XIII.
Ein anderes Mittel, die Angehörigen zu trösten, ist der Hinweis auf die Pflichten, die ihrer zu Hause warten. Sehr sinnig tröstet ein Kgf. seine Mutter, indem er sie bittet, sie möge im Gedanken an ihren Sohn das Enkelkind küssen (Mauthausen — Acqualunga, Brescia):
Cara mamma, Voi forse piangete ogni giorno la mia scomparsa della patria, penzerete che forse non mi rivedrete piu. Ma io vostro figlio non penso mal a questo. Piango tanto l'essere da voi lontano ma sono sempre forte sono sempre stato ben fornito di spirito e di salute fino at oggi e vedrete che presto si abracieremo. Dunque non piangete permè che io sto bene, fatemi piuttosto il piacere di tener occhio alla mia bambina che piaugo ogni giorno la sua sventura. Quando vi sentite pensieri per la testa che riguarda la mia prigionia, datici pure un bacio alla mia bambina che troverete la tranquilità come aver baciato me stesso. Mamma cara presto ci rivedremo e saro sempre con voi non pensate a me.
Wie hier der Gedanke an das Enkelein, so soll in andern Fällen der Gedanke an die Liebe alle Besorgnis verscheuchen: denn die Liebe ist stärker als der Tod (Russland — Mähren):
Oh! quanto bramerei un tuo scritto mia buona sposa fatti di buon coraggio che il destino ci aiuterà, lungo sofrire ma amore non deve più morire.
Rücksicht auf die eigene Gesundheit soll die Angehörigen vor unnützen Aufregungen bewahren. Gift und Galle sind der Gesundheit schädlich (Nimburg — Bernaldo, Italien):
sto meglio Quinti ti prego di non prenderti veleno,
was wieder an das französische ne vous faites pas de mauvais sang erinnert. Das französische: Ne vous chagrinez pas! kehrt andererseits wieder in dem Vokabel sagrinare eines piemontesischen Briefes (Mauthausen — Avigliano, Turin):
prendo pazienza perche siamo lontani e non sagrinarvi di Salute sto molto bene.
Als Zeichen der Ruhe gilt normale Zusichnahme von Speise und Trank (Vallarsa — Feldpost):
i tuoi stanno tutti bene e anche tutti i prosimi parenti e tu non pensare a nulla mangia e bevi che noi viviamo pacifichi come la Pasqua qua va come una America,
Vallarsa, das angeblich im Schlaraffenland liegen soll (una America!), war damals von den Italienern besetzt. Eine merkwürdige Haltung bewahrt der naive Mensch aus dem Volke den Leiden gegenüber: er klagt und schätzt gleichzeitig seine Leiden als unbedeutend! ein. So kommt es zur paradoxalen Stilisierung: „Ich leide, aber das macht nichts". Ein gewisses Bescheidenheitsgefühl gebietet ihm, die eigenen Schmerzen nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken: es handelt sich ja nur um ein kleines armes nichtiges Menschenschicksal. Den stets etwas arroganten, sich unbewusst hochwertenden, auf seine Kultur eingebildeten Stadtmenschen frappiert vielleicht die Gelassenheit, mit der der einfache Mann seine Leiden auf sich nimmt, das Schicksal, das ihm der Krieg bereitet, als berechtigt anerkennt. Diese passive und fatalistische Stimmung ist es ja auch, die ganz Europa willenlos unter die Gewalt der kriegerischen Regierungen beugte. Für uns bedeutet die Formel non interessa niente, basta, mit der der Schreiber folgender Zeilen sein Ungemach von sich abzuschütteln scheint, keine Tröstung (Kiew — Umago, Istrien):
dipiu dichiaro che io son pregioniere in Rusia perquesto non interesa niente percosa finora non sto male . . . son molto sconsolatto che non poso ricever notizie di voi ma per questo non intereza niente basta datevi Coragio fino che idio vole che speriamo a la fine Col aiutto del altisimo.
Die fatalistische Weltauffassung des Kismet ist durch diesen Krieg ja näher gerückt als durch frühere Kriege: während in früheren Kriegen der Sieger bald seine Anstrengungen vom Triumph gekrönt, seinen Willen sich erfüllen sah, waren in diesem Kriege, wo Mächtegruppen jahrelang mit einander rangen, alle Völker davon überzeugt, dass Europa sich selbst zerfleischt und ein böses Schicksal die Kadmossaat der Zwietracht ausgestreut hat.
