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Artikel




1. Die Artikel in der Romania

Diese Arbeit beschäftigt sich primär mit dem bestimmten Artikel maskulin Singular in den romanischsprachigen Gebieten in Europa. Daher handelt es sich im Folgenden mit der Bezeichnung Artikel, sofern nicht anderweitig spezifiziert, immer um den bestimmten Artikel maskulin Singular.

In dieser Arbeit wird zunächst kurz auf die Etymologie des Artikels eingegangen. Dem folgt ein Abschnitt über die Verteilung des Artikels in der Romania. Beginnend wird der Artikel in phonologisch unauffälligem Umfeld betrachtet. Anschließend wird die potenzielle Variation des Artikels aufgrund der phonologischen Umgebung untersucht. Danach wird auf den Spezialfall der Kontraktionen des Artikels mit Präpositionen näher eingegangen. Diesem ersten Teil folgt ein Abschnitt über die methodologischen Schwächen, die wärend des Verfassens dieser Arbeit aufgetreten sind. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammengefasst.

1.1. Entstehung des Artikels

In allen Sprachen, in denen es einen bestimmten Artikel gibt, ist dieser aus einem Demonstrativpronomen, aufgrund von übertrieben häufigem Gebrauch des Pronomens, entstanden. Dieser so häufige Gebrauch hat unweigerlich zu einer Abschwächung und Entwertung der ursprünglich demonstrativen Funktion des Pronomens geführt, sodass lediglich die Funktion des Artikels erhalten blieb. Dies gilt auch für die romanischen Sprachen, was im Folgenden kurz dargestellt wird. Ein viel zu häufiger Gebrauch des Demonstrativpronomens ille schon im Vulgärlateinischen hat zur Ausbildung der Artikel in den romanischen Sprachen geführt (Rheinfelder 1976, 109). Allerdings ist der Artikel nicht in allen Gegenden aus dem Demonstrativpronomen ille entstanden, im Mittelmeerraum hatte sich das Demonstrativpronomen ipse durchgesetzt. In dieser Gegend finden sich auch heute noch Artikelformen, welche auf das Etymon ipse zurückzuführen sind, wie der sardische Artikel su (Rheinfelder 1976, 177). Es gibt verschiedene Formen, wie sich der Artikel aus den Demonstrativpronomen entwickelt hat: Einerseits die Form der Apokope, bei der Teile des Demonstrativpronomens am Ende wegfallen (vgl. Standardspanisch el). Andererseits die Aphärese, bei der ein Teil am Anfang des Pronomens weggefallen ist (vgl. Standardfranzösisch le). Als weitere Möglichkeit gibt es die Reduzierung auf lediglich einen Vokal (vgl. Standardportugiesisch o) oder das alleinige Verbleiben eines Konsonanten, was jedoch in keiner romanischen Standardsprache der Fall ist, auf dialektaler Ebene aber vorkommen kann. Auf die Verteilung der verschiedenen Artikelvarianten wird nach der ersten Karte näher eingegangen.

1.2. Die bestimmten Artikel maskulin Singular

  • Apokope = ■ "square"
  • Aphärese = ⬤ "circle"
  • Nur Vokal = ▲"triangle"
  • Nur Konsonant = ⬢ "hex"
  • [a] "blue"
  • [e] "green"
  • [i] "yellow"
  • [o] "orange"
  • [u] "red"
  • [ə] "white"
  • [l] "cyan"
  • [r] "grey"
  • [s] "pink"
  • [ʃ] "brown"
  • [j] "black

Verwendete Karten:

