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3.1 Onomastik in Italien und Spanien als linguistische Teildisziplin




Die Online-Enzyklopädie Treccani.it definiert Onomastik als Zweig der Sprachwissenschaft, welcher sich mit dem System der Eigennamen, den Benennungsprozessen und deren Merkmalen beschäftigt. Weiterhin wird die Namenkunde in zwei Hauptströmungen – die Anthroponomastik und die Toponomastik, die Wissenschaften der Personen- und Ortsnamen – unterteilt. Mit der Onomastik verbunden ist der Gedanke der Identifikation und Klassifizierung von Personen bzw. das Identitätsbewusstsein, welches sich aus spezifischen Benennungsmustern ergibt (vgl. treccani.it). Marcato (2011) erweitert diese Definition um die Onomastik als Lehre der Eigennamen in ihrem Komplex, d.h. ihre diachrone oder synchrone Betrachtung und das Zusammenspiel von Nomina Propria innerhalb einer bestimmten Sprache oder Gesellschaft (vgl. Marcato, 2011). Die Anthroponomastik, welche die Grundlage dieser Arbeit darstellt, beschäftigt sich mit den Namen von Personen, die ein Individuum definieren. Man unterscheidet die Kategorien der Personen- und Familiennamen (vgl. ebd.). Nach Migliorini (1935) ist „[g]rande […] l'importanza degli studî [sic!] onomastici, sia per la linguistica, sia per la storia in generale” (ebd.). Die wirklichen Anfänge der Namenforschung werden nach Eichler im 19. Jh. verortet, jedoch wurde der Disziplin bis vor ein paar Jahrzehnten eine Art Randlage in der Linguistik zugeschrieben. In der modernen Forschung gilt die Onomastik als interdisziplinäre Wissenschaft, die das Individuum im Kontext mit der Umwelt und Gesellschaft sieht (vgl. Eichler 1988: 1). Erste häufiger aufkommende Zeugnisse von Eigennamen finden wir in der Zeit des Mittelalters, welche seitdem einen großen Wert für die Forschung darstellen (vgl. ebd.: 3). Seit Ende des Zweiten Weltkriegs kann von ihrer „Emanzipierung als [wichtige] linguistische Teildisziplin“ (ebd.: 7) gesprochen werden. Die Wissenschaft, mit welcher die Onomastik in enger Verbindung steht und welche hier von Interesse ist, ist die Geschichtswissenschaft. Namen können v. a. Auskunft über historische Umstände geben, da Namenmoden und Gründe für bestimmte Benennungsmuster oft Spezifika der Mentalitäten oder politischer, sozialer und kultureller Umstände einer Epoche darstellen (vgl. Bauer 1988: 8). Der Familienname bedeutet eine individuelle Unterscheidung von Personen, über welchen sie sich zu einer Gruppe zugehörig fühlen und dessen Formen und Repertoire je nach linguistischem und kulturellem Umfeld stark variieren (vgl. Zgusta 1988: 1876 ff.). Neben zusätzlichen Informationen zu Lebensdaten und -umständen von Einzelpersonen kann die historische Namenforschung zur Kulturraumforschung beitragen. Dabei wird die Arealdistribution von Namen betrachtet (vgl. Bauer 1988: 9 f.), welche auch den zentralen Aspekt der vorliegenden Arbeit darstellt. Die Hauptquelle der Namenforschung stellen historische Daten wie Urkunden oder Diplome vergangener Epochen dar, welche im Mittelalter v. a. von Kirche und Stadtverwaltung stammten (vgl. Hausner 1988: 294 ff.). Die Namenforschung gibt demnach Auskunft über Namensgeber, Namensträger, Namenslandschaften, Namensgebungskonventionen und Mentalitäten einer Gesellschaft (vgl. Walther 1996: 1665 f.). Die Analyse zur Verbreitung spanischer FN in Italien hat gezeigt, dass die moderne Technik und die endlosen Möglichkeiten des Internet einen entscheidenden Beitrag zur Zugänglichkeit von solchen Quellen geleistet haben, da u.a. die statistischen Institute ihre Daten zum Großteil öffentlich zugänglich machen. Mit Hilfe dieser Datenbanken ist es mittlerweile möglich, große Mengen an Namenmaterial zu speichern, zu kategorisieren und abrufbar zu machen. Hierbei spielt eine erfolgreiche Lemmatisierung eine große Rolle. So ist es sinnvoll, Schreibvarianten von FN, welche zum gleichen Grundnamen gehören, auch als solche zu erkennen, was für die Erstellung von Verbreitungskarten eine wichtige Prämisse darstellt (vgl. Geuenich, 1988: 335 ff.). Beispielsweise zählen die Partonyme Fernández und Fernandes als zu Fernando zugehörige Formen (vgl. Faure et al., 2009: 345).