Eine häufige Form der Tröstung ist daher der Hinweis auf das sich erfüllende Weltgeschehen (Triest — Gravesan, Frankreich):
Conprendiamo eccelentemente che lei si ritrova nelle strettoie, ma ci perdoni neanche noi non nuotiamo nella liberta e felicità per conseguenza gli consigliamo coraggio e rassegnazione il tempo e galantuomo come pure gli dica all nostro caro A. che siamo corrazatti di corraggio che nasca quello che sa da nassere. In questi tempi calamitosi ove tutto si sconvolge ove nulla si comprende non resta che la personalita gli posso perciò garantire che noi non siamo sgomenti di nulla in una parola siamo fatalisti e perciò che il destino si compie. Signor P. un desiderio solo, nutriamo e invochiamo che prima della tottale distruzione di questa decrepita Europa potessimo per pochi istanti stringersi la mano come veri amici senza fini reconditi.
In diesem schon fast philosophisch gehaltenen Briefe ist die Verherrlichung der wahren Freundschaft ohne Nebenzwecke und Hintergedanken als der einzig aufrechtbleibenden Säule in dem allgemeinen Zusammenbruch Europas nicht ohne Schönheit.
Oft ist die versöhnliche Stimmung gegenüber den Weltgeschehnissen in einer Weise ausgedrückt, die für uns schon an Frivolität grenzt: der Trost „es kam der Krieg, so wird auch der Frieden kommen" wurde von einem nicht allzusehr spekulativ veranlagten Kopfe ausgedacht (ein Kgf. in Omsk nach Fiume):
Cara Mimi non smaniarsi per mi pur, e venuta la guere Europea Viniera a paze, 100 bazi a dolze tu boca. Bog Mimi.
Das schrecklichste Unglück wird oft zur Beruhigung der Angehörigen mit anscheinendem Gleichmut ertragen (Katzenau — Arezzo):
mi ai dato la triste notizia della rovina della nostra casa non avelirti Per questo che qualcheduno la tornerano a construire e cosi la avremo nuova.
Das Desinteressement am eigenen Schicksal wird allerdings in vielen Fällen in ganz stereotyper Weise, gewissermassen nur anstandshalber gezeigt: Klagen werden schliesslich nur mehr in der Einkleidung „ma non fa niente" laut (Witkowitz, Mähren — Garsa, Tunis):
ti mandero una lettera alla setimana per che non si pole mandare altro che una ma non fa niente. basta che ai notisie .... non si pole ocire ce il cortile grande e giriame dintro ma non fa niente speriamo che si finira presto.
Nichtsdenken führt zu heiterer Lebensauffassung:
La miglior cosa è di farsi sempre coraggio. di non pensare a nulla e di non far ridere i cavalli zoppi . . .
In qualunque congiuntura bisogna essere sempre allegro, che è proprio vero che uomo allegro il ciel l'aiuta.
In die heiter mutige Stoik tönen plötzlich kirchliche Töne (Leopoldau — Ceriale, Genua):
ma basta sempre coraggio dice il proverbio. nell'uomo allegro cè laiuto. sun simcorda. ame.
Sprachstudium, das man später nicht brauchen wird können, tröstet einen vielleicht vorübergehend (Neu-Prossnitz, Mähren — Omsk:
Ebbene portiamo pazienza che si finirà, anche questa infame. Intanto impariamo il boemo e quando lo sappiamo per intiero speriamo di andare in giù.
„Sich keine Gedanken machen" ist für den naiven Menschen gleichbedeutend mit philosophischer Haltung. Allerdings haben nur die wenigsten Menschen Kenntnis von dem Ausdruck Philosophie; der Italiener benennt die stoische Haltung den Leiden gegenüber mit dem Worte „pazienza". (Über die historischen Wandlungen des Begriffes der „pazienza" habe ich vor Jahren in der Zeitschrift für romanische Philologie 1912, S. 695 geschrieben): Pazienza, Standhaftigkeit im Leiden, ist die Tugend des christlichen Helden: sie ist ebenso mit der Entsagung (rassegnazione) wie mit dem Mute (coraggio) verwandt. Pazienza und coraggio gehören denn auch zu den am häufigsten vorkommenden Worten der italienischen Korrespondenz. Pazienza ist die passive Seite, coraggio die aktive einer und derselben Charakterhaltung, der Festigkeit im Ertragen des Ungemachs. Pazienza ist die Eigenschaft des Märtyrers, coraggio die des Helden — — Heldentum und Märtyrertum sind aber im Kriege voneinander kaum zu unterscheiden, gehen ineinander über. Oft hat der Kämpfer sein Heldentum erwiesen bevor er das Martyrium der Gefangenschaft erlebt — aber nicht nur in der Feuerlinie gibt es Helden und nicht nur in der Gefangenschaft Märtyrer.
