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Digitale Erschließung und Kartierung von Pompeji

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Zitation: Stephan Lücke (2025): Digitale Erschließung und Kartierung von Pompeji. Version 3 (26.02.2025, 16:27). Lehre in den Digital Humanities. , url: https://www.dh-lehre.gwi.uni-muenchen.de/?p=255877&v=3



1. Vorbemerkungen

Soweit mir bekannt, gibt es bislang keine frei verfüg- und (nach)nutzbaren Geodaten des antiken Pompeji. Zweifelsfrei sind solche Daten vorhanden. Sicherlich besitzt etwa die Grabungsleitung von Pompeji solche Daten, und auf der Seite https://open.pompeiisites.org/ ist eine digitale Karte von Pompeji zugänglich. Obwohl die URL anderes erwarten lässt, ist es nicht möglich, die zugrunde liegenden Geodaten herunterzuladen und zu eigenen Zwecken weiter zu verwenden. Eine entsprechende Anfrage beim Urheber blieb unbeantwortet. Auch die an der University of Massachusetts Amherst von Eric Poehler entwickelte digitale Kartierung von Pompeji (s. Poehler 2017) bietet (soweit das ersichtlich ist) keine Möglichkeit des uneingeschränkten, vollständigen Downloads der zugrundeliegenden Geodaten.1 Elektronische, nicht-georeferenzierte Karten von Pompeji gibt es zuhauf – von Übersichts- bis hin zu Detailkarten. In den allermeisten Fällen handelt es sich dann aber um reine Bilddateien ohne eingebettete Geokoordinaten, deren Nachnutzung in verändertem Kontext nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Beispiel für eine nicht-georeferenzierte elektronische Karte von Pompeji (Quelle: File:Timeline map of the excavations in Pompeii.png. (2022, January 14). Wikimedia Commons. Retrieved 15:39, January 12, 2025 from https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Timeline_map_of_the_excavations_in_Pompeii.png&oldid=621533609; CC BY-SA 3.0 Christoph Scholz)

Um dieser Problematik Abhilfe zu schaffen, wurde an der IT-Gruppe Geisteswissenschaften (ITG) der LMU damit begonnen, eine Sammlung georeferenzierter Daten des antiken Pompeji anzulegen. Bei diesen Daten handelt es sich im Wesentlichen um Vektordaten. Die Georeferenzierung erfolgte weitestgehend mit dem kostenfreien Open Source Programm QGIS. Zur Speicherung und Verarbeitung der Daten wurde das Datenbankmanagementsystem MariaDB (Version 10.6.18-MariaDB-0ubuntu0.22.04.1, hinsichtlich Funktionalität MySQL 5.7 entsprechend) verwendet.

Grundlage für die Georeferenzierung bildete der Plan von Hans Eschebach (Eschebach 1993; posthum von Liselotte Eschebach herausgegeben, mit Ergänzungen von Jürgen Müller-Trollius). Dieser Plan (Maße: 90 cm x 170 cm) wurde mit einem Rollenscanner digitalisiert und das Digitalisat anschließend mit Hilfe des Programm QGIS georeferenziert. Der Scan des Originalplans kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht zur Verfügung gestellt werden.

Georeferenzierte Karte von Eschebach im Programm QGIS. Im Hintergrund die Karte von OpenStreetmap. Es ist unklar, worauf die Abweichung der Nordausrichtung zurückzuführen ist (Einmessung mit Kompass und Auswirkung der magnetischen Missweisung?).