Die obenstehende Karte beschreibt die Verteilung des bestimmten Artikels maskulin Singular in den romanischen Sprachen in Europa, ausgenommen dem Rumänischen. Im Folgenden wird zunächst die Karte allgemein beschrieben, die verschiedenen phonologischen Gegebenheiten der einzelnen Gebiete werden zusammengeführt und anschließend wird auf zwei Gebiete genauer eingegangen.
Bei einer sehr groben ersten Betrachtung lässt sich feststellen, dass Kreise vor allem in Frankreich auftreten, vereinzelt in Italien und an der Grenze zwischen den Regionen Katalonien und Aragon. Quadrate befinden sich vor allem im Norden Italiens, in der Schweiz und in Spanien sowie vereinzelt an der Grenze zwischen Frankreich und Belgien. Dreiecke tauchen in der Region Aragon, in der Gegend um Genua, im Süden Italiens und auf Korsika auf. Sehr selten lassen sich Orte finden, an denen ein Hexagon verzeichnet ist. Es lässt sich also zunächst feststellen, dass die Verteilung von Apokopen, Aphäresen und der Reduktion auf einen Vokal überwiegend voneinander abgrenzbar ist und selten stark vermischt auftaucht.
Ein relativ einheitliches Bild lässt sich in weiten Teilen Frankreichs erkennen, wobei Frankreich zweigeteilt ist. Der Norden ist, mit Ausnahme der Grenzen zu den benachbarten Ländern, sehr einheitlich und stellt den französischen Standard [lə] dar. Ein ebenso sehr weiter durchgehender Bereich lässt sich im Süden Frankreichs erkennen, in dem der okzitanische Standardartikel [lu] verwendet wird. Diese Form des Artikels findet sich auch in dem frankoprovenzalischen Sprachgebiet sowie vereinzelt auf dem italienischen Festland und im Norden Sardiniens. Im Westen Frankreichs an der Grenze zu Deutschland, zur Schweiz und zu Italien kommt der Artikel in der Form [lo] vor. Ebenso kommt diese Form in dem Übergangsgebiet zwischen dem Katalanischen und dem Aragonesischen auf der iberischen Halbinsel vor, sowie an manchen Orten in Belgien, wo aber auch die Form [li] verwendet wird. Bei den Aphäresen gibt es noch die Form [le], welche hauptsächlich im Süden Frankreichs im Gebiet der Pyrenäen an der Grenze zu Spanien vorkommt. Abgesehen davon gibt es nur wenige andere Formen mit Aphäresen, wie die Formen [ru] oder [jo] in der Gegend südlich von Rom. Des Weiteren existiert noch die Aphärese des Artikels mit dem Demonstrativpronomen ipse als Etymon. Diese Formen ([su/sa/so]) kommen im Großteil Sardiniens sowie in Grasse, einem Ort in Südostfrankreich, und Picerno in Süditalien.

An die Aphäresen mit dem Etymon ipse lassen sich die Apokopen mit demselben Ursprung ([es]) gleich anschließen, welche in der Küstenregion Kataloniens bis hin zur Küstengegend Valencias vereinzelt auftauchen sowie auf den Balearen noch flächendeckend vertreten sind. Es gibt einige Gebiete, welche eine apokopierte Form des Artikels mit dem Etymon ille verwenden. Dabei stellt Spanien in weiten Teilen ein sehr einheitliches Bild dar. Die Gegend um Madrid bis hin in den Norden in Asturien zeichnet sich, soweit Daten vorhanden sind, durch die Verwendung des standardspanischen Artikels [el] aus. Ebenso wird diese Form des Artikels in den aragonesischen Pyrenäen in der Gegend um Graus und Bénas sowie auf der französischen Seite der Pyrenäen in der Gegend um Lourdes verwendet. Des Weiteren wird diese Form im Norden Italiens und in der Südostschweiz in Graubünden und im Tessin relativ häufig verwendet, sowie direkt im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Belgien. Die Verwendung in dieser Gegend vermischt sich aber sehr mit Apokopen welche auf anderen Vokalen neben [e] basieren, wie [al/il/ol/ul], die alle ähnlich häufig und, ohne ein ersichtliches System, durchmischt verwendet werden. Daneben gibt es vor allem im Süden Spaniens noch die Formen, welche statt einem [l] als Konsonanten ein [r] verwenden, wobei dieses Phänomen dort flächendeckend vorkommen soll. Für eine aussagekräftige Beurteilung dieses Phänomens liegen zu wenig verfügbare Daten vor. Ebenso kommen Formen des Artikels mit [r] auch an einigen Orten in Nordwestitalien und in der Südschweiz vor. Ein weiteres Gebiet, in dem der Artikel als Apokope verwendet wird, reicht von Nordostkatalonien bis hin zur französischen Grenze, wo der Artikel [əl] verwendet wird sowie auf französischer Seite der Grenze, wo [al] als Artikel verwendet wird.