Die rassegnazione ist ebenfalls eine notwendige Konsequenz des Krieges. Wer begriffen hat, wie in ganz Europa mit einer geradezu uhrmässigen Gleichförmigkeit die Einzelindividuen in den Mechanismus des Staatsganzen gezwungen werden, wie der doch aus Einzelmenschen bestehende Organismus seine eigenen Bestandteile beherrscht, wie jeder Mensch dem Willen des übergeordneten Systems gehorchen muss, weil er einsieht, dass nur durch Unterordnung unter das Ganze die eigene Existenz gesichert werden kann — dem muss mehr denn je die Erkenntnis aufdämmern, dass die Stärke des Mannes nicht in Auflehnung, sondern nur in willentlichem Ertragen des Gesamtwillens bestehen kann. Seine Kraft besteht also vor allem in der Knebelung seines Egoismus. Ganz philosophisch ausgedrückt ist dieser Wille zum Durchhalten in den folgenden Zeilen (Mauthausen— Busto Arsizio, Mailand):
Sta tranquillo che sopporterò rassegnato la mia prigione che del resto non è tropo cattiva; eppoi purtroppo ho imparato in qnesta guerra a portare pazienza e a fare filosofamente quello che mi viene ordenato.
(Mauthausen — Ozieri, Sassari):
Io qui prendo il tempo con filosofia. Che si vuole fare, in certi momenti sono anche allegro, specialmente quando mi si rispecchia nella mente la tranquillità di famiglia. Verra pure quel giorno!
Philosophie ist fürs Volk gleichbedeutend mit Stoizismus.
Der Hinweis auf das allgemeine Leiden muss den einzelnen Menschen über seine Privatschmerzen hinwegtrösten: „alle Leidenden auf dieser Welt sind schliesslich nicht schlechter als Du" (Triest — Drosendorf):
Abbi coraggio e pazienza ti prego pensa che non sei il solo a soffrire ma tutto il mondo è con te.
Coraggio e pazienza! Der Krieg wird nicht ewig dauern, alles hat ja ein Ende (Mauthausen — San Giorgio di Nazaro, Udine):
Cara molie darti coraggio tu. e porta pazienza tu anche per me, vedi di stare alegra di Non appassionarti, che passe- ranno anche questi giorni.
(Chiusa San Michele, Torino — Mauthausen):
Oh! Dio mio verrà ancora quel giorno he protremo rivederci e parlarci e strincerci forte fra le nostre braccia ah quanto sarà lontana quella idea non è vero ma speriamo sempre he con laiuto del Signore venga presto quel giorno desideratto. Caro mio V. pensa a he tanto ti vuol bene prendi con panzienza fa sempre coragio he tutto passa passerà anche questo.
Gelegentlich wird aber der Mut von aufrührerischen Elementen als aktives Stimulans zu tollen und unüberlegten Taten gefeiert (Cetinje — St. Polten:
Mi scrivette che io stò ubidiente. ma chredo che mi conosciette già da molto tempo che sono Matto, da quella volta che vi scritto o fatto già 6 ore diferri cosa volette che sia. e tutto il coraggio che fa il morbim e che paga Pierin.
(Vallarsa — Feldpost):
e tu stai bene. ei tuoi Padroni. abia pasienza in tutto che con la pasienza si vince tutto e tutto avra fine speriamo.
Verschiedene Belege variieren den Trost von der alles heilenden Zeit (vergl. ausser früheren den Beleg Drosendorf — Trapani):
portar pasienza e coraggio che il tempo e galantuomo.
Geduld gebührt der Jugend, nur der alte Mensch hat ein Recht auf Ungeduld (Orsera, Istrien — Russland):
Dunque zenza che tu miscrivi cosidero anche le tue ideie mio caro marito ma per intanto coragio, e verro che siamo ancor giovani per pazientare tute queste tristeze ma e in nuttile.
Neben dem Wort vom tempo galantuomo erscheinen andere Sprüche:
pazienza infino cho uno a denti bocca sa cosa gli tocca dice proverbio si vede il nosto destino era questo. Stai allegro il tempo galantuomo passa presto,
wo die banalen Plattverse des Spruches zwei ebenso banale und platte Verse nach sich zogen. Vgl. den schon zum Teil in anderem Zusammenhang zitierten Beleg (Grossari b. Salzburg — Torre Pelhce, Turin):
Allora cari miei Genitori vivengo a dire clie e il giorna disqua ma per me mi pare di nò per che non posso far pasqua e non posso festegiarla per niente ma pure bisogna avere pazienza per questanno mi tocca fare cosi e allora e pazienza e in mentre il tempo passerà e questo finira spero di andarla poi fare il paese tranquilamente e festegiarla con tutti quanti voialtri mi cari ma oggi mi tocca avere pazienza ebbene pazienza con il tempo e la pazienza il ten po passerà e io acasa ritornerò a consolarvi tutti quanti o miei cari Genitori.
