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UnFAIRe Forschungsinseln – am Beispiel der Onomastik

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Zitation: Thomas Krefeld (2020): UnFAIRe Forschungsinseln – am Beispiel der Onomastik. Version 1 (08.10.2020, 10:52). Lehre in den Digital Humanities. , url: https://www.dh-lehre.gwi.uni-muenchen.de/?p=187566&v=1



1. Wiedererwachtes Forschungsinteresse

Seit einiger Zeit lässt sich in der Sprachwissenschaft ein wiederwachtes Interesse für Onomastik, d.h. für die Erforschung der Namen erkennen. Speziell im Bereich der Toponomastik, der Orts-, Flur- und Geländenamen sind einige bemerkenswerte Projekte auf den Weg gebracht worden, und die Anthroponomastik, die Erforschung der Personennamen, könnte womöglich von umfangreichen Datenbeständen profitieren, die außerhalb und unabhängig von den Wissenschaften gesammelt wurden. Es mag sein, dass die Renaissance der Onomastik mit der Digitalisierung zusammenhängt.

2. Familiennamen

Die Verbreitung der Familiennamen ist mittlerweile in vielen Ländern gut dokumentiert; Datengrundlage sind meistens die Telefonbücher, d.h. die Namen der Inhaber von Festnetzanschlüssen. Wegen der grundsätzlich öffentlichen Zugänglichkeit sind die klassischen Telefonbücher und ihre digitalen Nachfolger eine sehr solide Datenquelle für unterschiedliche Fragestellungen. Allerdings sind aktuelle Entwicklungen der letzten 10-15 Jahre wohl nicht mehr ganz zuverlässig abzubilden, da ein zunehmender Teil der Einwohner mittlerweile keinen Festnetzanschluss mehr habt. Die vorliegenden Auswertungen der Telefonbücher sind auch nicht immer gut dokumentiert; eine echte Chronoreferenzierung ist daher oft nicht möglich (DEFAULT). Offenkundig besteht ein starkes kommerzielles Interesse an dergleichen Dokumentationen, das sich auf die verbreitete Nachfrage von Internetnutzern stützt, die an der Rekonstruktion ihre eigenen Genealogie interessiert sind. Die Verbreitung von Familiennamen ist aber in mehrfacher Hinsicht auch von sprachwissenschaftlichem Interesse, so dass man eine linguistische Nutzung der bestehenden Angebote grundsätzlich nicht von vornherein ausschließen sollte.

2.1. Ein Indikator für Sprechermobilität und eventuelle Mehrsprachigkeit

2.1.1. Rossi und Russo

Zunächst gewährt die Verbreitung von Familiennamen offensichtliche Einblicke in die Mobilität der Bevölkerung und insbesondere in die Arbeitsmigration. Das Potential soll ausgehend von den beiden häufigsten italienischen Namen Rossi und Russo gezeigt werden (Link). In beiden Fällen handelt es sich um Varianten des Adjektivs rosso ‘rot’ (< lat. russus). Während Rossi charakteristisch für Nord- und Mittelitalien (einschließlich Kampaniens) ist, herrscht Russo im Süden massiv vor, ist aber auch in der Lombardei und in Piemonte, jeweils in Mailand, Turin und im weiteren Umfeld beider Städte verbreitet. Die piemontesischen und lombardischen Belege sind teils auf die inneritalienische Migration vom Süden in den triangolo industriale zurückzuführen; es ist aber auch nicht auszuschließen, dass lokale Formen darunter sind, denn in manchen piemontesischen und lombardischen Dialekten1 lauten die maskulinen Varianten des Adjektivs rosso wie generell im Süden ebenfalls auf /u/ (vgl. AIS 1576; Link).

Der Familienname Russo in Italien (3160 Orte; Quelle)

Der Familienname Rossi in Italien (4572 Orte; Quelle)

Da unter den italienischen Einwanderern nach Deutschland (jedenfalls bis zur Finanzkrise im Jahre 2008) der Süden stark dominierte, sollte man eine größere Verbreitung von Russo gegenüber Rossi erwarten; genau das ist auch der Fall, wie die entsprechenden Verbreitungskarten der Namensvarianten in Deutschland bestätigen:      

Der Familienname Russo in Deutschland (699 Orte, Quelle)

Der Familienname Rossi in Deutschland (404 Orte, Quelle)

Man beachte einerseits die Konzentration des Typs Russo in stark industrialisierten und heute teils postindustriellen  Gebieten   (Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, Württemberg, Nürnberg, München) im Gegensatz ´zur diffuseren Verbreitung des Typs Rossi, die nur geringe Verdichtungen erkennen lässt und der darüber hinaus sporadisch auch in den Neuen Bundesländern (Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg) auftaucht, in denen es überhaupt keine Immigranten der so genannten Gastarbeitergeneration (50er bis 70er Jahre) gab.