Für die Georeferenzierung der Eschebach-Karte und die darauf aufbauende Georeferenzierung der erschlossenen Entitäten wurde zunächst das Koordinatenbezugssystem (KBS) UTM zone 33N (= EPSG 32633) verwendet. Während der Arbeit zeigte sich, dass eine Umstellung auf das weit verbreitete KBS WGS 84 (= EPSG 4326) überwiegend Vorteile hat.2 Eine Umrechnung der Projektdaten in praktisch beliebige andere KBS (z. B. das für Italien maßgebende Monte Mario System [= EPSG 3003 und 3004]) ist problemlos möglich. Eine entsprechende Prozedur ist erfolgreich getestet worden.3

Erschlossen wurden hauptsächlich Daten, die georeferenziert werden können. Grundlegend ist die für die Ausgrabung von Pompeji in der archäologischen Literatur etablierte Systematik, die das Stadtgebiet von Pompeji in Regiones und Insulae einteilt und eine auf die Insulae bezogene Nummerierung der Hauseingänge verwendet. Als primäre Referenz bei der Erschließung diente die Publikation von Eschebach, die dem beschriebenen System folgt.

Sämtliche Geokoordinaten, seien es Punkte, Linien oder Flächen, wurden im sog. "Well Known Text"-Format (WKT) erfasst. Die Umrechnung in das von vielen GIS-Programmen und ‑Funktionen zur Durchführung von Rechenoperationen benötigte "Well Known Binary"‑Format (WKB) erfolgte mit der MySQL-Funktion ST_GeomFromText(wkt [, srid]), die zur Bibliothek der MySQL-Spatial-Funktionen gehört.

Polygon ((14.486398347046068 40.74978621264031, 14.486517963100493 40.749602203437405, 14.486520805198333 40.74959428450131, 14.486531340023108 40.74958058329708, 14.486592515937115 40.74949149297035, 14.486137309877439 40.7493736660735, 14.48612133089498 40.74937200861298, 14.485954747224465 40.7496959328197, 14.485958227659552 40.749695419549106, 14.486398347046068 40.74978621264031))

 Geokoordinaten der Insula VII 13 im WKT-Format (EPSG: 4326)

2. Erschließung des Datenmaterials

Grundlegend für die Erschließung des Datenmaterials ist die Definition der Datenstruktur. Diese orientiert sich zum einen am zu erschließenden Gegenstand und zum anderen an dessen individueller Wahrnehmung und dem mit der Erschließung verbundenen Zweck. Ein gewisses Maß an intuitiver Beeinflussung ist dabei unvermeidbar.

Die hier zur Verfügung gestellten Daten sollen möglichst universell nutzbar sein. Es liegt nahe, sich primär an den Entitätskategorien zu orientieren, die sich bei der mittlerweile jahrhundertelangen Beforschung von Pompeji fest etabliert haben. Entsprechend wurden die folgenden Kernentitäten definiert. Die Daten einer jeder dieser Entitäten sind in jeweils eigenen Tabellen abgelegt. Die Namen der Tabellenfelder sowie die Datentypen sind jeweils dem Create-Code zu entnehmen, der der Tabellenbeschreibung vorangestellt sind.

  1. Gebäude
  2. Eingänge
  3. Räume
  4. Regionen
  5. Insulae
  6. Straßen
  7. Stadttore
  8. Brunnen
  9. Wassertürme
  10. Gärten
  11. Stadtmauern
  12. Fundobjekte
  13. Höhen über NN
  14. Grabungs- und Fundflächen

Als weitere, periphere Entitäten wurden festgelegt:

  1. Ortschaften in der weiteren Umgebung von Pompeji
  2. Wasserversorgung
  3. Natürliche Gewässer
  4. Planquadrate (Quadratisches, georeferenziertes Gitternetz mit Kantenlängen 25 m, 50 m und 100 m)
  5. Quadranten (Einteilung des Stadtgebiets in vier Viertel gemäß antiker Systematik)