Italien gilt als eines der ersten Länder Europas, in das die Vergabe eines erblichen FN Einzug findet; um 1000 n. Chr. tauchen hier erste schriftliche Dokumente in Venedig als Quellen auf. Zwischen den Anfängen des 15. Jh. und dem 18. Jh. konsolidiert sich das System zunächst in den oberen Schichten der Gesellschaft und je nach geographischer Lage (ländlich, städtisch, regionsspezifisch) unterschiedlich schnell (vgl. Palamara 2007: 37 f.). Mit wachsender Bevölkerung und der Herausbildung eines Wirtschaftssystems, steigt auch die Notwendigkeit zur Identifizierung und Unterscheidung der Mitglieder einer Gesellschaft – deren Benennung. So festigt sich die Kombination aus Vor- und Familienname allmählich in ganz Europa (vgl. ebd.: 39 f.). Nach dem Konzil von Trient 1563 wird dieses System offiziell eingeführt, welches dem Staat die Verwaltung erleichtert und im Privatleben für Identifikation steht. Bis zur Unità d’Italia herrschte noch keine feste Regel vor, welcher Nachname einem Kind gegeben wurde. Bisweilen war es der des Vaters, bisweilen der der Mutter und zu mancher Zeit konnte ein solcher sogar willkürlich geändert werden. Erst 1942 wurde das Recht auf einen Familiennamen und dessen Unveränderlichkeit im Codice Civile gesetzlich verankert (vgl. ebd.: 52-55). Darüber hinaus ist auch der Einfluss auf das Italienische durch fremde Völker und deren Eindringen in das Land zu nennen (vgl. ebd.: 65). Auch die im Rahmen der Arbeit durchgeführte Analyse zeigt die Auswirkungen der spanischen Herrschaft auf die italienische Sprache, aber auch die vorkommenden FN, wie an späterer Stelle deutlich wird. Die italienische Onomastik-Forschung beginnt v. a. ab der 2. Hälfte des 19. Jh. Fuß zu fassen und beschäftigt sich zunächst mit historischen Wörterbüchern zu Toponymen und deren geographischer Verbreitung (vgl. Mastrelli 1988: 163 f.). Daneben gilt der Herkunft von Personennamen besonderes Interesse, wozu u. a. von Gerhard Rohlfs (Studi e Richerche su Lingua e Dialetti d'Italia. Florenz: G.C. Sansoni, 60-74/109-121) geforscht wurde (vgl. Bagola 1988: 424 f.). Die modernere Forschung beschäftigt sich jedoch zudem mit der Etymologie, der Herkunft und der Geschichte von Familiennamen (vgl. Sanfilippo 2010: 136 ff.). Ein wichtiger Forscher bezüglich der Anthroponomastik ist Emidio De Felice, der 1978 zunächst ein etymologisches Wörterbuch über italienische FN und später über deren geographische Verbreitung verfasst hat. Daneben gibt es viele universitäre Forschungsprojekte und Institutionen, die sich mit der Wissenschaft der Onomastik beschäftigen (vgl. Mastrelli 1988: 163-167). Seit einiger Zeit wird auch die Arealdistribution von FN vermehrt betrachtet, worauf jedoch in Punkt 4.1 detaillierter eingegangen werden soll.
In Spanien wurde die Verwendung von FN ab dem 11. und 12. Jh. v. a. in notariellen Dokumenten häufiger. Um die Verwaltung zu vereinfachen, fügten Notare den Personen Beinamen, den Namen ihres Vaters oder deren Berufsbezeichnung hinzu. Zunächst geschah dies lediglich für Geistliche und den Adel, weitete sich jedoch zwischen dem 13. und 15. Jh. auf alle sozialen Schichten aus, da v. a. der Besitz einer Familie unter deren Namen festgehalten werden sollte. Zu dieser Zeit galt noch die absolut freie Wahl eines apellido, der gefiel und passend schien. Erst ab dem 15. Jh. konsolidierte sich das noch heute bestehende System des Erbnamens, in manchen peripheren Gebieten Spaniens jedoch erst im 19. Jh. Mit den in dieser Zeit aufkommenden Gesetzen zur Namensgebung und dem Registro Civil 1870 (vgl. Kremer 1992: 460) wurde dieses Konzept schließlich flächendeckend festgeschrieben (vgl. Faure et al. 2009: XVII-XXI). Dadurch entstand auch das aktuelle FN-System Spaniens, welches sich seit dem 16. Jh. durch die Kombination aus dem Namen des Vaters (primer apellido) und dem der Mutter (segundo apellido) heraus kristallisierte. Dieses Arrangement scheint im europäischen Kontext ausschließlich dem Spanischen und Portugiesischen zugehörig (vgl. ebd.: XLIII). Diese Bildung ist gesetzlich festgeschrieben und ein offizieller Namenwechsel ist kaum möglich, während im Privatleben einige Variationen stattfinden (vgl. Kremer 1992: 461 f.). Typisch für Katalonien ist das Bindeglied y (kat. i) zwischen den beiden Namen (z. B. Ferrer i Puig) zur Unterscheidung formgleicher Vor- und Familiennamen (vgl. auch das Anfügen der Partikel de) sowie die gesetzlich