2.1.2. (Da) Silva

Ähnliche Beobachtungen lassen sich ausgehend von den häufigsten Familiennamen Portugals (Link) anstellen; die Suche nach der Verbreitung des Namens (da) Silva lässt die starke Auswanderung von Portugiesen nach Frankreich, Luxemburg (Link) und in die Schweiz hervortreten. Hier die Schweizer Verhältnisse:

Die Verbreitung des Namens da Silva in der Schweiz (Quelle s.v. da Silva)

In der Schweiz korreliert die Präsenz des Namens (nach Augenschein) in wenig überraschender Weise mit:

  • der Industrie (Westschweiz, Großraum Zürich, Bodenseeufer),
  • dem Tourismus (Engadin, Wallis).

Sehr klar ist aber darüber hinaus ein Zusammenhang mit der französischsprachigen Schweiz (Genf, Kantone Vaud/Waadt und Jura), der ohne Zweifel mit der größeren Ähnlichkeit der beiden romanischen Sprachen zu tun hat: Portugiesische Arbeitsmigranten bevorzugen unter vergleichbaren Bedingungen die romanischsprachigen Gebiete.

2.1.3. Popescu

Viel weniger deutlich zeigt sich im Spiegel der Telefonbuchdaten übrigens die massenhafte Arbeitsmigration der Rumänen (vgl. Krefeld 2020m, Link), die in Europa besonders Spanien, Italien und Deutschland betrifft; es mag sein, dass das Instrument des Festnetzanschlusses bei rezenten rum. Arbeitsmigranten in Italien und Spanien keine zuverlässigen Aussagen mehr erlaubt. Es folgt, exemplarisch, die Verbreitung des häufigsten Familiennamens Rumäniens, Popescu2, in den genannten Immigrationsländern:

Verbreitung des Namens Popescu in Rumänien (6427 Familien; Quelle)

Verbreitung des Namens Popescu in Spanien (25 Orte; Quelle)

Verbreitung des Namens Popescu in Italien (18 Orte; Quelle)

Verbreitung des Namens Popescu in Deutschland (197 Orte; Quelle)

2.2. Namenmotivation

Familiennamen sind semantisch sehr unterschiedlich motiviert, und es wäre zweifellos lohnenswert, hier systematisch Ländervergleiche anzustellen. Unter den häufigsten 14 Familiennamen Italiens (Link) sind fünf recht eindeutig im Aussehen, d.h. in physischen Eigenheiten motiviert (),  drei in Berufen (), jeweils zwei in semantisch mehrdeutigen Tiernamen () und in der Herkunft ()  und je einer in einer biographischen Besonderheit ()3 und im Vaternamen, oder: Patronym (). Die 14 häufigsten Familiennamen in Deutschland (Link) sind dagegen ausnahmslos in Berufsbezeichnungen  motiviert.

die 14 häufigsten Familiennamen
  Italien Deutschland
1 Rossi 45.677 Müller 256003
2 Russo 31.372 Schmidt 190584
3 Ferrari 26.204 Schneider 115749
4 Esposito 23.230 Fischer 97658
5 Bianchi 18.794 Weber 86061
6 Romano 17.947 Meyer 83586
7 Colombo 17.670 Wagner 79732
8 Ricci 15.045 Becker 74009
9 Marino 13.417 Schulz 73736
10 Greco 13.416 Hoffmann 71440
11 Bruno 13.108 Schäfer 61585
12 Gallo 12.902 Richter 59950
13 Conti 12.774 Koch 59927
14 De Luca 12.608 Bauer 58903
Aussehen - Beruf -  Tiernamen  - Herkunft -  Biographie -  Patronym

Diese schlichte Gegenüberstellung sagt allerdings nichts aus; um zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen wären zwei Schritte zu unternehmen, die jedoch vor dem Hintergrund der bestehenden Daten unmöglich durchgeführt werden können:

  • Rein phonetische und/oder orthographische Varianten müssten zu einem Typ zusammengefasst werden (hier: Rossi und Russo) sowie Ferrari mindestens mit den ebenfalls häufigen (hier nicht vorkommenden) Varianten Ferrero (Karte), Ferrara (Karte) und analog im Deu. Schmidt, Schmitt, Schmitz usw.
  •  Jeder Typ müsste weiterhin mit den relevanten Motivationskategorien, die KONZEPTEN entsprechen, verknüpft werden; da oft markante lexikalische Unterschiede regionaler Art bestehen, würden bestimmte Kategorien sehr viel höher gerankt werden. So bedeutet Ferrari dasselbe wie deu. Schmidt, nämlich ‘Schmied’ und wäre mit den regional häufigen Geosynonymen des Typs Fabbri (Karte) / Fabbro (Karte) ‘Schmied’ zu verbinden usw. 

2.3. Quellenkritik im Hinblick auf DH-Tauglichkeit

Die wenigen Beispiele haben bereits das recht große Angebot an Internetdiensten für die Suche von Familiennamen gezeigt; manche darunter informieren auch über die Frequenz und stellen Listen mit den häufigsten 50, 100 usw. zur Verfügung. Die zitierten Dienste sollen nun einer kurzen vergleichenden Kritik im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für Projekt im Bereich der Digital Humanities unterzogen werden.

  • https://www.kartezumnamen.eu/ für:  BelgienDänemarkDeutschland, FrankreichItalien, NiederlandeRepublik IrlandRumänien, Spanien, Vereinigtes Königreich. Dokumentiert wird ausschließlich die Verbreitung einzelner Namen; die Daten sind durch Copyright geschützt; ein Sharing von Einzelkarten über Facebook, twitter und Google ist möglich. Interessenten werden zum kostenpflichtige genealogischen Dienst MyHeritage weitergeleitet. 
  • http://www.geopatronyme.com/ für: Frankreich  ( --> men Sohn), zu Grunde liegen die staatlichen Geburtsregister4 zu Grunde; es werden gut statistische Informationen geliefert, die kontinuierlich aktualisiert werden.5 Elementare sprachgeschichtliche Kommentare  werden geliefert und das Auftreten des Namens in historischen Dokumenten wird erfasst (vgl. das Beispiel DupontLink). Der Anbieter ist kommerziell (Filae.com; Link) und schützt die frei zugänglichen Daten durch das Copyright; eine Sharing-Funktion oder Download-Optionen gibt es nicht. Zahlenden Kunden wird die Erstellung genealogischer Profile ermöglicht.
  • Das kommerzielle Portal cognomix.it (Link) liefert für Italien Verbreitungskarten, etymologische und andere Kommentare sowie Häufigkeitsrankings nach Regionen (vgl. diesen Link zu Sizilien). Alle Daten sind geschützt. Daraus folgt, dass Downlaod und Sharing nicht vorgesehen sind; Permalinks fehlen.
  • Verbreitungskarten zu Familiennamen in Italien und den USA bietet - in geschützter Form (©) - auch das Portal gens (Link) an. 
  • Der Dienst Familiennamen Verbreitungskarten von Österreich (Link) liefert zusätzlich Häufigkeitsangaben und -listen; die Verwendung jeder Einzelkarte ist mit CC BY-NC-SA 3.0 AT  lizenziert. Ein Download wird nicht angeboten. Wer hinter dem Portal steht. ist unklar.

Die bis jetzt genannten Dienste sind allesamt prekär, da keine Permalinks geliefert werden und jedes Portal über Nacht verschwinden kann. Bezeichnend ist der folgende Hinweis auf Familiennamen Verbreitungskarten von Österreich:

"Bis vor kurzem gab es bei verwandt.at die Möglichkeit, sich eine Karte für Österreich erstellen zu lassen. Leider wurde dieses Angebot eingestellt.
Eine weitere sehr bekannte Seite für Verbreitungskarten ist auch die Seite Geogen von Christoph Stöpel. Leider gibt es dort nur Karten für Deutschland online zu sehen - Österreich gibt es nur als optionales Windows-Programm zu erwerben, jedoch leider nicht kostenfrei. 
In diese Lücke will diese Seite stoßen und Sie unterstützen, mehr über Ihren Familiennamen oder vielleicht sogar die Herkunft Ihres Namens herauszufinden!" (Quelle)

Zwei wissenschaftliche Portale kommen hin:

  • An der Mainzer Akademie der Wissenschaften wird namenforschung.net aufgebaut. Dort sind mehrere Projekte angesiedelt, vor allem das Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD) (Link) und der sechsbändige Deutsche Familiennamenatlas (Link) auf der Basis der Telefon-Festnetzanschlüsse des Jahres 2005. Das DFD hat mit den häufigsten Namen begonnen; selbst dieses ambitionierte Projekt gibt keinen Lizenzierungshinweis  und bietet auch keinen Download an. Permalinks fehlen ebenfalls.
    Einen guten Eindruck von der Vorgehensweise gibt der Eintrag zum zweithäufigsten deutschen Familiennamen Schmidt von Nikola Kunz.  Die dort publizierte Karte wird nicht aus der Datenbank generiert, sondern entspricht dem PDF einer Printversion. Ausserdem stört der Verweis auf kommerzielle, nicht einsehbare Quellen (MyHeritage6).
  • Sehr überzeugend ist die Online-Kartierung des Luxemburgischen Famliennamenatlas (lfa, Link); angeboten werden Permalinks und mehrere Sharing-Optionen. Der Atlas erlaubt die synoptische Darstellung von maximal vier Formen, so dass sich auch orthographische und/oder phonetische Varianten abbilden lassen, wie z.B. Schmidt / Schmitt / Schmied / Schmitz (Link) oder Wouters / Walter / Wolters / Welter (Link).  Dieser Atlas überwindet in souveräner Manier die nationalstaatliche Perspektive und präsentiert Luxemburg im Kontext seiner Anrainerstaaten.
    Eine analoge, grenzüberschreitende Dokumentation wäre natürlich auch für die Schweiz und Österreich wichtig, denn typische Namen der französischsprachigen Westschweiz oder des italienischsprachigen Tessins setzen sich in den anschließenden Regionen Frankreichs oder Italiens fort (vgl. z.B. den fra. Namen Jeanneret   oder den ita. Namen Bernasconi).

Trotz des auf den ersten Blick breiten und wegen seiner Breite sogar unübersichtlichen Angebots ist das Fazit ernüchternd, denn eine Aggregation zu einem strukturierten und staatenübergeifenden  Datenbestand  im Sinne der Digital Humanities ist aus rechtlichen und technischen Gründen nicht möglich.

3. Toponyme

Die Toponyme erwecken deutlich weniger Laieninteresse; wegen ihrer Bedeutung für Navigations- und Orientierungssysteme sind sie jedoch für bestimmte kommerzielle Zwecke sehr lukrativ. In alltagspraktischer Hinsicht sind sie deshalb wichtiger als die Familiennamen.  Auch in diesem Bereich der Onomastik stellt sich nun - wenngleich in anderer Weise - die Frage nach der Verknüpfung von Forschungstraditionen mitsamt ihren Daten sowie darüber hinaus nach der Integration von forschungsunabhängig entstandenen Datenbeständen.

3.1. Toponomastische Datenbanken

3.1.1. ortsnamen.ch

In mancher Hinsicht exemplarisch für die Überführung der traditionellen sogenannten Namenbücher in eine virtuelle Umgebung und ihre Erweiterung durch andere Quellen ist das umfassend angelegte, noch nicht vollständige Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung (ortsnamen.ch). 

"[Es] enthält einen wesentlichen Teil der wissenschaftlichen Informationen aus der Schweizer Namenforschung. Soweit die Daten georeferenziert sind, werden sie auf Karten (OpenStreetMap, Swisstopo, Google) visualisiert." (Quelle

Es ist zweifellos richtungsweisend den Namenbestand der vier Landessprachen (Französisch, Italienisch, Rätoromanisch und Deutsch) zusammenzubringen. Allerdings sind die meisten der der zahlreichen Formen zwar Kategorien zugeordnet, wie z.B. Alvigni Vitg  dem "Ortstyp: Ort" (Link), ein anderes Vic  dem "Ortstyp: [Teil von] Dorf" (Link), und wieder ein anderes Vic dem "Ortstyp: Flur" (Link) usw., aber diese Kategorien funktionieren (noch?) nicht als Suchfilter. Außerdem sind Vic/Vitg/Vigo nicht als Varianten ein und desselben etymologischen Typs (< lat. vicus ‘Stadtviertel, Dorf’; Link) ausgezeichnet, so dass jede Form einzeln gesucht werden muss; das Kriterium der Findbarkeit gilt - mit anderen Worten - nur mit Abstrichen. Karten mit georeferenzierten Einzelformen lassen sich über Permalinks teilen, wie die eben genannten Beispiele zeigen; sie sind mit CC BY-SA 4.0 lizenziert. Die Kartierung erfolgt auf multipler Grundlage; als Grundeinstellung erscheint OpenStreetMap (Link):