2.1. Die weitere Umgebung von Pompeji

Tabellen: `orte`; `wasserversorgung`; `pompeji`; `meer`

Zur weiteren Umgebung von Pompeji zählen vor allem die Nachbarstädte Herculaneum, Capua, Nola, Sarno, Nocera und Stabiae, nach denen heutzutage einige der Stadttore von Pompeji benannt sind. Die Geokoordinaten dieser Städte wurden erfasst, der Verlauf der Aqua Augusta (auch "Serino-Aquaeduct") wurde auf Basis einer einschlägigen Karte georeferenziert und die Daten in der Tabelle `Wasserversorgung` abgespeichert. Die Geodaten des Flusslaufs des Sarno wurden von OpenStreetMap übernommen.4 Der Verlauf der Küstenlinie stammt von einem Shapefile der Europäischen Umweltagentur.5 Einen guten Eindruck von der Topographie rund um den Golf von Neapel vermittelt das digitale Geländemodell von Italien, das in QGIS als Hintergrundlayer eingebunden werden kann.6

Karte des digitalen Geländemodells (Auflösung 20m) des Golfs von Neapel (Quelle: http://portalesgi.isprambiente.it/lista-servizi-wms/Geological%20Maps, CC BY 3.0). Links oben die phlegräischen Felder, im Zentrum der Vesuv. Die blaue gepunktete Linie markiert den Verlauf der Aqua Augusta und ihrer Seitenäste. Die Ebene östlich von Pompeji wird vom Fluss Sarno durchflossen. Das Geländemodell lässt erkennen, dass Pompeji auf einer kleinen Anhöhe (anscheinend ein Lavarücken aus prähistorischer Zeit) über der Sarnoebene liegt.

2.2. Befestigungsanlagen

Tabellen: `murus`; `turres`; `portae`

Erfasst wurden die insgesamt acht Stadttore und zwölf Türme. Der Mauerverlauf ist in einzelne Abschnitte unterteilt, für die jeweils angegeben ist, ob der entsprechende Abschnitt noch zumindest in Resten erhalten oder nur vermutet ist. Vermerkt ist ferner, ob es sich um eine Doppel- oder nur um eine einfache Mauer handelt. Im dem Meer zugewandten Westen und Südwesten der Stadt ist keine Stadtmauer vorhanden. In diesem Bereich sind die Fortifikationen bereits in der Antike teils durch luxuriöse Wohnbauten überbaut worden. Im Südwesten des Stadtgebiets liegt der älteste Teil von Pompeji, der nach Süden hin durch das dort steil abfallende Terrain geschützt ist, so dass hier keine Mauern erforderlich gewesen sind.

 Stadtmauer, Stadttore und Mauertürme von Pompeji. Die vier Haupttore an den Enden von Decumanus maximus und Cardo maximus sind durch rote Kreise markiert. Mauerabschnitte, von denen keine Reste erhalten sind, sind durch gestrichelte Linien wiedergegeben. 

2.3. Bebauungsphasen

 Die Bebauungsphasen von Pompeji. Rot: Siedlungskern; blau: Erste Erweiterung; grün: zweite Erweiterung; gelb: dritte Erweiterung (gemäß Wikipedia 2024)

2.4. Straßennetz

Tabellen: `viae`

Der Stadtplan von Pompeji wurde nicht, wie das z. B. bei römischen Militärlagern der Fall war, auf dem Reißbrett entworfen, vielmehr entwickelte sich das Stadtgebiet phasenweise nach und nach. Berücksichtigt man den Zusammenhang zwischen Straßenverläufen und Stadttoren, so ergibt sich eine einigermaßen klare Hierarchie. Es lassen sich Straßenverläufe feststellen, die (1) an beiden Enden jeweils auf ein Stadttor treffen, ferner solche, bei denen dies (2) nur an einem Ende der Fall ist, und schließlich solche, die (3) gar nicht mit einem Stadttor verbunden sind. Von der Kategorie (1) existieren genau zwei Straßenzüge, die sich im Bereich des Aufeinandertreffens der Regiones I, IX, VII und VIII in nahezu rechtem Winkel schneiden.

