wider, dass es erhebliche Variation innerhalb der Gruppen geben könnte. Damit die angepassten p-Werte signifikant werden, müssten mehr Daten erhoben werden, da der p-Wert mit größer werdender Anzahl an Stichproben kleiner wird. Selbst wenn die angepassten p-Werte nicht signifikant sind, kann trotzdem geschlossen werden, dass die Gruppenzugehörigkeit und die Erstsprache die Probanden der Gruppe PA beeinflussen. Um diese Tendenz jedoch zu bestätigen, wäre eine größer angelegte Studie notwendig, da eine höhere Anzahl an Probandinnen und Probanden die Variation der Schätzungen verkleinern.

Tabelle 2: Modifizierte Tabelle. Im Gegensatz zur Tabelle 1 wurden hier die z-Werte entfernt und die angepassten p-Werte eingefügt. 

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.

5.4. Visualisierung und Berechnung der 50%-Wahrnehmungsschwelle

Der GLM-Modell-Fit und die Proportionen für die Mittelwerte von der Antwortmöglichkeit four in der Gruppe LR und Gruppe PA wurden in der Abbildung 6 geplottet. Dabei soll festgehalten werden, dass sich der Modell Fit auf die durchschnittlichen Probandinnen und Probanden in Hinblick auf Alter und Erstsprache bezieht. Die Abbildung zeigt, dass die Kurven der erhobenen Daten (in rot und blau) mit der gefitteten Linie (gestrichelt) übereinstimmen, da sie sich nah an den entsprechenden Punkten befinden.

Um die erbrachten Ergebnisse besser nachvollziehbar zu gestalten, wurden in einem weiterführenden Schritt und analog zur Studie von Jannedy und Weirich (2014) die Werte für die 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass eine Person four als Antwortmöglichkeit auswählt anhand der Parameter von Tabelle 2 für die Gruppe LR und die Gruppe PA berechnet (vgl. Anhang 2, Abschnitt 7). Die 50%-Wahrnehmungsschwelle hängt dabei von sämtlichen Parameter des GLM-Modells ab.53 Um daher die Komplexität zu reduzieren und gleichzeitig die Verständlichkeit zu maximieren, wurde der Wert für die Gruppe LR und Gruppe PA, exemplarisch für einen 20-jährigen Probanden mit L1 créole réunionnais berechnet. Das Alter von 20 Jahren und L1 créole réunionnais sind die Referenzwerte des Intercept, was bedeutet, dass die Interaktionsfaktoren nicht in die Berechnung inkludiert werden (vgl. Tabelle 2). Unter diesen Bedingungen wird die Wahrnehmungsschwelle anhand folgender Gleichung berechnet:

Stim50% stellt in der Gleichung 4 den Stimuluswert dar, bei der eine Person mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit die Antwortmöglichkeit four auswählt, während EStim sich auf die Modellschätzung von Stimulus bezieht. Gruppe PA gibt an, ob es sich um die Gruppe PA handelt, während E_GruppePA die Modellschätzung für Gruppe PA anzeigt. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle für eine Person aus der Gruppe LR beträgt daher 3.95 (vgl. Gleichung 5), während er für eine Person aus der Gruppe Gruppe PA bei 2.91 liegt (vgl. Gleichung 6).

Genauso können die 50%-Wahrnehmungsschwellen für eine Probandin oder einen Probanden der älteren Generation berechnet werden (vgl. Gleichung 7). Für eine 60-jährige Testperson wird die 50%-Wahrnehmungsschwelle für die Gruppe PA auf 2.61 (vgl. Gleichung 8) und für die Gruppe LR auf 4.50 (vgl. Gleichung 9) berechnet.

Mit einer komplexen Gleichung können anhand des Mittelwerts des Alters und dem Anteil der französischsprachigen Probanden die 50%-Wahrnehmungsschwelle für den durchschnittlichen Probanden in der Gruppe PA (3.24) und in der Gruppe LR (3.71) berechnet werden (vgl. Anhang 2, Abschnitt 7). Die beiden Werte sind zusammen mit der gefitteten Modellkurve in der Abbildung 6 dargestellt.

Visualisierung des Unterschieds zwischen der Gruppe LR und Gruppe PA (vgl. Anhang 2, Abschnitt 10.1; Skript CM und MMF). Die Modellvorhersage wurde als Wahrscheinlichkeiten die Antwortmöglichkeit four in der Gruppe LR (rot) und Gruppe PA (blau) auszuwählen gegen die Stimulusnummer geplottet. Die zwei vertikalen, schwarz gestrichelten Linien zeigen den 50%-Wahrnehmungsschwelle für die jeweils beiden Gruppen an.

Abbildung 6 zeigt den Unterschied zwischen den Gruppe LR und Gruppe PA für die durchschnittlichen Testperson. Die Darstellung verdeutlicht, dass die Wahrscheinlichkeit four als Antwortmöglichkeit auszuwählen mit der Stimulusnummer ansteigt. Die Abbildung zeigt ebenfalls den divergierenden Perzeptionseffekt anhand der 50%-Wahrnehmungsschwelle: Im Vergleich zur Gruppe LR (bei Stimulus 3.7) hat die Gruppe PA (bei Stimulus 3.2) eine sichtbar stärkere Tendenz four als Antwortmöglichkeit auszuwählen (vgl. Anhang 2, Abschnitt 7).

Visualisierung des Unterschieds zwischen der Gruppe LR und PA anhand einer Altersgruppenzuweisung (vgl. Anhang 2, Abschnitt 10.2; Skript CM und MMF). Die Antwortmöglichkeit four in der Gruppe LR (rot) und Gruppe PA (blau) auszuwählen wird für Testpersonen über (links) und unter 35 Jahren (rechts) dargestellt.

Die Abbildung 7 zeigt eine ähnliche Visualisierung wie in Abbildung 6, jedoch mit dem Unterschied, dass lediglich Testpersonen älter als 35 (links) und jünger als 35 Jahre (rechts) abgebildet werden. Die Darstellung verdeutlicht, dass der Unterschied zwischen der Gruppe LR und Gruppe PA für die jungen Probandinnen und Probanden klein ist, während er bei den alten vergleichsweise deutlich hervortritt.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.

6. Diskussion der Ergebnisse

Die statistische Analyse scheint einen divergierenden Perzeptionseffekt und somit die Eingangshypothese vorerst zu bestätigen: Probandinnen und Probanden in der priming condition La Réunion hören vergleichsweise häufig [fu], während die Probandinnen und Probanden der Gruppe Paris die identischen akustischen Stimuli eher als four kategorisieren. In Bezug auf die sigmoidale Kurve (vgl. Abbildung 6) ist jedoch auffallend, dass diese asymmetrisch verläuft, weswegen diesbezüglich im folgenden Abschnitt die Beschaffenheit der akustischen Stimuli thematisiert und deren mögliche Einflussnahme auf die Perzeption der Hörerinnen und Hörer kritisch reflektiert wird. Des Weiteren wird genauer auf den Effekt des Faktors Alter eingegangen, der sich infolge der statistischen Analyse als signifikant herausstellten und ebenfalls anhand der R-Software visualisiert wurde (vgl. Abbildung 7).

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.

6.1. Priming Conditions La Réunion und Paris

Infolge der statistischen Analyse konnte festgestellt werden, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine stärkere Tendenz haben four als Antwortmöglichkeit auszuwählen bzw. [fuʀ] zu hören, wenn sie der priming condition Paris zugeordnet wurden. Diese Tatsache wird einerseits durch die Visualisierung der Modellvorhersage (vgl. Abbildung 6) und andererseits durch entsprechende Berechnungen der 50%-Wahrnehmungsschwelle gestützt. In Bezug auf die Abbildung 6 fällt auf, dass die geplotteten sigmoidalen Kurven asymmetrisch verlaufen. Während der Graph zwar für beide priming conditions ab Stimulus 1 zunimmt und analog dazu bis Stimulus 6 absteigt, flacht er ab Stimulus 7 verhältnismäßig stark ab und erzeugt somit eine sichtbare Unregelmäßigkeit. Die Versuchsleiterin vermutet, dass es einen Zusammenhang zwischen der vorliegenden Forschungsfrage und der Tatsache gibt, dass die phonologische Wahrnehmung als „gestaltbildende[s] Verfahren“ (Krefeld 2001, 1345) organisiert ist. Denn die Wahrnehmung ist in diesem Zusammenhang nicht als „negative Perzeption von distinktiven Unterschieden [zu verstehen], sondern [als] positive Identifikation von Inhalten.“ (ebd.: 1345) Konkret bedeutet dies daher, dass sich die Elision des postvokalen /r/ aus phonologischer Sicht als subtraktives Phänomen darstellt, weswegen die Probandinnen und Probanden eher dazu neigen ein /r/ zu kategorisieren, obwohl dieses auditiv z.T. in nur sehr abgeschwächter Weise wahrnehmbar ist. Hinsichtlich der akustischen Stimuli kann des Weiteren angemerkt werden, dass im Rahmen des 9-Step-Kontinuums aus praktischen Gründen keine Längung des vorangehenden Vokals vorgenommen werden konnte (vgl. 3.4). Es ist daher möglich, dass sich dies zuungunsten der Authentizität und somit Kategorisierung von fou auswirkt. Drager argumentiert diesbezüglich, dass vor allem eine Kombination von phonetischen Merkmalen, die Perzeption der Hörerinnen und Hörer begünstigt: „[L]isteners make judgements about a speaker depending on multiple phonetic cues in the speech signal.“ (Drager 2010) Es ist daher denkbar, dass sich die in Abbildung 6 dargestellten Unterschiede zwischen der Gruppe LR und PA bei einer zusätzlichen Synthetisierung des vorangehenden Vokals kontrastreicher darstellen würden. Nicht nur die Visualisierung, sondern auch die Berechnungen der 50%-Wahrnehmungsschwelle scheinen die Hypothese eines divergierenden Perzeptionseffekts zu stützen. Während sich der entsprechende Wert für die durchschnittlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe PA auf 3.24 beläuft, wurde er für die Gruppe LR auf 3.71 berechnet (vgl. Punkt 5.4). Die 50%-Wahrnehmungsschwelle drückt somit in Bezug auf die Stimulusnummer aus, dass die Probandinnen und Probanden der Gruppe PA früher und somit häufiger four kategorisieren als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Gruppe LR. Diese Ergebnisse der vorliegenden Perzeptionsstudie bestätigen folglich im Umkehrschluss die Resultate des Produktionsexperiments von Bordal 2006. Während vor dreizehn Jahren nachgewiesen wurde, dass 77% der Sprecherinnen und Sprecher mit L1 créole réunionnais das postvokale /r/ elidieren, wird nun passend dazu ergänzt, dass die Hörerinnen in Hörer in der priming group La Réunion eher dazu tendieren [fu] zu hören (vgl. Bordal 2006, 78). Wie erklärt sich jedoch der scheinbar persistierende, kreolische Einfluss auf das Regionalfranzösisch auf La Réunion? Wie lassen sich ferner die konkreten Ergebnisse der vorliegenden Bachelorarbeit interpretieren? Und welche Schlussfolgerungen können daraus gezogen werden?