Als nächstes Phänomen wird die Reduzierung des Artikels auf einen Vokal, wie dies im Standardportugiesischen der Fall ist, betrachtet. Dabei sind überwiegend zwei Vokale vertreten. Einerseits der Vokal [o] im portugiesischen, galizischen und im westlichen Teil des aragonesischen Sprachgebiets. Andererseits der Vokal [u], welcher vor allem auf Sizilien, in Kalabrien, auf Korsika und in der Küstenregion rund um Genua verwendet wird. Die Vokale [i] und [e] tauchen noch vereinzelt in Italien auf, scheinen sich aber nicht durchgesetzt zu haben.
Als letztes Phänomen lässt sich noch die Elidierung der Vokale beim Artikel nennen. Hier wird also lediglich ein Konsonant, unabhängig von der phonologischen Umgebung, als Artikel verwendet. Der Konsonant [l] wird vor allem, aber auch dort nur vereinzelt, in Nordfrankreich und in Puglien verwendet. In der Region Hauts-de-France wird der Konsonant [ʃ] verwendet. Ganz oben im Norden wird an einem Ort, in Fort-Mardyck, [s] als Artikel verwendet. Zumindest in Nordfrankreich ist dieses Phänomen gut erklärbar. Aufgrund der starken Schwächung des Vokals beim Artikel zu einem Schwa, also einem Vokal, der nicht betont werden kann, kann es sehr leicht vorkommen, dass dieses Schwa einfach entfällt.

Nach dieser allgemeinen Beschreibung der Karte wird hier nun auf zwei auffällige Gebiete noch näher eingegangen. Als erstes Gebiet wird der Mittelmeerraum und damit die Artikel mit ipse als etymologischen Ursprung. Anschließend wird dann noch das Pyrenäengebiet etwas näher betrachtet.

Der Article Salat, wie er im Katalanischen genannt wird (vgl. Wikipedia 2020b), wird auf einigen Inseln im Mittelmeerraum und in Frankreich, Italien und Spanien vereinzelt am Festland, dort in Küstennähe, verwendet. Diese Verbreitung spricht dafür, dass die Verwendung dieser Form des Artikels früher weiterverbreitet war, vermutlich auf einem damals zusammenhängenden Gebiet. Es handelt sich daher wahrscheinlich um eine gemeinsame Entwicklung und nicht um zufällige Parallelentwicklungen. Im äußersten Norden Frankreichs gibt es einen Punkt, an dem lediglich der Konsonant [s] als Artikel verwendet wird, der etymologisch ebenfalls vom Demonstrativpronomen ipse abstammen könnte. Dies hängt hingegen eher nicht mit dem Article Salat aus der Mittelmeergegend zusammen und hat sich, falls dieser Artikel tatsächlich dieselbe Etymologie hat, vermutlich parallel dazu so entwickelt. Dies ist aufgrund der großen räumlichen Distanz und der verschiedenen historischen Regionen, welche zwischen diesen Orten lagen, am Wahrscheinlichsten.

