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Rasse




Der Begriff „Rasse“ ist kulturhistorisch sehr umstritten und bezeichnet etwas, das es so in der Welt überhaupt nicht gibt. Natürlich sind alle Menschen bereits Mischungen verschiedener Gene und eine Einteilung der Menschen in reine Rassen ist durch diese Mischung unmöglich. Durch die Einteilung von Menschen in Kategorien, die nach offensichtlichen Kriterien erfolgt, kann man komplexe Zusammenhänge vereinfachen. Das Rassendenken entspricht eben dieser Logik: Menschen werden nach offensichtlichen Kriterien, wie die Hautfarbe, in Kategorien eingeteilt (siehe Cousseau 2015, 134). Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Aktualität wird diese Einteilung oft zur Rechtfertigung von Diskriminierung, Gewalt und Krieg. Auch in der Kolonialgesellschaft der Antillen spielt die Einteilung der Menschen in Rassen eine große Rolle. Für die Einwohner auf Martinique entscheidet die Rasse, in diesem Fall die Hautfarbe, über deren Schicksal. Da Hautfarbe und sozialer Status miteinander korrelieren, bestimmt die Rasse über alle sozialen und rechtlichen Lebensbedingungen eines Individuums (siehe Cousseau 2015, 134). Auf Martinique werden zunächst drei Rassen unterschieden, die sich dann untereinander mischen: schwarze Afrikaner, weiße Europäer und dunkelhäutige Indigene (vor allem Kariben und Arawak). Die Mischung ist ein entscheidendes Merkmal für die Entwicklung der kolonialen Gesellschaft, die in der Kreolisierung mündet. Erst aus der Mischung, verursacht durch eine Kontaktsituation unterschiedlicher Kulturen, entsteht die kreolische Gesellschaft (siehe Coquery-Vidrovitch 2013, 209). Gibt es anfangs noch wenige Mischungen der Rassen, erschüttert die zunehmende Mischung das System der klaren Einteilung der Rassen und damit das soziale Gefüge. Das System der Kolonialgesellschaft besteht aus der eindeutigen Trennung zwischen weiß und schwarz, Herr und Sklave und wird durch die Mischung dieser konträren Konzepte ins Ungleichgewicht gebracht (siehe Louis 2011, 27-29). Aus Sicht der weißen Siedler gilt die Mischung als unmoralisch und illegitim, allerdings nicht wegen reinen Rassen-Gründen, sondern weil man die Zerstörung der weißen Dominanz fürchtet (siehe Cousseau 2015, 155f).

Bis zum 17. Jahrhundert ist das Zusammenleben auf Martinique gesetzlich nicht geregelt, weshalb es uneheliche Kinder zwischen Europäern, Afrikanern und Autochthonen gleichermaßen gibt. Erst mit dem Code noir ändert sich die Lage und es werden Regelungen für Mischungen und für die Mischlinge festgelegt (siehe Cousseau 2015, 138). Die Mischung wird immer komplizierter und es entstehen viele Begriffe, die den exakten Grad der Mischung bezeichnen. Von den weißen Siedlern wird der Begriff „mulâtre“ für alle Mischlinge benutzt, aber in der kreolischen Gesellschaft gibt es für jede Art von Mischung einen eigenen Begriff. Die Rasse bestimmt, ebenso wie die Herkunft, Sprache und Arbeitsfunktion in der Gesellschaft, die Bewertung eines Individuums. Der schwarze Kreole ist mehr wert als der schwarze Afrikaner, der Mischling ist mehr wert als der Schwarze, der Haussklave ist mehr wert als der Feldsklave (siehe Coquery-Vidrovitch 2013, 136). Da die Weißen die Dominanz der Gesellschaft darstellen, ist jeder Grad von weißen Genen vorteilhaft für den sozialen und rechtlichen Status. Dementsprechend ist jede afrikanische Herkunft nachteilig und sorgt für eine Unterordnung unter die Weißen (siehe Coquery-Vidrovitch 2013, 222).

Ab Ende des 17. Jahrhundert hat die zunehmende Präsenz der Mischlinge die Entstehung einer neuen sozialen und rechtlichen Kategorie zur Folge: die libres de couleur („freien Farbigen“), die erstmals in der Volkszählung von 1660 auftauchen und neben den Weißen und den Sklaven eine dritte juristische Kategorie darstellen. Im Jahr 1789 gibt es auf Martinique 10634 Weiße, 83965 Sklaven und 5779, also 6% libres de Couleur (siehe Coquery-Vidrovitch 2013, 218f). Den libres de couleur kommt also eine besondere juristische Stellung zu, da sie sozial über den Sklaven stehen, aber nicht dieselben Rechte haben wie die weißen Siedler. Es handelt sich bei den libres de couleurs entweder um freigelassene schwarze Sklaven oder um Mischlinge, die aus den Rassen „weiß“ und „schwarz“ hervorgegangen sind. Während in den Jahren 1721 bis 1725 21 schwarze Kinder und 17 Mischlingskinder als libre de couleur geboren werden, sind es von 1763 bis 1767 40 schwarze Kinder und 263 Mischlingskinder und in dem Jahr von 1804 bis 1805 6 schwarze gegenüber 195 Mischlinskinder (siehe Cousseau 2015, 142). Diese Zahlen lassen zwei Entwicklungen vermuten, die in den Literaturquellen zu der kolonialen Gesellschaft auf Martinique bestätigt werden. Zum einem die Tendenz, dass die Kategorie der libres de couleur immer größer wird und zum anderen, dass die Anzahl der Mischlinge steigt und somit das gesellschaftliche System mit seinen klaren Grenzen und Einteilungen ins Ungleichgewicht gebracht wird. 

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