Die Straßen von Pompeji werden üblicherweise mit modernen Namen bezeichnet. Antike Namen sind nicht bekannt. Durch die moderne Namensgebung ergibt sich bisweilen eine Unterteilung längerer Straßenzüge in kürzere Abschnitte, die ziemlich sicher nicht der antiken Wahrnehmung entsprechen. Am deutlichsten ist dies im Fall der beiden Hauptachsen des Straßensystems, die die Stadt von Ost nach West bzw. von Nord nach Süd durchziehen und die heute gerne "Decumanus maximus" (Ost-West) bzw. "Cardo maximus" (Nord-Süd) genannt werden. Ob diese Straßenzüge auch in der Antike als "decumanus" bzw. "cardo maximus" bezeichnet oder auch nur als solche wahrgenommen worden sind, ist nicht bekannt. Zumindest im Fall des sog. "Cardo maximus" handelt es sich jedoch um einen ununterbrochenen Straßenzug, der die Porta del Vesuvio im Norden mit der Porta di Stabia im Süden verbindet. Heute trägt dieser Straßenzug im nördlichen und im südlichen Teil unterschiedliche Namen. Man darf bezweifeln, dass das auch in der Antike so gewesen ist.

Die Thematik ist deswegen relevant, da sie die Problematik der Berechnung der durchschnittlichen Länge der Straßen berührt. 

Die Erschließung des Straßensystems erfolgte zunächst auf Basis der modernen Bezeichnungen. Für die Berechnung z. B. der Länge des Cardo Maximus musste daher zunächst die Länge der Via del Vesuvio und die der Via Stabiana adiert werden. Es liegt nahe, das Straßensystem von Pompeji aus der Systematik der modernen Benennungen herauszulösen und stattdessen  eine Ordnung anzuwenden, die sich organisch daraus ergibt, ob Straßenverläufe durch Einmündungen in quer verlaufende Straßen oder das Treffen auf die Stadtmauer unterbrochen werden oder nicht.

Das Straßennetz von Pompeji. Ausgegrabene Straßenzüge sind mit durchgezogenen Linien wiedergegeben, gestrichelte Linien stehen für noch nicht ausgegrabene und vermutete Straßenverläufe. Die Dicke der Linien orientiert sich an der vermuteten Bedeutung der Straßen. Straßen, die an beiden Enden auf ein Stadttor treffen, sind als am bedeutendsten aufgefasst. Die zweite Kategorie wird von Straßen gebildet, die nur an einem Ende auf ein Stadttor treffen. Alle anderen Straßen bilden eine dritte Kategorie. Durch Ausgrabung nachgewiesene Straßenverläufe sind als durchgezogene, vermutete durch gestrichelte Linien dargestellt.

Die für uns gewohnte Nord-Süd-Ausrichtung einer Karte entspricht nicht der römischen Sichtweise. Für die Römer ist stets, dem Lauf der Sonne folgend, die Ost-West-Achse prävalent gewesen, wobei die Blickrichtung durchaus unterschiedlich sein konnte. Der besterhaltene der bekannten Katasterpläne von Orange (Katasterplan B), der die Neuvermessung von Land zur Verteilung an Veteranen dokumentiert, blickt nach Westen (Westen ist auf dem Plan oben). Die Bezeichnungen "mare superum" für die Adria und "mare inferum" für das Tyrrhenische Meer zeigen hingegen eine Blickrichtung nach Osten an. Dem entspricht auch die Darstellung Italiens auf der Tabula Peutingeriana.7

Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana. Die Karte ist "geostet", d. h. Osten befindet sich oben. Die von links nach rechts verlaufende Landmasse in der Mitte des Bildes ist Italien, oberhalb davon ist die Adria dargestellt, unterhalb das Tyrrhenische Meer.