Eine weitere sprachlich auffällige Gegend sind die Pyrenäen, sowohl auf spanischer als auch auf französischer Seite. Dabei ist besonders die Verwendung von [el] beziehungsweise [e] + Konsonant als Artikel interesssant. Diese Artikelform hat einen Verbreitungsraum von Fonz im Süden an den Ausläufern der Pyrenäen in Spanien bis in den Norden bis Martres-Tolosane auf französischer Seite ebenfalls im Vorland der Pyrenäen. Zwischen diesen beiden Orten ist das Phänomen durchgehend vertreten. Das ist insofern besonders interessant, da hier die Berge nicht, wie sehr oft fälschlicherweise angenommen, eine Sprachgrenze bilden, sondern im Gegenteil eine Verbindung schaffen. Es gibt hier Gemeinsamkeiten, die sich auf beiden Seiten der Pyrenäen gehalten haben, was beweist, dass Berge keine Hindernisse für Sprachen darstellen.

1.3. Phonologisch bedingte Variation

 

  • Vor Vokalen = ■ "square"
  • Nach Vokalen = ▲"triangle"
  • Vor Sibilanten (s+kons./z) = ⬤ "circle"
  • Vor und nach Vokalen = ⬢ "hex"
  • [lo] "white"
  • [l] "blue"
  • [r] "red"
  • [s] "pink"
  • [el] "yellow"
  • [er] "cyan"

Verwendete Karten:

Diese Karte zeigt die phonologisch bedingte Variation des bestimmten Artikels. Dabei ist zunächst die Variation vor bestimmten Sibilanten zu nennen, wie dies im Standarditalienischen der Fall ist. Dort wird aus dem standardmäßigen bestimmten Artikel il
vor bestimmten Konsonanten (z) und Konsonantengruppen (s+Konsonant) ein anderer Artikel gesetzt, nämlich lo. Dieses, auf der Karte mit weißen Kreisen dargestellte Phänomen, ist in Italien allerdings nicht so weit verbreitet, wie dies vielleicht erwartet worden wäre. Es taucht lediglich in der Toscana und in Umbrien relativ flächendeckend auf, in anderen Regionen kommt dieses Phänomen nur noch sehr vereinzelt vor. Dies entspricht zum Teil auch der Gegend, in der bei den bestimmten Artikeln in einem "normalen" Umfeld auch der Standardartikel verwendet wird. Es könnte also damit zusammenhängen, dass in dieser Region am Ehesten das Standarditalienische gesprochen wird.
Ein sehr weit verbreitetes Phänomen im Bereich der phonologisch bedingten Variation ist die Abweichung des Artikels, wenn dieser unmittelbar vor einem Vokal platziert ist (oder einem stummen 'h'). In Frankreich taucht dieses Phänomen flächendeckend auf, in Italien kommt es vereinzelt, aber weit verteilt vor, nur auf Sardinien flächendeckend. Ebenso taucht dies im Aragonesischen, Asturischen und Katalanischen auf. Im Französischen lässt sich dieses Phänomen relativ einfach erklären: Aufgrund des oft schon abgeschwächten Vokales (Schwa) beim Artikel ist es unproblematisch, diesen Vokal vor anderen Vokalen zu elidieren. Auch in den meisten anderen Regionen, in denen der Artikel auf einen Konsonanten reduziert wird, liegt beim Artikel eine Apokope vor und der Endvokal des Artikels wird elidiert, um einen Hiatus zu vermeiden. An einem Großteil der Orte, in denen es keine Variation des bestimmten
Artikels maskulin vor einem Vokal gibt, liegt eine Aphärese beim Artikel vor. Der Artikel endet schon auf einem Konsonanten, es ergibt sich dadurch also kein artikulatorisches Problem bei der Kombination des Artikels mit einem Wort, welches mit einem Vokal beginnt.
Eine Besonderheit bei der phonologisch bedingten Variation stellen das Asturische und das Aragonesische dar, da hier der Artikel sowohl vor, als auch nach Vokalen eine Veränderung aufweist. So wird der Artikel im Asturischen in beiden Fällen auf ein l reduziert, im Aragonesischen wird der Artikel vor Vokalen zu einem l, nach Vokalen zu lo.