Kartographische Oberflächen von ortsnamen.ch

Für den Download des Gesamtbestands wurde eine API-Schnittstelle eingerichtet (Link), so dass die Erweiterung der Dokumentation in einem anderen, über die Schweiz hinausgehenden Rahmen grundsätzlich möglich ist. Das wäre im Hinblick auf die westlich und südlich anschließende Romania ebenso wichtig wie hinsichtlich der nördlich angrenzenden Romania Submersa im Süden Deutschlands; so setzen sich ja, um nur ein Beispiel zu nennen, die sehr zahlreichen Wil (181 Treffer) und Wiler-Namen (212 Treffer) in den deu. Weil/Weiler-Namen fort (vgl. Krefeld 2020k; Link). Reusability und Accessibility sind also gegeben.

3.1.2. Der Dizionario Toponomastico Trentino (DTT)

Die  Inselhaftigkeit der Ortsnamenforschung erweist sich sofort, wenn man ein anderes, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz angesiedeltes Projekt ins Auge fasst, den Dizionario Toponomastico Trentino (DTT). Dieses Projekt verdient in mehrfacher Hinsicht Aufmerksamkeit; wie im folgenden Zitat ausgeführt wird, beruht es auf Daten, die - vor Einrichtung des Internet - von einem Netz nicht professioneller Linguisten geliefert wurden. Wirklich modellhaft ist die Verankerung des Projekts in einem Gesetz der Provinz (LEGGE PROVINCIALE 27 agosto 1987, n. 16; Link):

"Il Dizionario toponomastico trentino non è solo un dizionario.
Con questo nome si identifica infatti un progetto, avviato dalla Provincia di Trento nel 1980 e perfezionato con un’apposita legge nel 1987, che ha lo scopo di promuovere la raccolta e lo studio dei toponimi del Trentino, di favorire la conoscenza della loro pronuncia e uso, del loro significato, tradizione ed origine.
   Raccogliere i nomi dei luoghi del Trentino tuttora vivi è stato tuttavia il compito prioritario che la Provincia di Trento si è data, con una legge del 1987, allo scopo di conservare un patrimonio di informazioni, trasmesse principalmente per via orale, che sarebbe andato ben presto perduto con la scomparsa degli informatori più anziani.
Ogni comune del Trentino ha avuto così il suo ricercatore che è stato incaricato di raccogliere e schedare tutti i toponimi che gli informatori del posto usavano o ricordavano di aver usato.
   Intorno agli inizi degli anni Novanta i ricercatori hanno realizzato le inchieste utilizzando un personal computer portatile, dal quale le schede toponomastiche venivano scaricate, revisionate e quindi immesse nella banca-dati del Dizionario toponomastico trentino.
   Anno dopo anno le schede raccolte, assieme alle carte geografiche con la collocazione dei punti, alla pronuncia del nome dialettale e alle fotografie dei posti più significativi, sono entrati a far parte della banca-dati che, completata nel 2007, gestisce attualmente oltre 153.000 siti per oltre 200.000 toponimi. Un numero pari oltre 30.500 è stato pubblicato nella collana dei volumi Ricerca geografica." (DTT; Link)

Im Unterschied zu ortsnamen.ch wurde alle erfassten Formen typisiert, d.h. wenn erforderlich als Varianten eines Typs klassifiziert, der jeweils - wenn möglich - über eine standarditalienische Variante identifiziert und gesucht werden kann.  So führt die Suche von vigo zu den Varianten:

  • Vigo/Viga/Vic'/Vich (Link),

die als Liste und Karteneinträge visualisiert werden. Jeder interaktive Listeneintrag wird detailliert kommentiert (vgl. z.B. zu Ciamp de Vich im Fassatal). Genauso lassen sich jedoch auch die dialektalen Varianten direkt suchen, so dass die Findbarkeit deutlich besser elaboriert ist als auf ortsnamen.de. Jede Trefferliste kann mitsamt der Verbreitungskarte über eine URL direkt angesprochen werden. Export- bzw. Downloadfunktionen fehlen; die Seite steht als ganze unter dem Copyright © TrentinoCultura. Der Kartierung scheint ein (nicht spezifiziertes) proprietäres System zu Grunde zu liegen; Einzelbelege lassen sich zudem auf einer Luftbildkarte anzeigen, die mit CC BY 3.0 lizenziert ist (wie z.B. das genannte Ciamp de Vich; Link). 