Grundsätzlich ist beides für Pompeji vorstellbar, sowohl die Wahrnehmung der Stadt mit Blick nach Westen wie auch nach Osten. Die Stadterweiterung nach Osten hin legt allerdings die Vermutung nahe, dass man, den ältesten Stadtkern im Bereich der Regiones VII und VIII im Rücken, die Blickrichtung nach Osten eingenommen hat. Ausgehend davon hätten sich dann, der römischen Systematik der Limitation entsprechend, die folgenden vier Quadranten ergeben:8

]

Fiktive Einteilung des Stadtgebiets von Pompeji in römischer Perspektive

2.5. Eingänge und Gebäude

Tabellen: `eingaenge`, `gebaeude_eingaenge`

 Kartierung der Gebäudeeingänge und Gebäudeflächen. Die einzelnen Marker sind klickbar. Im sich öffnenden Info-Window befindet sich jeweils ein Link auf die korrespondierende Seite von https://pompeiiinpictures.com.

2.6. Höhen

Die kleinen Punkte auf der Karte sind die Vermessungspunkte, die auf der Karte von Müller-Trollius eingetragen sind. Die die Vermessungspunkte umgebenden Polygone wurden mit dem Voronoi-Algorithmus des Programms QGIS erzeugt, anschließend im WKT-Format in eine CSV-Datei exportiert und diese dann wieder in die Datenbank importiert.

Die Karte visualisiert, basierend auf den 252 Vermessungspunkten, die auf der Karte von Müller-Trollius eingetragen sind, das Geländerelief von Pompeji. Der älteste Teil der Stadt liegt auf der Spitze eines nicht besonders ausgeprägten Höhenzugs, der sich vom Südabhang des Vesuvs in Richtung Süden hin zum Fluss Sarno erstreckt. Vermutlich handelt es sich um einen alten Lavastrom. Der Sporn des Höhenzugs, auf dem der älteste Teil Pompejis liegt, fällt in Richtung Süden und Westen steil ab. Gut sichtbar wird dies in Darstellungen digitaler Geländemodelle (z. B. <https://de-de.topographic-map.com/map-3r92s8/Pompei/?zoom=15&center=40.7507%2C14.49161>; TessaDEM near-global 30-meter Digital Elevation Model [(DEM]; s. auch Abb. 5###). Der höchste Punkt des Stadtgebiets liegt mit 49,5 Metern unweit der Porta del Vesuvio am Nordende des Cardo maximus (Via del Vesuvio). Nicht zufällig liegt genau dort das Castellum Aquae, von dem aus die ganze Stadt mit Frischwasser versorgt wurde. Genau am anderen, südlichen, Ende des Cardo Maximus befindet sich, am Stabianer Tor, mit 9,5 Metern der tiefste Punkt im Bereich des Stadtgebiets von Pompeji. Zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Punkt im Stadtgebiet von Pompeji liegt also eine Höhendifferenz von ziemlich genau 40 Metern, die in gerader Linie über den Cardo Maximus der Stadt miteinander verbunden sind. Auffällig im Muster der Voronoi-Polygone ist die "Mulde" im Bereich des Amphitheaters: Dessen Arena liegt mit 13 Metern rund 5 Meter niedriger als das Bodenniveau des umliegenden Terrains.

Quelle: https://topographic-map.com/ (Screenshot von <https://de-de.topographic-map.com/map-3r92s8/Pompei/?zoom=15&center=40.7507%2C14.49161>; TessaDEM near-global 30-meter Digital Elevation Model [DEM]. Erlaubnis zur Verwendung in online-Publikation gegeben von guillaume.vk@tessanet.fr per Mail an luecke@lmu.de am 2024-06-11).

3. Wasserversorgung

Der Wasserversorgung Pompejis diente ein Abzweig des sog. Serino-Aquaeducts (= Aqua Augusta).9 Dieser Aquaeduct, der vermutlich unter Kaiser Augustus angelegt worden ist, hatte seinen Ausgangspunkt bei dem etwa 40 Kilometer nordöstlich von Pompeji gelegenen Serino und führte von dort grosso modo nach Westen bis nach Misenum. Neben Pompeji versorgte er, teils wie Pomepeji über weitere Seitenäste, u.a. Sarno, Nola, Herculaneum, Neapel, Pozzuoli und Cumae mit Wasser.10.