Die Elision des postvokalen /r/ als Einfluss des créole réunionnais lässt per definitionem zwei grundsätzliche Argumentationslinien zu: Erstens kann aus phonologischer und phonetischer Perspektive auf das Phänomen der Elision eingegangen werden, zweitens kann aus soziolinguistischer Sicht der Status des créole réunionnais auf der Insel reflektiert werden.

Aus dem phonologischen und phonetischen Standpunkt kann zunächst auf die verwendete Metapher von Pustka verwiesen werden. Demzufolge „tarnt“ sich das „Chamäleon-/r/“ nicht nur im heutigen Sprachgebrauch auf La Réunion, sondern unter anderem auch in östlichen Regionen des Hexagons oder in Québec als Elision und kann somit im Allgemeinen als ein relativ häufig auftretendes Phänomen eingestuft werden (Pustka 2012, 271).54 Bordal spezifiziert außerdem, dass die Häufigkeit der Elision des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion zusätzlich durch bestimmte Positionen der Silbe oder die Qualität des vorangehenden Vokals maximiert wird (vgl. Bordal 2006, 72). Des Weiteren kann in Anlehnung an Pörings und Schmitz die Elision als ein Charakteristikum des „informelle[n], schnelle[n] Sprechens [und] Teil der Umgangslautung“ (Pörings/Schmitz 2003, 131) verstanden werden. In Bezug auf das créole réunionnais kann daher zunächst eine Verbindung zu seiner im Punkt 2.2 bereits erwähnten sprachgeschichtlichen Entstehung gesehen werden. Denn das créole réunionnais entwickelte sich, indem die Sklavinnen und Sklaven den Versuch unternahmen ihren Sprachgebrauch der „approximation du français“ (Chaudenson 2003b, 449) der bereits ansässigen, madagassischen serviteurs sowie der vorherrschenden Umgangssprache der französischen Siedlerinnen und Siedler anzunähern. Bis in die heutige Zeit bleibt das créole réunionnais primär im Mündlichen verankert, was sich unter anderem darin manifestiert, dass es nach wie vor keine einheitliche und standardisierte Norm gibt. Bavoux konstatiert diesbezüglich: „[Le vrai créole est] une langue orale qu’on ne veut pas […] enfermer dans le carcan de l’écrit.“ (Bavoux 2002, 78)

Aus dem soziolinguistischen Standpunkt kann der Status des créole réunionnais als möglicher Grund angeführt werden, dass die Hörerinnen in Hörer in der priming group La Réunion eher dazu tendieren [fu] zu hören. Im Besonderen die Ereignisse seit der départementalisation beeinflussen die aktuelle (Sprach)Situation auf der Insel nachhaltig und positionieren das Regionalfranzösisch auf La Réunion im Spannungsfeld zwischen Französisierungstendenzen und Aufwertungsbestrebungen der Kreolsprachen. Baggioni führt diesbezüglich an: „[L]es influences du créole combattent les tendances à l’alignement du français standard.“ (Baggioni 1991, 88) Welche Umwälzungen führten jedoch genau dazu, dass sich die kreolischen Einflüsse gegen die französischen behaupten können?

Die Versuchsleiterin vermutet, dass der Einzug des créole réunionnais in den öffentlichen Raum einen entscheidenden Einfluss ausübt, was vor allem im Kontext der Medien und des Bildungswesens exemplarisch demonstriert werden kann. Während sich in den 1960ern zunächst die französische Sprache durch die Schulpflicht und das Aufkommen neuer Medien in dem DROM verbreitete, beginnt sich zwei Dekaden später das créole réunionnais ebenfalls in der medialen Landschaft zu etablieren. Ledegen führt in diesem Zusammenhang an, dass die ursprünglich im Untergrund gegründete Radio- und Fernsehstation FreeDom einen ausschlaggebenden „accelélérateur sociolinguistique“ (Ledegen 2011, 167) darstellt. Wurde das créole réunionnais zuvor aufgrund seiner Abweichung vom hexagonalen Standard als „démi français“ (Carayol/Chaudenson 1978, 185) karikiert, erfährt es in seiner neuen Rolle als öffentlichkeits- und debattierfähige Sprache eine wichtige Aufwertung. Diese manifestiert sich auch in den Sprecherhaltungen, indem die „culpabilité linguistique“ (ebd.: 185) der älteren Generation zugunsten „positionnements plus sereins“ (Ledegen 2007, 155) bei den jungen Sprecherinnen und Sprechern wechselt. Das créole réunionnais scheint dadurch nicht nur das ihm seit Beginn der Kolonialzeit anhaftende Stigma allmählich zu verlieren, sondern beginnt sich darüber hinaus als Erstsprache der Bevölkerungsmehrheit im regionalen Sprachstandard bemerkbar zu machen. Dieser definiert sich als „métissage du français et du créole, un mélange bien assumé dans l’ensemble“ (Najède 2004, 141) und verdeutlicht, dass das créole réunionnais authentischer und akzeptierter Bestandteil des Regionalfranzösisch auf La Réunion darstellt. Nachdem bereits seit den 1970er Jahren auf lokaler Ebene für die Aufwertung des créole réunionnais gekämpft wurde, erfolgt im Jahr 2000 für alle Kreolsprachen der DROM die offizielle Anerkennung als Regionalsprachen Frankreichs. Zwei Jahre später wird zusätzlich ein weiterer wichtiger Meilenstein in der kreolischen Sprachgeschichte gelegt, indem die Kreolvarietäten durch die Einrichtung eines entsprechenden CAPES Einzug in den Bildungssektor der Grande Nation finden. Diese beiden Maßnahmen stärken nicht nur das Selbstbewusstsein der kreolischen Sprachgemeinschaft, sondern wirkt sich zudem auch positiv auf das Verständnis der eigenen Identität aus. Gemäß Baggioni definieren sich die Bewohnerinnen und Bewohner auf La Réunion in erster Linie in Abgrenzung von Kontinentalfrankreich, was sich an gegensätzlichen Begriffen dedan und déor bzw. zwischen nasion und kont-nasion verdeutlicht und sich daher möglicherweise in einem bewusst Kreolisch geprägtem Sprachgebrauch äußert (vgl. Baggioni 1991, 119). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine komplexe Serie an Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern schließlich zur Legitimation des créole réunionnais durch den französischen Staat führt, was sich sowohl positiv auf die Sprecherhaltungen als auch auf den kreolischen Sprachgebrauch auswirkt. Die Tatsache, dass die Hörerinnen und Hörer des vorliegenden Sprachexperiments in der priming condition La Réunion vergleichsweise häufig [fu] kategorisiere, erscheint in diesem Kontext daher einleuchtend.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.
Die Elision des postvokalen /r/ tritt ferner auch in anderen Kreolsprachen wie beispielsweise dem mauricien, haïtien und dem guadeloupéen auf. Innerhalb der romanischen Sprachen ist es des Weiteren im Katalanischen und kubanischen Spanisch zu verzeichnen, während es im germanischen Sprachraum speziell in der deutschen und niederländischen Sprache untersucht wurde (vgl. Nikiema 2002, 91). Im Dänischen wurde die Elision des Phänomens sogar mit dem dramatischen Begriff „stavelseskannibalisme“ (Skyum-Nielsen 2008, 342) bezeichnet.

6.2. Faktor Alter

Infolge der statistischen Analyse konnten zwei Aspekte bezüglich des Faktors Alter festgestellt werden, die ein differenziertes Bild der Ergebnisse aus Punkt 6.1 zulassen. Erstens konnte festgestellt werden, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe LR eine stärke Tendenz haben fou zu wählen bzw. [fu] hören, je älter sie sind. Zweitens visualisiert die Abbildung 7, dass der divergierende Perzeptionseffekt zwischen den beiden Gruppen mit abnehmendem Alter der Probandinnen und Probanden kleiner wird. Beide Aspekte sind hinsichtlich der Ausgangsstudien von Bordal (2006)  sowie Jannedy und Weirich (2014) hochinteressant und werden im Folgenden genauer reflektiert.

In Bezug auf Ersteres kann festgestellt werden, dass das Ergebnis überraschenderweise nicht mit dem entsprechenden Befund aus dem Sprachproduktionsexperiment übereinzustimmt: „[O]n ne constate aucune corrélation entre l’âge […] des locuteurs et leur taux de chute.“  (Bordal 2006, 78)55 Die Versuchsleiterin vermutet jedoch, dass sich dieses ungewöhnliche Ergebnis mit der geringen Anzahl an Probandinnen und Probanden begründet lässt und somit nur eingeschränkt über Aussagekraft verfügt. Denn während bei der Studie von Bordal lediglich neun Aufnahmen für die Analyse verwendet werden konnten, stützt sich die vorliegende Bachelorarbeit auf die Resultate von 79 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Was könnten jedoch mögliche Gründe dafür sein, dass die Probandinnen und Probanden aus der Gruppe LR mit zunehmendem Alter eine stärkere Tendenz haben [fu] zu hören?

Es kann zunächst angeführt werden, dass mit zunehmendem Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass diese in ihrer Sprachbiographie von der diglossischen Sichtweise beeinflusst wurden. Obwohl das sprachwissenschaftliche Konstrukt der Diglossie bereits seit den späten 1960ern zunehmend kritisch reflektiert wird, belegen Studien, dass die dichotomische Sicht auch in den darauffolgenden Dekaden noch von den Sprecherinnen und Sprechern auf La Réunion vertreten wird (vgl. Genouvrier/Gueunier/Khomsi 1978). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die älteren Probandinnen und Probanden in ihrem Sprachbewusstsein auch stärker von einem Unterschied zwischen Französisch und créole réunionnais geprägt wurden – und daher in der Gruppe LR mit [fu] auch häufiger die Antwortmöglichkeit der kreolischen Elision wählen. Diese Argumentation ist sowohl für Sprecherinnen und Sprecher mit L1 Französisch als auch für diejenigen mit L1 créole réunionnais schlüssig, wobei in Bezug auf letztere ein zusätzlicher Aspekt angemerkt werden kann. Seit der départementalisation wird das von der Bevölkerungsmehrheit gesprochene créole réunionnais in die Privatsphäre der Familien zurückgedrängt und kann somit als Auslöser für die Identitätsfindung in Abgrenzung vom hexagonalen Standard interpretiert werden. Die kreolische Sprache wird trotz der Dominanz des Französischen weiterhin von der Bevölkerungsmehrheit auf La Réunion gesprochen und möglicherweise genau deswegen als Gegenreaktion mit positiven Attributen versehen. Dies kann mit den beiden folgenden Aussagen exemplarisch belegt werden:

  •  „[Le créole réunionnais est] une langue dans laquelle on se sent à l’aise, parce qu’elle est la langue de la connivence et de la familiarité, face au français dans lequel on se sent gêné, contraint.“ (Bavoux 2002, 71)
  • „Le créole c’est la langue qu’on aime, à laquelle on est très attaché, la langue du cœur, le français, c’est la langue qu’il faut apprendre.“ (ebd.: 72)

Daraus kann abgeleitet werden, dass die älteren Hörerinnen und Hörer mit L1 créole réunionnais möglichweise durch eine starke emotionale Bindung besser mit der Sprache vertraut sind und in der Gruppe LR daher eher die Elision des postvokalen /r/ kategorisieren. In Bezug auf diesen Erklärungsansatz kann ebenfalls die nachfolgende Äußerung einer 51-jährigen Probandin herangezogen werden: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Zwar wird nicht spezifiziert, welche Altersgruppe genau für die Bezeichnung ‚vrai créole‘ als legitimiert betrachtet wird, allerdings kann davon ausgegangen werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Großeltern- oder Elterngeneration aus der Sicht der Teilnehmerin damit gemeint ist, was sich wiederum passend in die vorher aufgeführte Argumentation fügt.

