< < Vorheriger Beitrag

Italiener in Chile




1 Latein-Amerika allgemein

Wegen der unterschiedlich starken Dimension der Immigration von Italienern kann man insbesondere bezüglich der sprachlichen Auswirkungen Südamerika in andine und nichtandine Staaten einteilen. Zu den nichtandinen Staaten zählen beispielsweise Argentinien, Brasilien und Uruguay, in die sehr viele Italiener immigriert sind. Zu den andinen Staaten, in denen sich Italiener nur in geringem Maße angesiedelt haben, gehören neben Chile auch Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien.

L' AL necessita di una trattazione suddivisa per Paesi, o gruppi di Paesi, per distinguere quanto avvenuto in Brasile, Argentina, Uruguay, Venezuela rispetto a realtà come Cile, Columbia [...], che hanno vissuto un'immigrazione di minori dimensioni e meno caratterizzata dal punto di vista linguistico.   (Bagna 22012: 306).

Faktoren, von denen die Anzahl von Immigranten abhängt, sind die geografische Lage und damit die Erreichbarkeit des Ziellandes, der Bedarf an Arbeitskräften für die ökonomische Entwicklung und politische Entscheidungen als Weichenstellung für Immigration in das Zielland.

In Ländern mit einer weniger starken Ansiedlung von italienischen Immigranten kann man ganz bestimmte Emigrationsmuster feststellen. Typische Merkmale sind urbane und nicht ländliche Ziele der Migration, der endgültige und definitive Charakter der Emigration aus Italien, Zugänge der Immigranten zu mittleren bis hohen sozialen Schichten des Einwanderungslandes, die starke Präsenz weiblicher Einwanderer, großes soziales und politisches Engagement der Immigranten innehalb der Gesellschaft des Einwanderungslandes und eine modernisierende Funktion der Immigranten auf das Einwanderungsland (Bagna 22012: 354).

 

2 Chile als Einwanderungsland

Chile erklärt am 12. Februar 1818 seine Unabhängigkeit von Spanien. Aus einem kurzen Bürgerkrieg 1833 zwischen einer liberalen, reformfreudigen städtischen Elite und den ländlichen Großgrundbesitzern als konservativen Kräften des Landes gehen letztere als Sieger hervor. Sie schaffen eine neue Verfassung, nach der der Präsident des Landes mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestattet ist. Er allein kann jedes Gesetz blockieren. Chile hat somit eine starke Zentralregierung. Die chilenische Gesellschaft ist stark hierarchisch strukturiert, Großgrundbesitzer sitzen als Oberschicht fest im Sattel und wissen über den Präsidenten ihre Interessen durchzusetzen. Sie sind zum größte Teil Nachfahren spanischer Einwanderer.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts steigt der Kupferexport in Chile stark an, britische Gesellschaften investieren in Kupferminen und den Ausbau der Infrastruktur. Valparaíso wird zur wichtigsten Hafenstadt an der Pazifikküste. 1879-1884 gewinnt Chile im sog. Salpeterkrieg gegen Peru und Bolivien Territorien im Norden dazu und erlangt damit die Schürfrechte an den dortigen Salpetervorkommen. Ende des 19. Jahrhunderts erlebt Chiles Wirtschaft vor allem wegen der Förderung von Kupfer und Salpeter einen starken Aufschwung (Pull-Faktor). (Bähr 2004: 33-35).

Zu diesem Zeitpunkt erlebt Chile auch seine größte Immigrationswelle. Das Land betreibt eine ausgewählte Einwanderungspolitik. 1882 eröffnet die chilenische Regierung in Europa ein Einwanderungsbüro. Um die junge chilenische Nation wirtschaftlich und gesellschaftlich weiter aufzubauen, setzen Politiker und Intellektuelle des Landes auf gut ausgebildete Experten und spezialisierte Handwerker aus Europa, das betrifft insbesondere den Sektor des Salpeterbergbaus. Durch die stark zielgerichtete Einwanderungspolitik gibt es in Chile keine Massenimmigration. Weitere Faktoren für den sehr geringen Emigrationsfluss von Italien nach Chile sind die schlechtere geografische Erreichbarkeit verglichen mit Argentinien oder Brasilien - es gibt keine direkte Schiffsverbindung zwischen Italien und Chile - sowie die Kosten der Schiffspassage, die von der chilenischen Regierung nicht vollständig übernommen werden können, auch das im Gegensatz zu Argentinien und Brasilien. Die Aussicht in kurzer Zeit eigenen Grund und Boden zu besitzen gibt es in Chile auch nicht, da hier viele Großgrundbesitzer riesige Güter unterhalten (Bagna 22012: 354).