Beide toponomastische Projekte, die hier kurz vorgestellt wurden, sind in der technischen Erschließung der Namenbestände sehr avanciert - es wäre daher zweifellos leicht (gewesen), sie in einer gemeinsamen virtuellen Umgebung zu kartieren.

3.2. OpenStreetMap (OSM)

Die "freie Weltkarte" (Link) OpenStreetMap (OSM) wurde bereits erwähnt; es handelt sich um ein Open Source-Geoinformationssystem, das durch eine Community entwickelt und kontinuierlich verfeinert wird (Link). Im Sinne der Digital Humanities wäre es nun unbedingt wünschenswert, wenn toponomastische Projekte dieses Geoinformationssystem  systematisch nützen würden. Mindestens vier Vorteile ergäben sich damit:

  • OSM stellt eine große Menge sprachunabhängiger Sachkategorien (so genannte ‘Attribute’) zur Verfügung, die den KONZEPTEN, bzw. Wikidata Q-IDs entsprechen; damit steht ein erweiterbares und spezifizierbares Referenzsystem für die Klassifikation der Namen zur Verfügung; vgl. CITY - TOWN - VILLAGE usw. (Link).
  • Es sind bereits zahlreiche Namen vorhanden, die selektiv oder vollständig heruntergeladen und integriert werden können.
  • Grundsätzlich ist auch die Erhebung weiterer Namen, wie etwa der häufig fehlenden dialektalen Varianten möglich; so ein Projekt sollte systematisch ins Werk gesetzt werden, denn oft sind - auch in dialektal geprägten Gebieten - nur die hochsprachlichen Formen verfügbar. 
  • Ebenfalls sinnvoll wäre die Anreicherung durch historische Namen, die nicht erhalten sind, bzw. durch historische Varianten (Vorläufer) moderner Formen.

Ein Beispiel zur toponomastischen Nutzung von OpenStreetMap findet sich in  Krefeld 2020k (Link); eine Anleitung zur Datenextraktion gibt Lücke 2020a

Genauer gesagt handelt es sich um die Dialekte, in denen betontes lat. /ŭ/ vor auslautendem /-u/ und/oder auslautendem /-i/ umgelautet wurde.
Der Name ist auch in der Republik Moldawien nicht selten, wie dieser Link zeigt; er liegt in der Frequenzliste auf dem 30. Rang (Link).
Vgl. zur Herkunft des relevanten Namens Esposito diesen Link.
Vgl.: "Ce site a été élaboré à partir du fichier des communes de naissance réalisé par l'Institut National de la Statistique et des Études Économiques (I.N.S.E.E.)" (Quelle).
Die Zuverlässigkeit der Dokumentation spiegelt sich anekdotisch in einem beruflichen Aufenthalt des Autors wider, der sich in Gestalt der Geburt seines ältesten Sohns abbildet: Link.
Dieses Unternehmen hat anscheinend die früher frei zugänglichen Portale verwandt.de, verwandt.ch usw übernommen

Bibliographie

  • Bickel/Graf = Bickel, Hans / Graf, Hannes (Hrsgg.): ortsnamen.ch - Das Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung, Zürich (Link).
  • DTT = DTT (o.J.): Dizionario Toponomastico Trentino (Link).
  • Krefeld 2020k = Krefeld, Thomas (2020): Polystratale und monostratale Toponomastik – am Beispiel der Romania Submersa und der Insel La Réunion, in: Korpus im Text, Serie A, München, LMU (Link).
  • Krefeld 2020m = Krefeld, Thomas (2020): Neue Romania, in: Lehre in den Digital Humanities, München, LMU (Link).
  • Kunz = Kunz, Nikola (2020): Schmidt, in: Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands (Abruf 23.06.2020), Mainz, AdW (Link).
  • Lücke 2020a = Lücke, Stephan (2020): Beschaffung des Orts- und Flurnamenrepertoires von La Réunion, in: Lehre in den Digital Humanities, München, LMU (Link).
  • Nübling/Janich = Nübling, Damaris / Janich, Nina (Hrsgg.): Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD), Mainz, AdW (Link).
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