Im Folgenden soll der in Abbildung 7 visualisierte Befund genauer analysiert werden.56 Dieser zeigt, dass der Unterschied zwischen der Gruppe LR und PA mit abnehmendem Alter sinkt. Bzw. aus der Perspektive der Eingangshypothese kann festgestellt werden, dass der divergierende Perzeptionseffekt bemerkenswerterweise nicht auf die jüngere Generation zuzutreffen scheint. Wie lässt sich dies jedoch erklären, zumal im Punkt Punkt 6.1 schlüssig dargelegt wurde, dass sich die kreolische Sprache gegen die Französisierungstendenzen durchsetzen konnten? Die Versuchsleiterin wird im Folgenden drei Erklärungsansätze präsentieren.

Zunächst lassen sich die beiden Hauptargumente des ersten Befunds in diesem Zusammenhang in ex negativo anwenden, d.h. die jüngere Generation ist in ihrer Sprachbiographie weder von der diglossischen Sichtweise geprägt noch scheint sie eine ähnlich tiefgehende emotionale Bindung an das créole réunionnais zu haben wie die ältere Generation. Daran anschließend kann außerdem hinzugefügt werden, dass die jungen Probandinnen und Probanden im Prozess der sprachlichen Identitätsfindung nicht mehr regional eingeschränkt sind, sondern als Digital Natives in dem Verständnis einer globalen Gemeinschaft aufwachsen und zudem mehr Möglichkeiten haben sich durch den technischen Fortschritt mit Gleichaltrigen auszutauschen. Darüber hinaus profitieren sie – anders als z.T. die Eltern- und Großelterngeneration (vgl. 2.3) – von fest etablierten, demokratischen Strukturen auf La Réunion, was sich im Sprachgebrauch und in den Sprecherhaltungen bemerkbar macht. Denn gemäß Ledegen löst die verbesserte soziale Mobilität die Sichtweise einer streng komplementären Aufteilung des créole réunionnais und Französischen auf, sodass die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer „des positionnements plus sereins“ (Ledegen 2007, 155) vertreten und sich sprachlich in einer „dans une dynamique interlectale où les deux langues coexistent dans un contexte moins tendu“ (ebd.: 155) bewegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, dass der Unterschied zwischen den priming conditions La Réunion und Paris bei der Kategorisierung identischer Stimuli im Vergleich zu den älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer klein ausfällt.

Wie lässt sich jedoch die Tatsache erklären, dass die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Elision des postvokalen /r/ nicht mit einer bestimmten Sprechergruppe in Verbindung zu bringen scheinen? In Rückbezug auf die Argumentation aus 6.1 kann zunächst differenziert werden, dass zwar durchaus bestimmte Maßnahmen zur qualitativen Aufwertung des créole réunionnais implementiert wurden, dass nichtsdestotrotz auf quantitativer Ebene eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) der kreolischen Sprache zu vermerken ist. Zwar findet das créole réunionnais ab den 1980ern schrittweise Einzug in die mediale Öffentlichkeit, hinsichtlich der jungen Generation kann aber darauf hingewiesen werden, dass sich diese von klassischen Fernsehsendungen ab- und mittlerweile zum Streaming hinwenden (vgl. Niemand et al. 2019, 237). Im Kontext von La Réunion ist daher folgender Erklärungsansatz denkbar: Während Télé FreeDom zwar in den 1980ern eine Vorreiterrolle in der Medienlandschaft des DROM einnimmt, nutzen die Digital Natives heute stattdessen eher die Dienstleistungen von Internetplattformen, wie beispielsweise Netflix. Diese produzieren jedoch in Hinblick auf eine größtmögliche Kundschaft vor allem in Weltsprachen wie Englisch oder Französisch, während eine Produktion in einer Regionalsprache aus Gründen der wirtschaftlichen Rentabilität nicht durchgeführt wird. Im Zusammenhang mit dem sprachwissenschaftlichen Befund der vorliegenden Bachelorarbeit kann daher abgeleitet werden, dass heutzutage die junge Generation auf La Réunion die Medien auf französischer Sprache aufgrund des technischen Fortschritts umfangreicher nutzen kann und daher häufiger mit dem hexagonalen Standard oder – im Kontext beliebter Serien, wie beispielsweise Plan Cœur oder Marseille – dem français métropolitain konfrontiert sind.57 Vor diesem Hintergrund erscheint es daher einleuchtend, dass die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für beide priming conditions ähnliche Kategorisierungen vornehmen und La Réunion nicht spezifisch mit der Elision des postvokalen /r/ in Verbindung bringen, wohingegen dies bei den älteren Probandinnen und Probanden der Fall ist.

Wie sieht es jedoch mit dem Einfluss der beiden Sprachen auf den Bildungssektor aus? Wie lässt sich in diesem Zusammenhang der sinkende divergierende Perzeptionseffekt zwischen den beiden Gruppen LR und PA mit abnehmendem Alter der Probandinnen und Probanden erklären? Wie bereits im Punkt 6.1 erwähnt, wurde nicht nur in den späten 1980ern der Lehrplan in den Fächern Geschichte und Geographie auf die Lebensrealität von La Réunion angepasst, sondern im Jahr 2002 darüber hinaus auch ein CAPES für die Kreolsprachen der DROM eingeführt. Diese beiden wichtigen Maßnahmen scheinen jedoch auf einen ersten Blick dem sprachwissenschaftlichen Befund zu widersprechen, da sie intuitiv einen positiven Einfluss auf das créole réunionnais auf die junge Generation ausüben sollten. Wie auch in Bezug auf die Medienlandschaft muss jedoch auch hier differenziert werden. Denn obwohl die zwei Maßnahmen zu einer qualitativen Aufwertung des créole réunionnais führen, überwiegt in diesem Zusammenhang auf quantitativer Ebene weiterhin klar die französische Sprache. Diese ist als Unterrichtssprache festgelegt, was zudem durch die Tatsache gefördert wird, dass der Großteil der Lehrerinnen und Lehrer auf La Réunion aus dem Hexagon stammen und außerdem zunehmend mehr Schüleraustäusche nach Kontinentalfrankreich vom Ministère de l’Éducation Nationale et de la Jeunesse gefördert werden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 127). Des Weiteren kann angemerkt werden, dass vor allem zwei Aspekte die relativ junge Maßnahme des CAPES an einer nachhaltig positiven Veränderungen zugunsten des créole réunionnais hindern. Erstens ist das entsprechende Aufgabenformat an den französischen Universitäten uniform ausgerichtet, was jedoch hinsichtlich der Vielzahl an unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Zweitens scheint analog dazu das pädagogische Konzept auf schulischer Ebene noch nicht ausreichend ausgereift, was sich an der geringen Resonanz seitens der Schülerinnen und Schüler zeigt. Auf La Réunion gibt es bisher nur für die Sekundarstufe und ferner lediglich in Form einer optionalen Zusatzbelegung die Möglichkeit ein Zertifikat Langue et Culture Réunionnais zu erwerben. Dieses Angebot wird jedoch pro Schuljahr lediglich durchschnittlich von 9% der collegiens und 12% lycéens wahrgenommen und spiegelt somit ein „engagement […] minoritaire“ (Alaoui/Tupin 2010, 239) wider. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich die Konzeption des CAPES Creóle und das relativ geringe Interesse seitens der Schülerinnen und Schüler gegenseitig bedingen. Folglich ist die Präsenz des créole réunionnais im Bildungssektor auf La Réunion trotz der symbolträchtigen Maßnahme der Regierung relativ unauffällig, was den vorliegenden Befund erklären könnte. Die junge Generation zeigt sich auf La Réunion mehrheitlich mit der französischen Sprache konfrontiert, weswegen es vor diesem Hintergrund einleuchtend erscheint, dass der divergierende Perzeptionseffekt zwischen der Gruppe LR und PA relativ klein ist.

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.
Die Elision des postvokalen /r/ tritt ferner auch in anderen Kreolsprachen wie beispielsweise dem mauricien, haïtien und dem guadeloupéen auf. Innerhalb der romanischen Sprachen ist es des Weiteren im Katalanischen und kubanischen Spanisch zu verzeichnen, während es im germanischen Sprachraum speziell in der deutschen und niederländischen Sprache untersucht wurde (vgl. Nikiema 2002, 91). Im Dänischen wurde die Elision des Phänomens sogar mit dem dramatischen Begriff „stavelseskannibalisme“ (Skyum-Nielsen 2008, 342) bezeichnet.
Bordal stellt nicht das Alter, sondern vielmehr den Bildungsgrad als ausschlaggebenden Faktor heraus, was sich im Rahmen des Sprachproduktionsexperiments am folgenden Beispiel kontrastiv darstellen lässt: Ein 24-jähriger Busfahrer elidierte das postvokale /r/ zu 96%, wohingegen dies bei einem Bankangestellten nur zu 48% zutrifft (vgl. Bordal 2006, 78). Es wird argumentiert, dass ein hoher Bildungsabschluss die Chance auf ein gutes Arbeitsverhältnis erhöht, was wiederum an den Gebrauch der französischen Sprache gebunden ist. Im Kontext der vorliegenden Studie kann zu diesem Faktor leider keine Aussage gemacht werden, da zwar Daten zum höchsten Bildungsabschluss und zur Profession erhoben, sich die Gruppe an Probandinnen und Probanden diesbezüglich jedoch als relativ homogen herausstellte.
In Bezug auf die Abbildung 7 muss erwähnt werden, dass diese in der R-Software in Anlehnung an den dritten Quadranten bei 35 Jahren festgelegt wurde (vgl. 4.3).
Jannedy und Weirich (2014) die im Kontext ihrer Perzeptionsstudie zum Berliner Dialekt einen ähnlichen Befund für die jungen Probandinnen und Probanden herausfinden, konstatieren: „[Y]outh-style Hood German […] can be frequently heard in public […]. It has become a widely distributed youth speech style throughout Berlin, although it was formerly strongly associated with Kreuzberg.“ (Jannedy/Weirich 2014, 115) Dies kann auch im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit angewendet werden: Demzufolge begrenzt sich der Gebrauch des hexagonalen Standards nicht mehr nur auf die Hauptstadt Paris, sondern kann sich durch die Medien bis in die DROM ausbreiten. Zwar kann das créole réunionnais für Vereinzelte nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der Identität darstellen, jedoch weisen die Befunde darauf hin, dass für die jungen Sprecherinnen und Sprecher eher das français métropolitain – möglicherweise um das Zugehörigkeitsgefühl zur peer Gruppe zu stärken – von Bedeutung ist.