Der wichtigste ökonomische Sektor ist die Förderung von Kupfer und Salpeter in der Atacama-Wüste im Norden Chiles. Die niedrige Bezahlung und das Wüstenklima  machen Chile als Immigrationsland nicht wirklich attraktiv, so dass es mit Ländern wie Argentinien oder Brasilien um 1900 nicht als Einwanderungsland konkurrieren kann (Bagna 22012: 355). Der Prozentsatz von Immigranten an der Gesamtbevölkerung liegt um 1900 in Chile nur bei 4,2%, während er im selben Zeitraum in Argentinien bei 77,9%, in Uruguay bei 50% und in Brasilien bei 21,4% liegt (Stabili 2000: 48f.).

 

3 Italiener und Italienisch in Chile

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es ca. 20.000 Italiener in Chile, die aus Nordiltalien, insbesondere aus Ligurien, dem Piemont und der Lombardei stammen. Hauptsächlich sind es Seeleute, Selbständige und Freischaffende sowie kleinere und mittlere Unternehmer, die sich in verschiedenen Städten ansiedeln (Bagna 22012: 355). Offensichtlich zieht das wirtschaftlich boomende Chile (Pull-Faktor) einige Unternehmer und Freischaffende aus Italien an, das um 1900, auch auf Grund eines wirtschaftlichen Abschwungs, eine größere Emigrationswelle erlebt (Push-Faktor). Italienische Unternehmer schaffen so Arbeitsplätze in Chile und tragen zu Fortschritt und Modernisierung des jungen chilenischen Staates bei.

In den folgenden Jahren bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht die Anzahl der in Chile lebenden Italiener stark zurück, 1987 sind es nur ca. 5000. Zwischen 1950 und 1985 emigrieren hauptsächlich Italiener aus dem Trentino, Basilikata und den Abbruzzen nach Chile. Das Gebiet der Herkunft italienischer Einwanderer hat sich auch in Chile im Laufe des 20. Jahrhunderts auf Mittel- und Süditalien erweitert. Für die vergleichsweise wenigen Italiener in Chile gilt, dass sie sehr gut in der chilenischen Gesellschaft integriert sind, was sowohl daran liegt, dass sie vorwiegend in sog. Mischehen mit Chilenen verheiratet sind, als auch daran, dass ihre Kinder automatisch chilenische Staatsbürger sind.

La presenza italiana è inoltre connotata per i processi di "cilenizzazione", dovuti sia ai prevalenti matrimoni esogamici, sia all'automatica acquisizione della citadinanza cilena per i figli di italiani nati in Cile, con il conseguente scarso uso della lingua italiana [...]. (Bagna 22012: 355).

Exkurs: Ius soli -Ius sanguinis

Ius soli -das Recht des Bodens- beschreibt im Staatsbürgerrecht das Geburtsortsprinzip, nach dem jedem Kind, das auf dem Gebiet eines Staates geboren wurde, unabhängig von der Staatsbürgerschaft seiner Eltern, die Staatsbürgerschaft dieses Staates zusteht. Das ius soli ist damit der Gegenentwurf zum ius sanguinis, bei dem sich die Staatsangehörigkeit eines Kindes nach der seiner Eltern richtet.   (Proverbia-iuris 2016).  <http://www.proverbia-iuris.de/ius-soli/>   [Zugriff 19.06.2016]

Ius sanguinis -das Recht des Blutes- beschreibt im Staatsbürgerschaftsrecht das Abstammungsprinzip, nach [dem][!] einem Kind unabhängig vom Geburtsort die von seinen Eltern (oder einem Elternteil) vermittelte Staatsbürgerschaft zukommt.   (Proverbia-iuris 2016).  <http://www.proverbia-iuris.de/ius-sanguinis/>   [Zugriff 19.06.2016]

Das hat in Chile zur Folge, dass die italienische Sprache nur sehr selten gesprochen wird, in sog. Mischehen wird sie nicht an die zweite Generation weitergegeben, man identifiziert sich in der ersten Generation mit der neuen Heimat Chile (Bagna 22012: 355).

Erst in jüngster Zeit steigt die Anzahl der Italiener in Chile wieder stärker an, 2009 leben ca. 45.000 Italiener in Chile, 2010 sind es ca. 46.000. Diese Daten spiegeln in erster Linie eine neue Tendenz in der chilenischen Politik wider. Seit wenigen Jahren können Nachkommen italienischer Immigranten in Chile die italienische Staatsbürgerschaft erwerben. Das führt dazu, dass die italienische Sprache in Chile vermehrt als Fremdsprache unterrichtet wird. 2009 sind ca. 3000 Lerner in Italienisch-Kursen eingeschrieben. Italienisch wird am Istituto Italiano di Cultura (IIC), an der Società Dante Alighieri, an Universitäten und in zwei Schulen unterrichtet. Die Finanzierung aller Italienisch-Kurse wird vom Ministero degli Affari Esteri (MAE) garantiert. Gelernt wird italiano standard als L2-Sprache. Wie in Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien ist die italienische Sprache auch in Chile eine Fremdsprache. “Si tratta di Paesi in cui la lingua italiana è a tutti gli effetti una lingua straniera.” (Bagna 22012: 357).

ladante.cl

Auf der Homepage der Società Dante Alighieri in Santiago de Chile findet man unter Cursos und Nuestros Professores mit Maria Rosa Ghisoni, Andrea Morales Ghisoni und Milena Morales Ghisoni drei chilenische Sprachlehrerinnen der italienischen Sprache.