In Pompeji trat der Aquaeduct am höchstgelegenen Punkt des Stadtgebiets in den ummauerten Bereich. Dort befindet sich auf einer Höhe von etwa 43 Metern über NN das Castellum aquae (auch: Castellum divisorium). Von dort wurde das Wasser über insgesamt drei Hauptleitungen im Stadtgebiet verteilt. Der öffentlichen Wasserversorgung dienten in der Fläche einigermaßen gleichmäßig verteilte Laufbrunnen, von denen bislang rund 40 ausgegraben worden sind.

Der Regelung des Wasserdrucks dienten die, gleichfalls halbwegs gleichmäßig im Stadtgebiet verteilten, Wassertürme, von denen bislang insgesamt 14 bekannt sind. Ohne diese Wassertürme wäre an den verschiedenen Laufbrunnen jeweils unterschiedlicher Wasserdruck angestanden. Da sich in einem System geschlossener Röhren pro zehn Metern Höhenunterschied ein Druck von einem Bar aufbaut, würde, ohne die zwischengeschalteten Wassertürme, am tiefstgelegenen Laufbrunnen (9,1 m Höhe über NN; direkt an der Porta di Stabia gelegen) ein Wasserdruck von über vier Bar anstehen. Bei höher gelegenen Laufbrunnen wäre der anstehende Wasserdruck ohne die zwischengeschalteten Wassertürme entsprechend niedriger.11

Die Höhenlage der Laufbrunnen und Wassertürme wurde auf Basis von mit QGIS erzeugten Voronoi-Polygonen um die auf der Eschebach-Karte eingetragenen Höhenmesspunkte ermittelt. Zu diesem Zweck wurde mit der MySQL-Funktion st_intersects() festgestellt, innerhalb welches Voronoi-Polygons sich jeweils die Punktkoordinaten eines Laufbrunnens oder eines Wasserturms befinden. Die Höhe des geometrischen Mittelpunkts des jeweiligen Voronoi Polygons (= Messpunkt auf der Eschebach-Karte) wurde dann als Höhenangabe auf die Brunnen bzw. Türme übertragen. Die entsprechenden Höhenangaben sind demnach als Näherungswerte mit einer geschätzten Unschärfe von im Schnitt weniger als einem Höhenmeter zu verstehen.

QGIS-Karte. Die Polygone wurden mit Hilfe des Voronoi-Algorithmus um die, gleichfarbig dargestellten, Messpunkte mit der Höhe über NN erzeugt. Blaue Punkte markieren die Lage der Laufbrunnen, deren Höhenangabe auf Basis der Lage innerhalb des jeweils korrespondierenden Voronoi-Polygons errechnet wurde.

Die Wassertürme regulierten den Wasserdruck in der Weise, dass das zugeführte Wasser zunächst über eine Druckleitung in einen Behälter auf der Spitze des Turmes geführt wurde. Zumindest ein Exemplar dieser Behälter ist bei den Ausgrabungen gefunden, jedoch anscheinend während eines der Bombenangriffe im Jahr 1943 zerstört worden. Der Behälter war aus Blei gefertigt und fasste bei einer Grundfläche von 0,65 m x 0,65 m und einer Höhe von 0,56 m maximal 237 Liter Wasser.

Wasserturm samt bleiernem Wasserbehälter. Ursprünglich an der Nordwestecke von Insula II 5 gefunden, bei einem Bombenangriff 1943 zerstört. (Abb.Spinazzola, V. (1917). Regione I (Latium e Campania). Notizie degli scavi di antichità, 1917, 247–264, hier: 255 Abb. 7 [pdf]).

Die Wasserbehälter besaßen offenbar keine Abdeckung, was die Gefahr von Verunreinigung des Wasser durch Tiere oder Witterung barg. Der potentielle Druck an den jeweils von einem Wasserturm versorgten Laufbrunnen errechnet sich aus der Differenz zwischen der Höhe des Wasserturmbehälters und der des Auslaufs am Laufbrunnen. Die Wassertürme waren zwischen sechs und acht Metern hoch (Schram, Romanaquaeducts).