7. Zusammenfassung

In der vorliegenden Bachelorarbeit wurden zunächst ausgewählte Aspekte der Sprachgeschichte auf La Réunion dargestellt – angefangen bei der französischen Besiedlungs- und Kolonialphase, über die départementalisation bis hin zur aktuellen Sprachsituation. Besonderer Fokus lag dabei auf den Ereignissen seit 1945, da diese die heutige Sprachrealität zwischen créole réunionnais und français métropolitain nachhaltig prägten und vor allem in Bezug auf zwei Aspekte für die vorliegende Bachelorarbeit von Relevanz sind. Erstens die bereits in den 1970ern von der communauté créole initiierten Gleichstellungsbestrebungen, die zu einer Zäsur in der medialen Landschaft und im Bildungsbereich führten und schließlich in der Anerkennung der Kreolsprachen als Regionalsprachen Frankreichs sowie der Einrichtung eines entsprechenden CAPES kulminierten. Zweitens das ambivalente Verhältnis zwischen den genannten Aufwertungsmaßnahmen zugunsten des créole réunionnais und den seit den 1960ern vorherrschenden Französisierungstendenzen.

Überleitend wurde der Fokus der vorliegenden Bachelorarbeit auf den Bereich der Phonetik und Phonologie verengt. Sprachwissenschaftliche Studien konnten diesbezüglich nachweisen, dass die zunehmende Dominanz der französischen Sprache zu einer sukzessiven Abnahme kreolischer Elemente im Regionalfranzösisch auf La Réunion führte, sodass die zuletzt durchgeführte lediglich die Elision des postvokalen /r/ als „überlebendes“ Phänomen verzeichnen konnte (vgl. Bordal 2006). Während Bordal dieses Phänomen anhand der Sprachproduktion untersuchte, reiht sich die vorliegende Bachelorarbeit in das neue Forschungsparadigma der Sprachperzeption ein. Demzufolge wird das postvokale /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion nicht wie bisher mithilfe von Sprecherinnen und Sprechern, sondern anhand von Hörerinnen und Hörern erforscht. Im Rahmen des sogenannten divergierenden Perzeptionseffekts soll festgestellt werden, ob Testpersonen dieselben akustischen Stimuli in verschiedenen priming conditions unterschiedlich wahrnehmen. In Anlehnung an die Studie von Jannedy und Weirich (2014) wurden im Kontext des Regionalfranzösischen auf La Réunion die priming conditions anhand der geographischen Indikatoren La Réunion und Paris festgelegt, während als Grundlage für die akustischen Stimuli das Minimalpaar fou /fu/ und four /fuʀ/ festgelegt wurde. Die akustischen Stimuli wurden mit dem Praat-Programm synthetisiert und in ein 9-Step-Kontinuum eingebettet, wobei Stimulus 1 [fu] und Stimulus 9 [fuʀ] darstellt. Im Rahmen einer word identification response task ergaben sich daraus zwei Forschungshypothesen: Tendieren Probandinnen und Probanden der Gruppe Paris eher dazu [fuʀ] zu hören? Bzw. kategorisieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe La Réunion die identischen Stimuli vergleichsweise häufiger als [fu]?

Die statistische Analyse auf Basis von 79 Ergebnissen bestätigt zwar einen divergierenden Perzeptionseffekt für die durchschnittliche Testperson, allerdings wird dieser interessanterweise in Bezug auf das abnehmende Alter der Probandinnen und Probanden kleiner. Während in Bezug auf Ersteres zwar mit den eingangs erwähnten Aufwertungsbestrebungen der communaté créole und einer daran anschließenden Entstigmatisierung der Kreolsprache argumentiert werden kann, scheint dieses in Bezug auf Letzteres seine Aussagekraft zu verlieren. Tatsächlich muss differenziert werden, dass die entsprechenden Maßnahmen zwar zu einer qualitativen Verbesserung des créole réunionnais führten, diese sich aber auf quantitativer Ebene (noch) nicht durchsetzen konnten und daher die junge Generation nicht in ihrer Perzeption zu beeinflussen scheinen. Konkret bedeutet dies, dass die jungen Sprecherinnen und Sprecher auf La Réunion einerseits durch die aufgrund der einsetzenden gesellschaftspolitischen Veränderungen seit der départementalisation mit einer „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des créole réunionnais und andrerseits mit dem starken Einfluss des français métropolitain in der medialen Landschaft und im Bildungssektor konfrontiert sind. Die Versuchsleiterin stellte diesbezüglich den Erklärungsansatz auf, dass die junge Generation nicht nur durch die Dominanz des Französischen im Schulwesen maßgeblich beeinflusst wird, sondern auch durch die extensiv in Anspruch genommenen Dienstleistungen, wie beispielsweise Netflix. Als Digitial Natives wachsen die jungen Probandinnen und Probanden zudem im Verständnis einer globalen Gemeinschaft auf und sind in ihrer Identitätsfindung nicht mehr regional eingeschränkt. Anders als die Großeltern- und Elterngeneration, die in Zeiten der (sprach)politischen Unruhen aufwuchsen und daher möglicherweise eine stärkere emotionale Bindung an das créole réunionnais haben, scheint für die Jugend eher das français métropolitain einen höheren Stellenwert wegen des Zugehörigkeitsgefühls zu peer Gruppe zu besitzen. Die Tatsache, dass die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen des vorliegenden Perzeptionsexperiment in der Gruppe LR weniger fou wählen bzw. [fu] hören, erscheint vor diesem Hintergrund schlüssig.

Letztendlich kann zusammengefasst werden, dass die vorliegende Studie gemessen an 79 Ergebnissen zwar einen divergierenden Perzeptionseffekt nachweist, dieser jedoch hinsichtlich der jungen Probandinnen und Probanden kleiner wird. Die Eingangshypothesen sind somit zwar bestätigt, jedoch mit der Einschränkung, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der jungen Generation die Elision des postvokalen /r/ im Vergleich zur älteren weniger mit dem geographischen Indikator La Réunion in Verbindung bringen. In Rückbezug auf die bereits erwähnten soziolinguistischen Umwälzungen kann daher geschlossen werden, dass die Französisierungstendenzen zum jetzigen Zeitpunkt zwar nach wie vor einen nachhaltigen Einfluss auf das Regionalfranzösisch auf La Réunion ausüben, künftige Entwicklungen zugunsten des créole réunionnais jedoch denkbar sind und den sprachlichen Status Quo verändern könnten. Die Anerkennung der Kreolsprachen als Regionalsprachen Frankreichs sowie die Einrichtung eines CAPES haben „radicalement changé le statut [du créole].“ (Ledegen 2011, 157) Würden in Bezug auf die letztere Maßnahme beispielsweise neue Impulse seitens der regionalen Sprachpolitik implementiert werden – sodass das créole réunionnais anders als bisher sinnvoll im Schulwesen verankert wäre – wäre eine Resonanz zugunsten der kreolischen Sprache seitens der jungen Schülerinnen und Schüler möglich. Ob sich diese jedoch langfristig gegen die Dominanz des hexagonalen Französisch durchsetzen kann, bleibt über den Verlauf der kommenden Jahre zu beobachten und wäre ein interessantes Thema für eine Masterarbeit.

 

Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.
Die Elision des postvokalen /r/ tritt ferner auch in anderen Kreolsprachen wie beispielsweise dem mauricien, haïtien und dem guadeloupéen auf. Innerhalb der romanischen Sprachen ist es des Weiteren im Katalanischen und kubanischen Spanisch zu verzeichnen, während es im germanischen Sprachraum speziell in der deutschen und niederländischen Sprache untersucht wurde (vgl. Nikiema 2002, 91). Im Dänischen wurde die Elision des Phänomens sogar mit dem dramatischen Begriff „stavelseskannibalisme“ (Skyum-Nielsen 2008, 342) bezeichnet.
Bordal stellt nicht das Alter, sondern vielmehr den Bildungsgrad als ausschlaggebenden Faktor heraus, was sich im Rahmen des Sprachproduktionsexperiments am folgenden Beispiel kontrastiv darstellen lässt: Ein 24-jähriger Busfahrer elidierte das postvokale /r/ zu 96%, wohingegen dies bei einem Bankangestellten nur zu 48% zutrifft (vgl. Bordal 2006, 78). Es wird argumentiert, dass ein hoher Bildungsabschluss die Chance auf ein gutes Arbeitsverhältnis erhöht, was wiederum an den Gebrauch der französischen Sprache gebunden ist. Im Kontext der vorliegenden Studie kann zu diesem Faktor leider keine Aussage gemacht werden, da zwar Daten zum höchsten Bildungsabschluss und zur Profession erhoben, sich die Gruppe an Probandinnen und Probanden diesbezüglich jedoch als relativ homogen herausstellte.
In Bezug auf die Abbildung 7 muss erwähnt werden, dass diese in der R-Software in Anlehnung an den dritten Quadranten bei 35 Jahren festgelegt wurde (vgl. 4.3).
Jannedy und Weirich (2014) die im Kontext ihrer Perzeptionsstudie zum Berliner Dialekt einen ähnlichen Befund für die jungen Probandinnen und Probanden herausfinden, konstatieren: „[Y]outh-style Hood German […] can be frequently heard in public […]. It has become a widely distributed youth speech style throughout Berlin, although it was formerly strongly associated with Kreuzberg.“ (Jannedy/Weirich 2014, 115) Dies kann auch im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit angewendet werden: Demzufolge begrenzt sich der Gebrauch des hexagonalen Standards nicht mehr nur auf die Hauptstadt Paris, sondern kann sich durch die Medien bis in die DROM ausbreiten. Zwar kann das créole réunionnais für Vereinzelte nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der Identität darstellen, jedoch weisen die Befunde darauf hin, dass für die jungen Sprecherinnen und Sprecher eher das français métropolitain – möglicherweise um das Zugehörigkeitsgefühl zur peer Gruppe zu stärken – von Bedeutung ist.