1.4. Portmanteau-Allomorphe

Unter Portmanteau-Allomorphen wird die Verschmelzung zweier Morpheme zu einem Morph verstanden. Es handelt sich dabei um Morphemverschmelzung, wie im Standard-Französischen die Verschmelzung von {à} + {le} zu einem neuen Morph, au (Schpak-Dolt 2016, 14). Je nach Sprache und Dialekt kann der Artikel mit unterschiedlich vielen Präpositionen kontraktieren und somit eine unterschiedliche Anzahl an Portmanteau-Allomorphen bilden, welche in der nachfolgenden Karte dargestellt werden:

  • 2 Mögliche: "white"
  • 3 Mögliche: "green"
  • 4 Mögliche: "blue"
  • 5 Mögliche: "red"
  • 8 Mögliche: "yellow"
  • 11 Mögliche: "pink"

 

Auf dieser Karte ist als Erstes eine Gemeinsamkeit zwischen dem Standardspanischen und dem Standardfranzösischen erkennbar. Beide Standardsprachen haben lediglich zwei mögliche Kontraktionen zwischen Artikel und Präpositionen, al/del beziehungsweise au/du.

Als nächstes ist das Katalanische zu nennen, wo zusätzlich die Form pel.
Einen weiteren Zusammenhang gibt es zwischen dem Standardportugiesischen und dem sogenannten Referenzokzitanischen. In diesen beiden Sprachen gibt es jeweils vier verschiedene, auf dem Artikel basierende, Kontraktionen mit Präpositionen. Mit fünf möglichen Verbindungen haben das Standarditalienische und das Galizische schon relativ viele verschiedene Möglichkeiten zur Bildung von Portmanteau-Allomorphen.
Auf dieser Karte stechen aber besonders zwei Varietäten besonders heraus: das Asturische mit acht verschiedenen Artikel-Präposition-Verschmelzungen und das Aragonesische mit sogar elf verschiedenen Möglichkeiten: t’o/ta’l, a’l, d’o, ent’o/enta’l, pa’l, po’l, pe’l, cara’l, capa’l, cata’l, n’o/n’el.

In diesem Bereich lassen sich relativ klare Unterschiede zwischen den Primärdialekten und den Standardsprachen feststellen. Primärdialekte sind Dialekte, die genauso alt sind, wie die Standardsprache selbst, sich aber nicht als solche etabliert haben und auf regionaler und dialektaler Ebene geblieben sind (Koch/Oesterreicher 2011, 140-142). Es wird auf dieser Karte ersichtlich, dass die Standardsprachen sehr wenige Portmanteau-Allomorphe zulassen (frz. und sp. 2, bis it. 5 verschiedene) während die Primärdialekte teilweise sehr viele Kontraktionen zulassen (asturisch 8 und aragonesisch 11 verschiedene Möglichkeiten). Da die hier genannten Primärdialekte nicht zur Standardsprache geworden sind, haben sie auch nie den Distanzbereich erreicht. Diese Dialekte sind überwiegend bis ausschließlich im Nähebereich zu verordnen. Hierbei gilt, dass Nähesprache dazu tendiert, bei der Artikulation nicht auf absolute Korrektheit zu achten. Es kommt in diesem Bereich vor, dass bestimmte Silben aufgrund der unsauberen Artikulation verschwinden. Der nähesprachliche Bereich ist ein sprecherorientierter Bereich, bei dem es also darum geht, Informationen einfach und mit möglichst wenig artikulatorischem Aufwand wiederzugeben. Im Gegensatz dazu ist der Distanzbereich, in dem artikulatorische Präzision sehr wichtig ist, ein hörerorientierter Bereich. Es geht also darum, möglichst von allen verstanden zu werden, nicht nur von Personen aus einem lokalen Umfeld (Koch/Oesterreicher 2011, 129-132). Anhand der Hörer- und Sprecherorientierung lassen sich die Befunde zu den Portmanteau-Allomorphen erklären. Es handelt sich bei den Sprachen mit einer geringen Anzahl an Möglichkeiten zur Bildung der Portmanteau-Allomorphe tendenziell um hörerorientierte Sprachen, was vor allem bei Standardsprachen auf jeden Fall gegeben ist. Bei Sprachen mit vielen Kontraktionsmöglichkeiten handelt es sich im Gegenzug dazu um sprecherorientierte Sprachen.