Maria Rosa Ghisoni ist laut ihres curriculum vitae eine italienische Immigrantin. Sie emigriert mit ihrer Familie mit zwölf Jahren aus Piacenza in der Emilia-Romagna nach Punta Arenas  in Patagonien, Chile. Nachdem sie in den 1950er Jahren in Chile immigriert ist, hat sie mehrere Studien an der Università del Cile  in Santiago absolviert, sie ist also Akademikerin. Interessant ist, dass ihr curriculum vitae in italienischer Sprache, italiano standard, verfasst ist.

Andrea Morales Ghisoni ist am 19.04.1971 in London, UK, geboren. Maria Rosa Ghisoni hält sich von 1969 bis 1972 zusammen mit ihrem Mann in London auf, es ist also wahrscheinlich, dass Andrea Morales Ghisoni die Tochter von Maria Rosa Ghisoni ist. Im curriculum vitae von Andrea Morales Ghisoni, der in chilenischem Spanisch verfasst ist, wird ihre Zweisprachigkeit betont, neben chilenischem Spanisch auch Italienisch, was für Nachkommen italienischer Immigranten in der Generation von Andrea Morales Ghisoni wieder häufiger vorkommt. Die Identifizierung ihrer Eltern mit der Chilenischen Kultur und Sprache könnte man an ihrem Vornamen Andrea erkennen, der in Italien ein männlicher Vorname ist. Andrea Morales Ghisoni hält sich von 1994 bis 1996 in der Emilia-Romagna auf, wo sie einen Kurs der italienischen Sprache, italiano standard, frequentiert.

Milena Morales Ghisoni ist am 02.02.1969 geboren, vermutlich ist sie die Schwester von Andrea Morales Ghisoni. Ihr curriculum vitae ist ebenfalls in chilenischem Spanisch verfasst. Darin wird ihre doppelte Staatsbürgerschaft als Chilenin und Italienerin betont, die sie als Nachkomme einer italienischen Immigrantin in Chile seit einigen Jahren erwerben kann. Eher außergewöhnlich ist, dass sie von 1975 bis 1986 in Chile die italienische Schule Vittorio Montaglio besucht. Auch sie hält sich zum Studium der italienischen Sprache und der Didaktik, das sie an den Universitäten von Siena und Bologna absolviert, in Italien auf. Sie unterrichtet die italienische Sprache in Chile u.a. für Nachkommen italienischer Immigranten.    (ladante.cl 2015).    <http://www.ladante.cl>  [Zugriff 22.06.2016]

 

Quellen

Bagna, Carla (22012): "America Latina", in: Vedovelli, Massimo (Hg.): Storia linguistica dell'italiano nel mondo. Rom: Carocci.

Bähr, Jürgen (2004): "Demographischer Wandel und regionale Entwicklungspotenziale", in: Imbusch, Peter/Messner, Dirk/Nolte, Detlef (Hgg.): Chile heute. Frankfurt a.M.: Vervuert.

Stabili, Maria Rosaria (2000): "Italiani in Cile: un bilancio storiografico",  in: Altreitalie 20-21, gennaio-dicembre. 43-56.

Proverbia-iuris-Artikel "Ius-sanguinis" = Anonymus (o.J.): "Ius-sanguinis." Proverbia-iuris. <http://www.proverbia-iuris.de/ius-sanguinis/>   [Zugriff 19.06.2016]

Proverbia-iuris-Artikel "Ius-soli" = Anonymus (o.J.): "Ius-soli". Proverbia-iuris. <http://www.proverbia-iuris.de/ius-soli/>   [Zugriff 19.06.2016]

Società Dante Alighieri-Artikel "Nuestros Professores" = Anonymus (2015): "Nuestros Professores." ladante.cl. <http://www.ladante.cl>  [Zugriff 22.06.2016]

< < Vorheriger Beitrag

Eine Antwort

  1. Die Arbeit ist etwas kurz ausgefallen; den einen oder anderen Bezug zu chilenischen Datenquellen hätte es gewiss gegeben, wie die kleine Fallstudie zu den Lehrpersonen zeigt; der Exkurs „Ius soli -Ius sanguinis“ ist interessant, aber kommt unvermittelt. In formaler Hinsicht hätten die Überschriften richtig formatiert werden sollen.

Schreibe einen Kommentar