Geduld, Geduld, nichts als Geduld!
Die Sprüche, mit denen ein leidendes Herz getröstet werden, sind weder besonders geistreich noch auch beruhigend — der Trost besteht höchstens darin, dass etwas Liebevolles und Wohlgemeintes, ja dass überhaupt etwas gesagt wird, wie auch die Kondolenzen, die wir zu sprechen pflegen, wertlos sind und nur durch die Tatsache, dass sie gesprochen werden, woltuend wirken. „Fassung!", „Du musst es halt ertragen!", „Sei doch gescheit!", das pflegen wir einem in seinem Schmerz niedergebrochenen Freunde, ihm auf die Schulter klopfend, zuzurufen — während wir selbst die ohnmächtige Ironie, die nichtssagende Bedeutungslosigkeit unserer Rede erkennen. Ebenso nichtssagend ist die gelegentlich der Mitteilung des Todes eines Vaters beigefügte Ermahnung „ci vuol pazienza" (bezeichnenderweise am Schluss des Briefes!):
Con dispiacere di devo scrivere che Domenica l Agosto abbiamo fatto sepoltura a tuo padre era nialato soli tre giorni ti srà una sorpresa ma ci vuole pazienza.
Der Schreiberin fehlt der Sinn für die Abstufungen der Gefühle je nach Intensität und Wichtigkeit: sie schreibt zum Schluss, was für feiner Empfindende an den Anfang gehört; sie nennt eine „Überraschung", was wir als „erschütterndes Ereignis" bezeichnen würden.
„Es hätte noch viel schlimmer kommen können", mit dieser Wahrheit sucht man über materielle Verluste hinwegzutrösten. „Wenn man nur gesund ist!" pflegen wir bei einem Unglück zu sagen. Ebenso der Triestiner: „basta salvarci la pelle" (Katzenau - Triest):
Gran dispiacere sento per via dei veci, lori per non lasciar la sua casa i si faria an che copar, i poteva andar via e lasciar chei rompi tutto magari! basta salvar la pelle.
Oder noch drastischer:
basta salvar la panza per i fichi.
Dass eine schlechte Weinlese noch immer besser ist als der Tod, gegen den kein Kraut gewachsen ist, mag eine Wahrheit, zugleich aber ein dürftiger Trost für das Zugrundegehen der Weinlese und den Entfall in den Einnahmen eines Bauern sein (Castellina, Siena — Mauthausen):
Abbiamo vendemmiato e il raccolto e stato poco cioè 40 some. A tutto si rimedia fuori che alla morte.
Auch dass das Sterben in Wagna bei Leibnitz an der Tagesordnung ist, dass jedermann auf der Welt, reich und arm, sein Kreuz zu tragen habe, ist kein Trost für den Tod einiger Angehörigen in jenem Flüchtlingslager (Wagna — Katzenau):
io li dico che non si stia meter in testa questi pensieri che la lasci da parte queste cose che la se fasi coragio che qui si muore facile dunqui li racomando di farsi coragio anche lei essa se avelisce anche per lei li pare che li venise male dunque li racomando di farsi coragie di nuovo che gia non e rimedio ... Mi scrive che le appar so un fulmine ia notizia dela sua cara n. ma cosa vuole in questo mondo tutti anno le sue croci il Signore non bada in faccia ne poveri ne richi non e soltanto la sua cara N. ghe ne sono a centinaia di bambini che muore.
Gott legt dem Menschen das Kreuz auf — Gott ver-leiht ihm auch die Standhaftigkeit es zu ertragen. Der croce di dio entspricht die pazienza di dio; dieser Ausdruck, der an das Leiden Christi zu erinnern scheint, findet sich in einem allerdings recht unfromme Gesinnung verratenden, Tod- und Teufel anrufenden Passus (Lovrana — Westaustralien):
ti tisa pure ke kvesto ze un poko tropo permi ma pačienča de dio mi devo prekurar mangari in kaza del diavolo ... G. mio ke amare kele meze mi soke nanke ati nonle sara bone tanto tenpo Ma pačienča de idio mispero sula Madona.
Wie wunderbar zu denken, dass von den Küsten der Adria bis an die Australiens, inmitten stilistischer Verwahrlosung und orthographischer Anarchie, ein Wort dringt, an dessen Entwicklung die ganze christliche Kultur des Trecento mitarbeitete!