8. Anhang 1: Erhalt der Aufwandsentschädigung

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Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.
Die Elision des postvokalen /r/ tritt ferner auch in anderen Kreolsprachen wie beispielsweise dem mauricien, haïtien und dem guadeloupéen auf. Innerhalb der romanischen Sprachen ist es des Weiteren im Katalanischen und kubanischen Spanisch zu verzeichnen, während es im germanischen Sprachraum speziell in der deutschen und niederländischen Sprache untersucht wurde (vgl. Nikiema 2002, 91). Im Dänischen wurde die Elision des Phänomens sogar mit dem dramatischen Begriff „stavelseskannibalisme“ (Skyum-Nielsen 2008, 342) bezeichnet.
Bordal stellt nicht das Alter, sondern vielmehr den Bildungsgrad als ausschlaggebenden Faktor heraus, was sich im Rahmen des Sprachproduktionsexperiments am folgenden Beispiel kontrastiv darstellen lässt: Ein 24-jähriger Busfahrer elidierte das postvokale /r/ zu 96%, wohingegen dies bei einem Bankangestellten nur zu 48% zutrifft (vgl. Bordal 2006, 78). Es wird argumentiert, dass ein hoher Bildungsabschluss die Chance auf ein gutes Arbeitsverhältnis erhöht, was wiederum an den Gebrauch der französischen Sprache gebunden ist. Im Kontext der vorliegenden Studie kann zu diesem Faktor leider keine Aussage gemacht werden, da zwar Daten zum höchsten Bildungsabschluss und zur Profession erhoben, sich die Gruppe an Probandinnen und Probanden diesbezüglich jedoch als relativ homogen herausstellte.
In Bezug auf die Abbildung 7 muss erwähnt werden, dass diese in der R-Software in Anlehnung an den dritten Quadranten bei 35 Jahren festgelegt wurde (vgl. 4.3).
Jannedy und Weirich (2014) die im Kontext ihrer Perzeptionsstudie zum Berliner Dialekt einen ähnlichen Befund für die jungen Probandinnen und Probanden herausfinden, konstatieren: „[Y]outh-style Hood German […] can be frequently heard in public […]. It has become a widely distributed youth speech style throughout Berlin, although it was formerly strongly associated with Kreuzberg.“ (Jannedy/Weirich 2014, 115) Dies kann auch im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit angewendet werden: Demzufolge begrenzt sich der Gebrauch des hexagonalen Standards nicht mehr nur auf die Hauptstadt Paris, sondern kann sich durch die Medien bis in die DROM ausbreiten. Zwar kann das créole réunionnais für Vereinzelte nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der Identität darstellen, jedoch weisen die Befunde darauf hin, dass für die jungen Sprecherinnen und Sprecher eher das français métropolitain – möglicherweise um das Zugehörigkeitsgefühl zur peer Gruppe zu stärken – von Bedeutung ist.