Zusätzlich zu den öffentlichen Laufbrunnen besaßen viele Gebäude in Pompeji direkte Hausanschlüsse. Innerhalb der Gebäude wurde das Wasser dann über interne Leitungssysteme weiter verteilt (s. Jansen 1996; u. a. nachgewiesen in den Gebäuden VII 2, 44.45 [Casa dell'Orso], VIII 4, 14.15.16.22.23.30 [Casa di C. Cornelius Rufus] und VI 15, 1.27 [Casa dei Vettii].). Ebenso wie die Behälter auf den Wassertürmen waren die manche Komponenten der Leitungssysteme, namentlich die Verteilerkästen, aus Blei gefertigt.12 Eigene Hausanschlüsse dürften, neben den großen Atriumhäusern der Wohlhabenden, vor allem auch Werkstätten mit hohem Wasserbedarf wie z. B. Gerbereien13 und Fullonicae (zahlreiche über das Stadtgebiet verteilt) gehabt haben.

Die Laufbrunnen sind sicher täglicher Treffpunkt von Personen gewesen, die in ihrem Einzugsbereich gewohnt oder gearbeitet haben. Sehr wahrscheinlich dürfte es sich dabei um die eher 'einfachen' Leute gehandelt haben, deren Wohnung oder Werkstätte keinen eigenen Wasseranschluss hatte. Auch Bedienstete der Wohlhabenden kann man sich als mehr oder minder regelmäßige Besucher der öffentlichen Laufbrunnen vorstellen. Die begüterte Oberschicht hingegen wird man eher selten dort gesehen haben. Für einen bestimmten Personenkreis waren die Laufbrunnen jedenfalls regelmäßiger Treffpunkt. Der Einzugsbereich eines Laufbrunnens kann insofern als eine Art 'Mikroregion' betrachtet werden, deren Bewohner eine kleine soziale Gemeinschaft bildeten. 

Die Gebäude der jeweiligen Mikroregionen lassen sich ermitteln, indem man die Flächen der Gebäude sich mit den Voronoi-Polygonen um die Punktkoordinaten der Laufbrunnen schneiden lässt. Die entsprechende Operation lässt sich wiederum mit der MySQL-Funktion st_intersect() durchführen. Die Voronoi-Polygone um die Punktkoordinaten der Laufbrunnen herum sind wiederum durch den entsprechenden QGIS-Algorithmus erzeugt und dann in die Datenbank übertragen worden.

/*
SQL-Statement zur Ermittlung der Zugehörigkeit der Gebäude 
zum Einzugsbereich der Laufbrunnen
*/

SELECT 
 group_concat(b.id_brunnen) IDs_Brunnen, 
 a.gebaeude

FROM gebaeude a
JOIN brunnen b ON ST_INTERSECTS(a.wkb_flaeche,b.wkb_voronoi)

where b.kategorie LIKE 'Laufbrunnen'

GROUP BY gebaeude

ORDER BY b.id_brunnen
;

 

Lage der Gebäude im Einzugsbereich umliegender Laufbrunnen. Einzelne Gebäude können auch im Einzugsgebiet mehrerer Laufbrunnen liegen.

 

Gleichfarbige Gebäudeflächen markieren Zugehörigkeit zu einer Brunnengemeinschaft. Die auf den Flächen angegebenen Zahlen identifizieren die jeweiligen Brunnen, die den Gebäuden am nächsten liegen. Diese IDs sind datenbankspezifisch. Die Nummern in den weiß umrandeten Kreisen sind die datenbankinternen IDs der Laufbrunnen. Sie stehen jeweils in der geometrischen Mitte der sie umgebendem, in Blautönen dargestellten Voronoi-Polygone im Hintergrund. Deren Farbsättigung korrespondiert mit der Höhe der Laufbrunnen über NN. Die Karte wurde mit dem Programm QGIS erzeugt.

3.1. Gebäudenutzung