geregelte Möglichkeit, die korrekte katalanische Namensform zu verwenden und Fehlschreibungen dieser zu korrigieren (vgl. Kremer 1996: 1271; vgl. Institut d’Estudis Catalans). Im Gegensatz zur onomastischen Forschung in Italien ist diese in Spanien als eher rückständig zu bezeichnen. Insbesondere die Anthroponomastik stand bis vor Kurzem im Vergleich zur Toponomastik bisher nur wenig im Interesse der Untersuchungen. Erst seit wenigen Jahren wird auch in diesem Bereich mehr recherchiert. Doch auch hier fällt auf, dass die Vornamen häufiger im Fokus stehen als die FN. Da die Onomastik v. a. von Philologen untersucht wurde, die sich zumeist mit der Herkunft und Bildung von Namen beschäftigen, ist der geschichtliche Aspekt, der, wie oben bereits angesprochen, eine bedeutende Stellung bezüglich der Wissenschaft einnimmt, überwiegend außer Acht gelassen worden (vgl. Sánchez Rubio/Testón Núñez 2012: 75 f.). Darüber hinaus gibt es mehr Forschungen zum Individuum als zu dessen Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext, welcher in einer interdisziplinären Wissenschaft wie der Onomastik eigentlich von großer Bedeutung ist. Besonders seit den 1980er Jahren stieg das Interesse für die Anthroponomastik im universitären Umfeld und es kam vermehrt zu deren Verknüpfung mit modernen Techniken und Geisteswissenschaften, was auch in Spanien mit leichter Verspätung zu Fortschritten in der Forschung und zur Gründung einiger Forschungsinitiativen führte. Diese beschäftigen sich sowohl mit diccionarios históricos als auch der Veränderung von Namen seit dem Mittelalter. Jedoch weisen solche Projekte zum Teil noch Mängel bezüglich der globalen Betrachtung der Thematik oder einer Unstimmigkeit über die angestrebten Ziele und die verwendeten Methoden auf. Auch im spanischen Kontext wird auf das Potential des Internets als Datenquelle für die Onomastik hingewiesen (vgl. ebd.: 76-81). Neben der akademischen Forschung gibt es jedoch auch extrauniversitäre Bündnisse, welche über die Verbreitung sowie den Wissensstand der Namenforschung aufklären und diese promoten. Besonders im geschichtlichen Zusammenhang stellt die Onomastik eine vielversprechende Disziplin dar, wobei diese v. a. in den Regionen Katalonien, Galizien, dem Baskenland untersucht wird.
Schließlich muss auch angemerkt werden, dass besonders Kenntnisse über die Zeit des Mittelalters vorherrschen, während die Untersuchungen sich der aktuellen Namenkunde seltener annehmen (vgl. ebd.: 82 ff.). Als Pionierarbeit der „modernen“ Onomastik kann das Werk von Ariza und Rodríguez Sánchez (1970er Jahre) gesehen werden, die ein Namenregister für die Gemeinde Cáceres aufstellten oder Ansóns Werk über die Institutionalisierung der spanischen Familiennamen im 17. Jh. (vgl. ebd.: 67 f.). Auch Faure, Ribes und García bezeichnen ihren Diccionario de apellidos españoles als erstes Werk, welches sich mit der Herkunft von FN beschäftigt. Sie stellen fest, dass nach der ersten Auflage des Buches 2001 das Interesse für die Thematik in der spanischen Forschung gestiegen sei, die früheren Werke sich jedoch meist auf ein bestimmtes Gebiet bezögen und nicht das Gesamtspanien umfassten (vgl. Faure et al. 2009: XI f.).  Desweiteren soll hier auf die Arbeiten von Dieter Kremer, Universität Trier 1979-2010 verwiesen werden (hispanismo.cervantes.es). Methodisch gesehen müssten v. a. gemeinsame Forschungsziele und Vorgehensweisen entwickelt werden, welche in kollektiven Verbreitungskanälen und Sammelbänden zusammengetragen werden könnten. Derzeit sind die meisten Beiträge in schwer zugänglichen Zeitschriften enthalten, welche die Recherche erschweren. Weitere Probleme bestehen in der Abundanz der einzelnen Artikel, in der sich der Wissenschaftler kaum zurechtfindet oder in noch unzureichend analysierten historischen Dokumenten und Namenregistern (vgl. Sánchez Rubio/Testón Núñez 2012: 85-93). Das Verständnis von Namen, deren Gebrauch und das System der Namensgebung sowie die Verfahren bezüglich deren Weitergabe müssen als neue Ziele der Forschung in den Fokus geraten, damit auch soziale Fragen, wie Migrationsflüsse in interdisziplinärer Zusammenarbeit beleuchtet werden können (vgl. ebd.: 94 f.).
Als Grundlage der im Rahmen der Arbeit durchgeführten Untersuchung sollen im Folgenden die Typen spanischer Familiennamen und deren Bildungsweise betrachtet werden.

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