9. Anhang 2: R-Skript

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Stein merkt an, dass trotz des massiven „Import[s]“ (Stein 2017, 158) von Sklavinnen und Sklaven die Anzahl der auf La Réunion geborenen relativ hoch bleibt. Ferner überwiegt, anders wie in den anderen damaligen Gebieten der französischen Kolonialmacht, der Anteil der weißen Bevölkerung relativ lange bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, was eine mögliche Begründung dafür sein könnte, dass das créole réunionnais im Vergleich zu anderen Kreolsprachen aus typologischer Sicht viel näher am Französischen ist (vgl. Bordal 2006, 16).
In der kolonialen Gesellschaft wird mit Ankunft der Missionare die (Zwangs)Konvertierung der Sklavinnen und Sklaven zum Katholizismus durchgesetzt, in der unter anderem eine Legitimation der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht sowie – im Kontext des christlichen Heilsversprechen – eine indirekte Aufforderung zum passiven Ertragen der brutalen Ausbeutung gesehen werden kann. Obwohl mit der Taufe der Neuankömmlinge der Übertritt zur römisch-katholischen Konfession offiziell vollzogen wird, praktizieren die Sklavinnen und Sklaven im Verborgenen weiterhin die animistischen Bräuche ihrer ursprünglichen Kulturen und verbinden diese im Verlauf der Zeit mit Elementen ihrer „neuen” Religion (vgl. Watin/Wolff 2010, 5).
Neben dem créole réunionnais entstehen im selben Zeitraum außerdem auch das mauricien, seychellois sowie das rodriguais im Indischen Ozean. In der amerikanisch-karibischen Region entwickeln sich ferner in Louisiana, auf Haiti und den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Dominica, St. Lucia und Französisch-Guyana) weitere Kreolvarietäten. Bavoux macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die verschiedenen Kreolvarietäten häufig in der Singularform des Begriffs créole zusammengefasst werden „[accréditant] l’idée, infondée historiquement, qu’il existerait un seul créole à base français dans le monde.“ (Bavoux 2002). Während die oben genannten Kreolvarietäten zwar alle auf dem Französischen als Referenzsprache basieren, weisen sie dennoch aufgrund ihrer spezifischen sprachhistorischen Entwicklung eine Reihe bedeutender struktureller Unterschiede auf (vgl. Mufwene 2002, 20).
Warum entwickelten sich die Kreolsprachen jedoch auf Basis von den europäischen und nicht auf einer der afrikanischen Sprachen? Selbst wenn eine afrikanische Sprache zur Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe dienen konnte und durch die Ankunft immer neuer Sprecher einige Zeit weiterlebte, so reichten diese doch nicht aus, um sich mit den restlichen Sklavinnen und Sklaven zu verständigen und reichten vor allem nicht aus, um die Aufträge und Befehle ihrer weißen Herren verstehen und ausführen zu können. Aus den Bedingungen des hierarchischen Arbeitsalltags ergab sich daher, dass die französische Sprache zum Ziel der Sklavinnen und Sklaven wurde. Für die auf ökonomischen Profit fokussierten Plantagenbesitzer zählte vor allem die Arbeitskraft, nicht der einzelne Mensch und sein sprachliches Erbe, das er weder verstehen konnte noch wollte  (vgl. Stein 2017, 155).
Das Modell der Diglossie wurde originär von Ferguson entwickelt und wird folgendermaßen definiert: „[A] relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written language, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation.” (Ferguson 1959, 336)
Kürzlich publizierte Texte thematisieren in diesem Kontext vor allem die Rolle der Sklavinnen. Während sich die Wirtschaft der société de plantation primär auf die männlichen Arbeitskräfte stützte und diese daher mehrheitlich deportiert wurden, wurden die Sklavinnen für die Reproduktion des kolonialen Systems ausgebeutet (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2015, 9). Indem sie durch das Gebären eigener Kinder zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter stellten – diese wurden den Müttern oftmals kurz nach Geburt entwendet und gingen offiziell in das Eigentum des Plantagenbesitzers über – und außerdem als Ammen für die weißen Nachkömmlinge dienten, sollten sie die „longévité […] de la classe hégémonique blanche“ (Paris 2015, 98) sicherstellen.
Es können hierbei Analogien zwischen dem vom Historiker Harari beschriebenen Kreislauf von fehlenden finanziellen Mitteln, Chancenungleichheit und Stigmatisierung der Afro-Americans und den kafres auf La Réunion hergestellt werden (vgl. Harari 2013, 168ff). Paris konstatiert: „Il y a […] des clivages sociaux et raciaux internes à la société réunionnaise, une distribution différentielle, asymétrique de la vulnérabilité, de l’exposition au risque de mort.“ (Paris 2015, 100) Denn viele Schwarze sehen sich weiterhin in ihrem Arbeitsverhältnis abhängig von den weißen Arbeitsgebern: Sie werden zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag für einen Niedriglohn ausgebeutet, während Frauen nach wie vor für die weißen Familien als nénès arbeiten. Ein Mindestlohn für Hausangestellte wird auf La Réunion erst im Jahr 1979 eingeführt (vgl. ebd.: 100).
Bedeutet créole réunionnais als Muttersprache zu beherrschen jedoch auch gleichzeitig créole zu sein bzw. als solche/r von Anderen wahrgenommen zu werden? In Bezug auf den etymologischen Ursprung bezeichnet span. criollo dt. ‘einheimisch, eingeborenʼ (vgl. Metzler 2010, 376). Die Bezeichnung bezog sich aus historischer Perspektive dabei zunächst ausschließlich auf die in den Kolonien geborenen weißen Siedlerinnen und Siedler. Aufgrund des einsetzenden Sklavenhandels im 18. Jh., verschiedener Einwanderungswellen im 19. Jh., sowie der Tatsache, dass in den neuen Staatsterritorien europäische Frauen allgemein stark in der Unterzahl waren, weitete man der Begriff aus. Sofern man als Muttersprache das créole réunionnais beherrscht, galt man fortan auch als créole – und zwar „n’importe […] quelle que soit la nuance ou la couleur de sa peau.“  (Chaudenson 2002, 2) Letzteres wird auch von Bordal vertreten, die in Bezug auf die aktuelle Sprachrealität folgendes konstatiert: „Le créole réunionnais est aujourd’hui la langue vernaculaire de la grande majorité des Réunionnais quelle que soit leur origine éthique.“  (Bordal 2006, 17) Dies trifft auch auf Haiti und die Seychellen zu, wohingegen dies auf Mauritius, Martinique, Guadeloupe und in Louisiane nicht der Fall ist. Mufwene merkt diesbezüglich an, dass in den zuletzt genannten Gebieten „les vernaculaires dénommés créoles ne sont pas nécessairement associés aux individus créoles, contrairement à, par exemple l’association étymologique de la langue français à la population française.“ (Mufwene 2002, 20)
Die Alliierten sanktionierten während des 2. Weltkrieg die kolonialen Autoritäten, die in Verbindung mit der Vichy-Regierung standen. Gemäß den Nachforschungen des Institut de Recherche pour le Développement lag die Kindersterblichkeitsrate im Jahr 1946 bei 160 ‰ und stieg in den folgenden Jahren sogar auf 231 ‰. Neben der allgemeinen Nahrungsknappheit werden dafür vor allem die fehlenden sanitären Einrichtungen sowie das kaum ausgebaute Gesundheitswesen verantwortlich gemacht. (vgl. Vergès 2015, 30)
Gemäß Vergès führt die weiße Elite noch bis in die 1960er eine „politique racialisée“(Vergès 2015, 31), die sie als Weiterführung einer „bio-politique coloniale“ (ebd.: 33) betrachtet. Das Konzept der Biomacht wurde usrpünglich von Michel Foucault etabliert und auch für den Fall von La Réunion als passend erachtet. Paris schlägt diesbezüglich folgende Definition vor: „L’exercice d’un pouvoir qui s’exerce sur un continuum biologique nommé ‘population’, circonscrivant et opposant les populations qui doivent vivre et s’accroître et celles qui doivent être réduite ou mourir. Un même pouvoir veut majorer la vie des une en minorant celle des autres.“ (Paris 2015, 92) Rochoux stellt außerdem Parallelen zur aktuellen sozioökonomischen Situation her, indem er auf die Chancenungleichheit und die daraus resultierenden extremen Einkommensunterschiede aufmerksam macht (vgl. Rochoux 2010, 34ff).
Obwohl in Frankreich gemäß seiner Konstitution die Trennung von Kirche und Staat verbindlich ist, propagiert beispielswiese das Bistum Saint-Denis-de-La-Réunion bis in die späten 1960er eine rechts-konservative Ausrichtung der Politik, indem Kindern kommunistischer Eltern die Taufe verweigert wurde und in der Messe die Gemeinde ausdrücklich dazu aufgerufen wurde nicht für die komunis zu wählen. (vgl. Vergès 2015, 36)
Zu wichtigen Impulsen zählen unter anderem der Besuch General de Gaulles auf der La Réunion im Jahr 1959 sowie der Unabhängigkeit der Nachbarinsel Madagaskar im Folgejahr. (vgl. Combeau 2010, 20)
Während die Rentabilität der Zuckerindustrie sinkt, steigt zu dieser Zeit ironischerweise auch der Konsum von dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum auf La Réunion rapide an. Vergès deutet einen Zusammenhang zwischen Identitätsverlust und Alkoholmissbrauch an, von dem sie primär die kafres betroffen sieht. Da vor allem der männliche Teil dieser Bevölkerungsgruppe in der Kultivierung und Weiterverarbeitung von Zuckerrohrs angestellt war, verlieren diese im Zuge der Verlagerung der Wirtschaft nicht nur ihre Arbeit, sondern auch die ihr innewohnende identitätsstiftende Funktion. Vergès konstatiert: „[L]eurs savoir, leur monde tombaient dans l’oubli.“ (Vergès 2015, 39) Tatsächlich bleibt die Arbeitslosigkeit auch heute noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Nachdem sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 mit 42,1 % auf einem Rekordhoch auf La Réunion befand, konnte sich die Quote in den Folgejahren zwar verkleinern, dennoch muss festgehalten, dass diese mit 24,0% im Jahr 2018 im Vergleich zu Kontinentalfrankreich fast viermal so hoch ist vgl.INSEE.
Vergès sieht diese Maßnahme des französischen Staates kritisch und bewertet diese als Weiterführung der rassistischen biopolitique zu Kolonialzeiten. Sie begründet dies anhand folgendem Widerspruchs: Während die Regierung die zu hohen Geburtenraten auf La Réunion als Hauptgrund für die grassierende Armut und sozialen Missstände verantwortlich macht – weswegen man anders wie in Kontinentalfrankreich die Empfängnisverhütung propagiert und Abtreibung legalisiert – wird gleichzeitig die Immigration von Beamten aus der métropole gezielt gefördert (vgl. Vergès 2015, 34). Gestützt wird dieses Argument ferner von der Union des Femmes de La Réunion (UFR), welche die Frauen aus dem schwarzen Bevölkerungsteil wiederholt als „victimes du régime colonial“ (Vidot 2015, 108) sehen. Es muss hierbei jedoch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die UFR durch ihre engen Kontakte mit der kommunistischen Partei eine bestimmte Auslegung von politischen Sachverhalten favorisieren könnte.
Das kartié definiert sich über das Wir-Gefühl des kreolischen Kollektivs und wird im städtischen Kontext von dem nach administrativen Kriterien festgelegten quartier ausgetauscht, das sich in manchen Fällen auch zum Ghetto – „[un] espace désignant la conjugaison d’une intégration sociale laborieuse et d’une difficile assimilation culturelle de la modernité“ (Watin 2010, 75) – entwickelt. Ebenso werden kaz und kour, die unter Berücksichtigung spezifischer ethnokultureller Kennzeichen konstruiert werden, ersetzt von Wohnungen, die mit fließendem Wasser, Elektrizität und Telefonanschluss westlichen Ansprüchen entsprechen. (vgl. Balcou-Debussche 2010, 188).
Eine im Jahr 1977 durchgeführte Studie zur Aussprache auf La Réunion registrierte neben einer Veränderung innerhalb des Vokalinventars auch vier weitere in Hinblick auf das Konsonantensystem. Da Letzteres in der französischen Sprache seit dem 16. Jh. eine relative Stabilität aufweist, argumentiert Carayol, dass zum Zeitpunkt seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung die ehemals vorherrschende Norm der „haute bourgeoisie réunionnaise“ (Carayol 1977, 48) bereits durch eine variété métropolitaine substituiert wurde. Diese Sprachvarietät definiert sich als „langue que l’on attribue aux Parisiens cultivés dans un registre soigné.“ (Lyche 2010, 145)
Ein wichtiger Faktor spielt hierbei die Ablösung der externen Académie d’Aix-Marseille durch die neu gegründete Académie de La Réunion. Wurde bis zum Jahr 1984 das Schulwesen nach dem Vorbild der École Républicaine auf der Insel organisiert, konnte beispielsweise in den späten 1990ern durchgesetzt werden, dass die Fächer Geographie und Geschichte zum ersten Mal dem lokalen Kontext angepasst wurden (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 137). Gemäß aktueller Bildungsstudien determiniert zwar nach wie vor der sozioökonomische Status des Elternhauses sowohl in Metropol-Frankreich als auch auf La Réunion, den schulischen Erfolg, nichtsdestotrotz bestätigen Watin und Wolff, dass die fortschrittlichen Änderungen im Bildungswesen der postkolonialen „ségrégation ethnique“ (Watin/Wolff 2010, 7) in der französischen Überseeregion entgegenwirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung leistet
Die Forschungsliteratur erklärt leider nicht, aus wem sich genau die neue Mittelschicht auf La Réunion zusammensetzt. Da innerhalb der weißen Bevölkerungsschicht die grands Blancs in den städtischen Zentren bereits die Schlüsselpositionen besetzten und daher nicht in Frage kommen, wären aus den peripheren Gebieten zugezogene petits Blancs – mit mehr oder weniger starkem kreolischen Hintergrund – denkbar. Bezüglich der zum Großteil schwarzen Bevölkerungsmehrheit kann jedoch festgehalten werden: „[N]ombreux […] Réunionnais […] passent ainsi de la pauvreté à l’exclusion, notamment dans les secteurs géographiques les plus fragilisés par les mutations sociales rapides.“ (Balcou-Debussche 2010, 190) In Bezug auf die Tatsache, dass Französisch und nicht mehr das créole réunionnais an die jüngere Generation weitergegeben wird, kann eine interessante Analogie zum passing hergestellt werden. Das nach dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen benannte und in der Soziologie diskutierte Konzept, kann gemäß Magdelaine -Andrianjafitrimo auch im Zusammenhang mit La Réunion angewendet werden und beschreibt „un désir d’échapper à la contrainte d’une appartenance à [un groupe] racial. […] Un désir de conformité et d’ascension sociale, de négation d‘une partie de soi.“ (Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 10)
Das Konzept der Dekreolisierung, welches bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Schuchardt entwickelt wurde und in aktuellen Abhandlungen kritisch hinterfragt wird (vgl. Siegel 2010), beschreibt einen Prozess, bei dem die Kreolsprachen durch anhaltenden Sprachkontakt zunehmend ihre als kreoltypisch erachteten Züge verlieren und sich an die Strukturen der lexifier-Sprache anpassen. Während im Fall La Réunion das créole réunionnais einerseits als das Resultat einer Dekreolisierung des créole bourbonnais betrachtet wird (vgl. Chaudenson 1974), tendieren andere Forschungsmeinungen dazu, seine relativ große Nähe zum Französischen als eine nur teilweise durchgeführte Kreolisierung zu bewerten (vgl. Baker/Corne 1982).
Französische Übersetzung : „Tous les jeunes qui vont nous entendre parler un jour si ils nous réécoutent parler comme ça ils vont rire.“ (Ledegen 2010, 155)
Einen äußerst interessanten Standpunkt in Hinblick auf die Diskussion der Diglossie vertritt dabei Bernabé. Während im Allgemeinen die Überwindung der Diglossie als positiv und fortschrittlich aufgefasst wird, weist Bernabé auf die daraus resultierenden existentiellen Probleme der Kreolsprachen hin. Er argumentiert, dass eine Auflösung der diglossischen Regeln zu einer Abwertung des Kreolischen führen. Bernabé konstatiert: „[L]es langues peuvent-elles avoir les mêmes fonctionnalités dans un même espace ? La réponse fournie par l’histoire […] est négative: plusieurs langues ne peuvent pas occuper le même créneau fonctionnel dans un écosystème donné (principe d’exclusivité fonctionnelle). Tôt ou tard, l’une d’entre elles doit disparaître. Être ou ne plus être, voilà assurément une question fondamentale pour les langues.“ (Bernabé 1989, 30f.)
Fishman kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass in einer diglossischen Sprachgemeinschaft der weitaus größere Teil keinen individuellen Bilinguismus aufweist, d.h. meist tatsächlich nur Kreolisch sprechen und verstehen kann, während in Bezug auf das Französische lediglich eine passive Sprachkompetenz abrufbar ist (vgl. Fishman 1967, 30).  Anhand der Sprachverwendungsgrammatik analysiert Stewart unterschiedliche Situationen in welchen die jeweilige Sprache bzw. Sprachvarietät für den Einzelnen als angemessen gilt. Er hält außerdem fest, dass ein Nichteinhalten der Regeln dieser Grammatik gleichzeitig einen Verstoß gegen die soziale Norm darstellt (vgl. Stewart 1962, 39).
Eine Klassifizierung der Lekte ist gemäß quantitativ ausgerichteter Kriterien, wie beispielsweise anhand phonetischer Varianten, morphologischer Formen oder syntaktischen Konstruktionen nur beschränkt möglich: „[O]n manque d’arguments purment ‘linguistiqueʼ (réduisant ce terme au sens de ‘systémistesʼ) pour tracer la frontière entre français et créole.“ (de Robillard 2002, 47) Cellier demonstriert in seinen Analysen die überraschende Schwierigkeit sprachliche Äußerungen im Rahmen des Sprachkontinuums zwischen dem kreolischen Akro- oder Basilekt einzuordnen. So können beispielsweise die beiden Sätze moin té i manz (kreolischer Basilekt) und mi manz-é (kreolischer Akrolekt) auf syntaktischer Ebene lediglich durch die Vor- bzw. Nachstellung der Passivkonstituenten unterschieden werden, während andere grammatische Kategorien, wie Numerus und Genus, stark variieren können  (vgl. Cellier 1981). Bei der Untersuchung mehrerer aus den 1970ern stammenden Korpora kommt Ledegen außerdem zu dem Schluss, dass insgesamt 16% der Äußerungen aufgrund fehlender stichhaltiger Klassifizierungskategorien den „zones flottantes“ (Ledegen/Léglise 2007, 3) zugeordnet werden müssen.
Diese fließenden Übergänge wurden in den 1970ern noch mit einer „confusion de langues“ (Ledegen 2010, 153) und infolgedessen mit einer „attribution de l’erreur“ (ebd.: 153) in Verbindung gebracht, wohingegen diese „métissage“ (Wolff 2010, 84) in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer starken Aufwertung der kreolischen Sprache sowie durch die verbesserte soziale Mobilität nicht nur bewusst praktiziert, sondern explizit gefordert wird.
Watin konstatiert, dass erst durch die Öffnung des medialen Raums zwischen 1976 und 1986 „une large fraction de la population, jusque là écartée du débat public, apparaît sur la scène publique selon un mode de communication et dans une lange – le créole – qui lui sont propres.“ (Watin 2011, 57) War ein öffentlicher Diskurs zuvor ausschließlich auf Französisch denkbar, so wurde im Rahmen der interaktiven Sendungen von Radio FreedDom und Télé FreeDom die Auswahl der Sprache bewusst den Sprechern überlassen. Daraus resultierend stellt Fioux bereits 1996 das Auftreten von alternances codiques fest, „[qui] ne se produisaient pas à La Réunion il y a une dizaine d’années.“ (Fioux 1996, 158) Nicht nur die Verbreitung dieses Phänomens, sondern darüber hinaus auch seine Legitimität und zunehmend positive Bewertung in den letzten Jahren wurde von Ledegen anhand von Audiobeiträgen und deren Transkription akribisch analysiert (Ledegen 2011, 159).
Das maloya wird wegen seines afrikanischen Ursprungs sowie des Entstehungskontexts in der kolonialen Plantagenwirtschaft tendenziell eher als musique kafre wahrgenommen, thematisiert aber durchaus auch die Lebensrealität anderer Ethnien auf La Réunion. Zu den bekanntesten Vertretern können zweifelsohne Danyèl Waro oder die Gruppe Ziskakan gezählt werden, die bereits Mitte der 1970er alte kreolische Gedichte in das für das maloya typische Muster von call and response einbetteten und heute nach wie vor auf der Insel sehr populär sind (vgl. Magdelaine-Andrianjafitrimo 2010, 152).
Stein macht zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass sich mehrheitlich diejenigen entscheiden – bzw. überhaupt dafür interessieren – das créole réunionnais zu verschriftlichen, die auch in der Lage sind zu lesen und schreiben und deswegen automatisch mit der französischen Sprache sehr vertraut sind. Französisch hält daher bereits eine Art Vorbildfunktion inne, nach der man „seine kreolischen Texte auszurichten […] leicht versucht ist.“ (Stein 2017, 183) Des Weiteren wird auf die Tatsache verwiesen, dass die Mehrheit der kreolischen Sprecherinnen und Sprecher nach wie vor die diglossische Perspektive vertreten und demzufolge lediglich der französischen Sprache eine Verschriftlichungskompetenz zutrauen (vgl. ebd.: 168). Ledegen merkt daran anknüpfend außerdem an, dass das créole réunionnais in seiner Zuordnung als patois eher mit einer mündlich fokussierten Sprechkultur in Verbindung gebracht wird, die mit einer Verschriftlichung möglicherweise an Authentizität verlieren könnte (Ledegen 2010, 106).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrte“ Sichtweise. Nicht nur die französische Sprache wird durch kreolische Interferenzen beeinflusst, sondern auch im créole réunionnais sind die starken Französisierungstendenzen bemerkbar. Dies führt dazu, dass die Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr den Eindruck haben „wahres“ Kreolisch zu sprechen: „C’est-à-dire le vrai créole, c’est [sic] pas […] nous encore, parce que c’est [sic] pas de […] nos générations.“ (Bordal 2006, 29) Auch Ledegen beobachtet dieses Phänomen and konstatiert, dass das créole réunionnais in den letzten Dekaden „s’approche du français, s’acrolectalise.“ (Ledegen 2007, 157) Das créole réunionnais profitierte zwar von Aufwertungsbestrebungen seit den 1970ern und wird nach wie vor von der Bevölkerungsmehrheit gesprochen, dennoch ist eine „diminuition fulgurante“ (Ledegen 2010, 113) des kreolischen Sprachgebrauchs auf La Réunion zu verzeichnen.
Der starke Einfluss des français familier führt zu sprachlichen Innovationen. Beispielsweise wird das im Hexagon verwendete verlan auf La Réunion in den Kontext kreolischer Wörter gebettet, sodass aus cr. réu. cafrine dt. ʿFreund, Freundinʾ die Wortneuschöpfung frinka entsteht. (Ledegen 2010, 118)
Obwohl mit den Termini Mesolekt und Interlekt bereits in den 80ern der Versuch unternommen wurde die komplexen Sprachrealitäten zwischen dem Standardfranzösischen und créole réunionnais zum Ausdruck zu bringen, stellt Ledegen in Bezug auf die heutige Zeit fest: „[L]es langues se mélangent et s’hybrident de plus en plus (tout spécifiquement dans les parlers jeunes, mais pas seulement).“  (Ledegen 2010, 119) Mehr denn je sieht sich der Rezipient „confronté à la difficulté à déterminer dans quelle langue une conversation se déroule.“ (ebd.: 102)
Zwar finden die Kreolsprachen nun Einzug in die Universtäten und Schulen, allerdings offenbaren die konkreten Maßnahmen auch zahlreiche Herausforderungen. Beispielsweise ist das CAPES auf eine uniforme Aufgabenstellung festgelegt, was allerdings in Hinblick auf die unterschiedlichen Kreolvarietäten an den Sprachrealitäten vorbeiführt und „die Verantwortlichen im Grunde vor unlösbare Probleme [stellt].“ (Stein 2017, 195) Auf La Réunion gibt es außerdem für die Sekundarstufe die Option einer Zusatzqualifikation Langue et Culture Réunionnais. Diese findet bisher jedoch – möglicherweise wegen dem nicht ausreichend ausgereiftem Konzept – eher geringe Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern. Weitere Versuche, die sprachliche Vielfalt der Insel sinnvoll im akademischen Rahmen zu vereinen, werden seit 2008 außerdem an der Universität in Saint-Denis pilotiert. Mit Madagassisch, Hindi und Tamil wurden auf La Réunion verbreitete Minderheitensprachen offiziell in das Curriculum des Studiengangs Lettres et Sciences Humaines aufgenommen (vgl. Alaoui/Tupin 2010, 240).
Baggioni sieht heute nach wie vor die weiße oder schwarze Hautfarbe als (un)bewusste Konstituente der réunionesischen Identität. Dies begründet er mit dem anhaltenden Einfluss der französischen Kolonialzeit und führt deshalb an: „[L]e discours blanc dominant des ethnonymes dévalorisant le noir, traduisant la stigmatisation (par métaphores ridicules) des traits négroïde : la chevelure crépue (bros-koko; tète-, sové-kongné; sové-grin-de-piv) [et] le métissage (batar kaf).“ (Baggioni 1991, 125) Baggioni verdeutlicht dies außerdem an einem weiteren konkreten Beispiel. So bezieht sich das Attribut blanc im heutigen Sprachgebrauch nach wie vor auf materiellen Reichtum, demzufolge wird beispielsweise ein begüterter indischer Händler als malbar blanc bezeichnet (vgl. ebd.: 122).
Dieses Spannungsfeld wird gemäß Fuma und Poirier zusätzlich durch die endogam geprägte, muslimische Kultur verstärkt und führt zu „racismes latents, qui se situent au plan du vécu quotidien, d’une manière tacite, feutrée, larvée.“ (Fuma/Poirier 1992, 51) Vor allem Einwanderinnen aus Mayotte, deren konfessionelle Zugehörigkeit durch das Tragen traditioneller chiromanis sichtbar wird, sehen sich auf La Réunion mit ablehnenden und teilweise sogar feindseligen Reaktionen konfrontiert (vgl. Wolff 2010, 83f.)
Der Wandel des Vibranten /r/ vom apikalen [r] zum uvularen [ʀ] erfolgt im 17. Jh. und fällt somit in denselben Zeitraum wie die Entstehung der französischbasierten Kreolsprachen. Während das Phonem in den kreolischen Varietäten im Falle einer Aussprache daher bereits uvular realisiert wurde, bleibt die apikale Artikulationsweise noch in einigen Dialekten der östlichen Regionen Frankreichs sowie in bestimmten Gebieten Québecs erhalten. Es kann außerdem angemerkt werden, dass das /r/ im créole haïtien sowie im créole mauricien vor [o], [u] und [a] auch als bilabiovelares [w] ausgesprochen werden kann, was auf die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in diesen Gebieten zurückgeführt werden kann. (vgl. Stein 2017, 67)
Im Regionalfranzösisch auf La Réunion kann /r/ ebenfalls im postkonsonantischen Kontext getilgt werden, was gemäß aktueller Forschungsmeinungen jedoch nicht als Elision, sondern als cluster simplification aufgefasst wird. Gemäß Bhatt und Nikiema tritt dieses Phänomen in allen französischbasierten Kreolsprachen auf und „applies to the rightmost member of a word-final sequence of consonants, regardless of the nature of that final consonant.” (Bhatt/Nikiema 2003, 50) Die Aussprache von livre [liv] oder maigre [mɛg] fällt daher in dieselbe Kategorie wie beispielsweise ministre [minis], direct [diʀɛk] oder table [tab].
Bereits Carayol (1977) sieht sich mit der bereits in Punkt 1 angesprochenen, camouflierenden Beschaffenheit des „Chamäleon-/r/“ konfrontiert. Aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten behilft sich der Linguist mit folgender Beschreibung: „L’oreille perçoit les réalisations de /r/ en position explosive comme un bruit très légèrement constrictif, plus relâché qu’en français standard […].“ (Carayol 1977, 423) Auch Nikiemas Aussage ist die schwere Greifbarkeit des postvokalen /r/ im Regionalfranzösisch auf La Réunion anzumerken. Er umschreibt das Phänomen als „une sorte d’appendice consonantique noté R comme dans [te:R] avec un allongement (compensatoire) de la voyelle qui précède.“ (Nikiema 2002, 80) Bordal wiederum spricht von “frictions dans les spectogrammes [qui] peuvent être interprétés comme une réalisation très faible du /r/, mais elles peuvent également être issus des bruits extérieurs qui interviennent dans les enregistrements.“ (Bordal 2006, 54)
Das Projekt PFC erhebt Daten durch vier verschiedene Methoden: das Vorlesen einer vorgefertigten Wörterliste und eines ausgewählten Textpassus, sowie durch eine spontane und eine gesteuerte Konversation. Bordal nutzt im Rahmen ihrer Studie lediglich das Lesen einer Wörterliste und ein circa zehnminütiges Interview mit „certaines parties des conversations spontanées en créole.“ (Bordal 2006, 39)
Labov konnte in seiner Studie aus dem Jahr 1963 herausstellen, dass die Sprache der Fischer auf Martha’s vineyard von ihrer Meinung gegenüber Touristen abhing. Drei Jahre später analysierte der Sprachwissenschaftler außerdem, dass das Personal in verschiedenen New Yorker Kaufhäusern seinen Sprachgebrauch dem der Kunden schichtenspezifisch anpasste. Labovs Forschungsergebnisse konnten durch replizierte Studien (vgl. Coupland 1980) gesichert und mit veränderten Scherpunkten maßgeblich erweitert werden. Bell (1984) stellte beispielsweise in seiner theory of audience design fest, dass Sprecherinnen und Sprecher nicht nur von direkter, sondern auch von indirekter Interaktion – in diesem Fall im Kontext einer Radiosendung – beeinflusst wurden. Während das Coseriu’sche Modell die Kommunikationsbedingungen in die Kategorien diatopisch, diastratisch und diaphasisch unterteilt, werden diese Überlegungen von Koch und Österreicher um die beiden Dimensionen Medium vs. Konzeption sowie Nähe vs. Distanz erweitert und ermöglichen eine differenzierte Einbettung innerhalb des Varietätenraums (Koch/Oesterreicher 2011).
Hinsichtlich der Konvergenz und Divergenz wird die zentrale Annahme vertreten, dass „linguistic choices […] are a function of speakers creating and maintaining social distance.”  (Babel 2010, 439) In der bahnbrechenden Studie von Bourhis und Giles konnte diesbezüglich herausgefunden werden, dass sich die Waliserinnen und Waliser vom Interviewer, der die Vitalität und Funktion der walisischen Sprache in Frage stellte, distanzierten, indem sie einen walisischen Dialekt annahmen (vgl. Bourhis/Giles 1977). In aktuellen Studien konnte der accomodation effect außerdem auch in Kontexten ohne direkte Interaktion festgestellt werden. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die US-Moderatorin Oprah Winfrey die Monophthongisierung von /ay/ variierte je nachdem welcher Ethnie die Person angehört über die sie sprach (vgl. Hay/Jannedy/Mendoza-Denton 2010). Während in der Sprachwissenschaft allgemeiner Konsens darüber herrscht, dass Konvergenz und Divergenz die soziale Distanz vermittelt, wird nach wie vor diskutiert ob bzw. in welchem Maß dies bewusst geschieht.
Da es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist auf alle Studien im Detail einzugehen, wird an dieser Stelle nur auf eine Auswahl an interessanten Fakten eingegangen. Das Forscherteam um Purnell stellte beispielsweise fest, dass die Probanden lediglich auf der Grundlage des einzelnen Wortes hello feststellen konnten, dass die Sprecherin der afroamerikanischen Ethnie angehört (vgl. Baugh/Idsardi/Purnell 1999). In Bezug auf die soziale Herkunft und die Persönlichkeitsmerkmale kann allgemein festgehalten werden, dass Probanden eigenen in-group members tendenziell positive Attribute – wie beispielweise Höflichkeit, Integrität oder soziale Attraktivität – zusprechen, während Sprecherinnen und Sprechern einer stigmatisierten Varietät als weniger intelligent, weniger wohlhabend, weniger einflussreich und sogar als kleiner und weniger gut aussehend eingeordnet werden. Diese Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur die individuellen Sprechereinstellungen wider, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Haltung innerhalb einer Gesellschaft zu. Drager argumentiert deshalb, dass es eine wichtige Aufgabe der Sprachwissenschaft sei Linguizismus zu dokumentieren, um entsprechende Maßnahmen auf politischer Ebene zu ermöglichen (vgl. Drager 2010, 474).
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität der Probandinnen und Probanden musste das sprachwissenschaftliche Experiment vereinzelt in Privaträumen organisiert werden. Die Versuchsleiterin konnte dabei sicherstellen, dass die entsprechenden Räumlichkeiten adäquat beleuchtet waren und außerdem in ungestörter und ruhiger Umgebung stattfanden.
Die entsprechenden finanziellen Mittel stammen aus dem Stipendium für studentische Forschungsprojekte der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Daniela Müller. Wie Jannedy und Weirich bereits argumentieren, ist das „experimental set-up crucially dependend [sic] on listeners noticing the experimental condition they were tested in.” (Jannedy/Weirich 2014, 104) Um dies nach eigenen Angaben der Sprachwissenschaftlerinnen diskret durchzuführen, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, während des Ausfüllens die ihnen zugeordnete Gruppen zu überprüfen. Im Unterschied dazu hielt die Versuchsleiterin des vorliegenden Experiments es jedoch für sinnvoller, wenn die Probandinnen und Probanden ihre Zuteilung ohne Ablenkung selbstständig ausfüllen, da diese zudem durch den Einbezug der motorischen Bewegung besser erinnert wurde.
Es wurde die zum Zeitpunkt des Experiments aktuelle Version 6.0.49 des Programms verwendet.
Mit der Absicht, den Probanden eine möglichst schnelle Identifikation der beiden Objekte zu ermöglichen, wurden die entsprechenden Darstellungen, anders als bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014), bewusst auf das Wesentliche reduziert (vgl. iStock; Energyday; Bildbearbeitung CM). Anstelle einer farbenreichen, dreidimensionalen Fotografie, wurde daher gezielt eine vereinfachte Darstellung im zweidimensionalen Format vor weißem Hintergrund ausgewählt. Bei der Anfertigung der beiden Bilder wurde außerdem auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Farben geachtet. Da es sich bei dem Wort fou dt. ʿverrücktʾ um ein Abstraktum handelt, wurde dieses in Kombination mit dem häufig damit assoziierten verrückten Wissenschaftler dargestellt. Aufgrund der technischen Eingeschränktheit des Praat-Programms konnten die beiden Darstelllungen immer nur auf einer festgelegten Position abgebildet werden, sodass der Ofen durchgehend links und der verrückte Wissenschaftler durchgehend rechts zu sehen war.
In Bezug auf die in Punkt 2.2 bereits angesprochene, historisch bedingte métissage der Gesellschaft in der französischen Überseeregion, kann angemerkt werden, dass die Familiennamen der Probandinnen und Probanden interessante Anhaltspunkte zu ihren ethnischen Wurzeln geben. Während die Namen Laurent und Martin auch in Kontinentalfrankreich von großer Häufigkeit sind, gelten beispielsweise Lebon, Payet, Hoareau oder Morel als typisch für die Überseeregion in Indischen Ozean. Die Namen Marimoutou und Ramassamy sind auf einen madagassischen Ursprung zurückzuführen, wohingegen Lio-Soon-Shun und Kon-Sun-Tack auf asiatische Wurzeln schließen lassen.
Bei der Studie von Jannedy und Weirich (2014) sind überraschenderweise keine Anmerkungen bezüglich einer Selektion der Resultate zu finden, was entweder bedeutet, dass eine Filterung der Ergebnisse zwar durchgeführt, diese aber nicht näher erläutert wurde oder dass keiner der insgesamt 132 Probanden eine atypische Kategorisierung der Stimuli vornahm, was bei der relativ großen Anzahl an Teilnehmern jedoch eher unwahrscheinlich ist. Ferner fällt auf, dass für die Messungen der Reaktionszeiten die Ergebnisse von lediglich 81 Testpersonen verwendet wurden, wobei jedoch ungeklärt bleibt, warum die Daten ausgerechnet für diese und nicht für die restlichen 51 Probanden erhoben wurden.
Die Versuchsleiterin fragte vor Beginn des Experiments nach, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Franzosen bzw. Französinnen seien, was diese bejahten. Bei der Bearbeitung der Daten fiel jedoch auf, dass jeweils zwei aus Madagaskar und aus der Republik Kongo stammen mussten. Für eine erneute Durchführung der Studie wäre es daher angebracht, die Probandinnen und Probanden explizit zu fragen, ob sie aus Frankreich oder La Réunion stammen.
Von den 17 Testpersonen, die die akustischen Stimuli ausschließlich als four kategorisierten, waren fünf der Kontrollgruppe und jeweils sechs der Gruppe La Réunion und Paris zugeordnet. Die neun Testpersonen, deren Antwortauswahl stark atypisch war, verteilten sich gleichmäßig auf die drei priming conditions.
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics definiert sich Signfikanz als „[t]he level of probability at which it is agreed that the null hypothesis will be rejected. [The significance level is] [c]onventionally set at 0.05.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 345) Im Kontext der vorliegenden Studie wurden die p-Werte wie folgt berechnet: p = 0.58 für die GruppePA:Stimulus, p = 0.38 für die GruppeCG:Stimulus und p = 0.99 für den Faktor Geschlecht. (vgl. Anhang 2 Abschnitt 5) Die Interaktion GruppeLR:Stimulus stellt, wie im nachfolgenden Text noch genauer erläutert wird, den Referenzwert dar und ist daher nicht in der Tabelle aufgelistet.
Das Cambridge Dictionary of Statistics definiert den p-Wert folgendermaßen: „The probability of the observed data (or data showing a more extreme departure from the ‘null hypothesis’) when the null hypothesis is true.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 304) Die Nullhypothese beschreibt wiederum „[t]he ‘no difference’ or ‘no association’ hypothesis to be tested (usually by means of a significance test) against an alternative hypothesis that postulates non-zero difference or association.” (ebd.: 269) Das Cambridge Dictionary of Statistics weist ferner daraufhin, dass der p-Wert „is commonly interpreted in a variety of ways that are incorrect. Most common are that it is the probability of the null hypothesis, and that is the probability of the data having risen by chance.” (ebd.: 245)
Gemäß dem Cambridge Dictionary of Statistics handelt es sich bei dem Intercept um „[t]he parameter in an equation derived from a regression analysis corresponding to the expected value of the response variable when all the explanatory variables are zero.” (The Cambridge Dictionary of Statistics 2002, 191)
Der Referenzwert wird automatisch von der R-Software festgelegt. Da ein Alter von 0 Jahren jedoch keinen Sinn ergibt, wurde diese Variable manuell auf 20 Jahre geändert. Das Alter von 20 Jahren erscheint passend, da sich bei der vorliegenden Studie ein Großteil der Probandinnen und Probanden in dieser Altersgruppe befinden.
Bei den Parameter handelt es sich um Intercept, Stimulus, Gruppe PA, Gruppe CG, GruppeLR:Alter, GruppePA:Alter, GruppeCG:Alter, GruppeLR:andere_Erstsprache, GruppePA: andere_Erstsprache und GruppeCG:andere_Erstsprache. Die 50%-Wahrnehmungsschwelle wird aus praktischen Gründen im Kontext der angewendeten Gleichung mit Stim50% abgekürzt.
Die Elision des postvokalen /r/ tritt ferner auch in anderen Kreolsprachen wie beispielsweise dem mauricien, haïtien und dem guadeloupéen auf. Innerhalb der romanischen Sprachen ist es des Weiteren im Katalanischen und kubanischen Spanisch zu verzeichnen, während es im germanischen Sprachraum speziell in der deutschen und niederländischen Sprache untersucht wurde (vgl. Nikiema 2002, 91). Im Dänischen wurde die Elision des Phänomens sogar mit dem dramatischen Begriff „stavelseskannibalisme“ (Skyum-Nielsen 2008, 342) bezeichnet.
Bordal stellt nicht das Alter, sondern vielmehr den Bildungsgrad als ausschlaggebenden Faktor heraus, was sich im Rahmen des Sprachproduktionsexperiments am folgenden Beispiel kontrastiv darstellen lässt: Ein 24-jähriger Busfahrer elidierte das postvokale /r/ zu 96%, wohingegen dies bei einem Bankangestellten nur zu 48% zutrifft (vgl. Bordal 2006, 78). Es wird argumentiert, dass ein hoher Bildungsabschluss die Chance auf ein gutes Arbeitsverhältnis erhöht, was wiederum an den Gebrauch der französischen Sprache gebunden ist. Im Kontext der vorliegenden Studie kann zu diesem Faktor leider keine Aussage gemacht werden, da zwar Daten zum höchsten Bildungsabschluss und zur Profession erhoben, sich die Gruppe an Probandinnen und Probanden diesbezüglich jedoch als relativ homogen herausstellte.
In Bezug auf die Abbildung 7 muss erwähnt werden, dass diese in der R-Software in Anlehnung an den dritten Quadranten bei 35 Jahren festgelegt wurde (vgl. 4.3).
Jannedy und Weirich (2014) die im Kontext ihrer Perzeptionsstudie zum Berliner Dialekt einen ähnlichen Befund für die jungen Probandinnen und Probanden herausfinden, konstatieren: „[Y]outh-style Hood German […] can be frequently heard in public […]. It has become a widely distributed youth speech style throughout Berlin, although it was formerly strongly associated with Kreuzberg.“ (Jannedy/Weirich 2014, 115) Dies kann auch im Kontext der vorliegenden Bachelorarbeit angewendet werden: Demzufolge begrenzt sich der Gebrauch des hexagonalen Standards nicht mehr nur auf die Hauptstadt Paris, sondern kann sich durch die Medien bis in die DROM ausbreiten. Zwar kann das créole réunionnais für Vereinzelte nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der Identität darstellen, jedoch weisen die Befunde darauf hin, dass für die jungen Sprecherinnen und Sprecher eher das français métropolitain – möglicherweise um das Zugehörigkeitsgefühl zur peer Gruppe zu stärken – von Bedeutung ist.

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