2. Methodologie

Aus methodologischer Sicht haben sich einige Probleme bei der Erarbeitung der Daten für diese Seminararbeit ergeben. Zunächst ist hierbei die Datenlage der iberischen Halbinsel zu nennen. Für das Phänomen der Artikel war es äußerst schwer bis teilweise unmöglich, an Daten zu kommen. Dabei ist in erster Linie der ALPI zu nennen, dessen Karten bisher nur bis zum Buchstaben e digitalisiert worden sind und daher ein Großteil der Daten gar nicht vorhanden ist. Des Weiteren wurden bei der Erstellung der Karten die Artikel zwar abgefragt, aber zumindest auf die bisher digitalisierten Karten nicht übertragen. Es war auf der iberischen Halbinsel also nur mit einigen regional beschränkten Sprachatlanten, wie dem ALECMAN und einigen anderen möglich, an Daten zu kommen. Die restlichen, spärlich verteilten Daten auf den Karten weiter oben stammen aus Grammatiken und Wörterbüchern, sind aber dementsprechend nicht georeferenzierbar und auf den Karten hier lediglich exemplarisch in einigen Städten abgebildet.

Für Rumänien ist die Datenlage aktuell noch schlechter als für die iberische Halbinsel. Hier liegen überhaupt keine digitalisierten Sprachatlanten vor, weshalb das Rumänische für diese Arbeit nicht berücksichtigt worden ist.

Ein weiteres Problem, welches sich durch die Verwendung der Sprachatlanten ergibt, ist, dass einige dieser Atlanten bereits Ende des 19. beziehungsweise Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind und die Daten dementsprechend schon um die 100 Jahre alt sind. In den letzten 100 Jahren hat sich aber vermutlich einiges in Bezug auf die Dialekte verändert. Die Ergebnisse der Karten von oben, welche auf alten Sprachatlanten basieren, sind also für die heutige Zeit nicht mehr repräsentativ. Auch liegen ca. 30 Jahre zwischen der Datenerhebung des ALF und derer des AIS. Es werden in diesem Fall zwei Atlanten miteinander verglichen, welche unterschiedliche Momente widerspiegeln und somit nicht wirklich direkt miteinander verglichen werden können.

Das nächste Problem, welches sich bei der Analyse von Sprachatlanten ergibt, ist, dass die Art der Befragung, die Hintergründe der Befragten und die generelle Situation der Befragung nicht bekannt ist und bei der Datenerhebung dementsprächend vermutlich nicht berücksichtigt wurde. Wenn also ein Dialektsprecher bei einer Umfrage nach seinem Dialekt gefragt wird, gibt es darauf verschiedene Reaktionsmöglichkeiten: Er könnte einerseits, wenn er seinen Dialekt für prestigeträchtig hält, versuchen, eine möglichst "reine" Version des Dialekts zu sprechen, um sich und seine Region zu profilieren. Andererseits könnte eine Sprecher, besonders wenn sein Dialekt als negativ angesehen wird, versuchen, seine eigenen dialektalen Einflüsse möglichst zu kaschieren und eine Sprache zu sprechen, welche möglichst nah an einem prestigeträchtigeren Dialekt oder am Standard ist. Ebenso ist es schwierig die Hintergründe zu berücksichtigen, besonders wenn aus jedem Dorf nur eine Person befragt wird. Die Sprache eines Dialektsprechers verändert sich je nach Bildungsgrad, dem Radius um das eigene Dorf, in dem ein Dialektsprecher verkehrt und dem Gebiet, aus dem die Kontaktpersonen des Sprechers stammen. Es ist folglich für die Weiterarbeit mit den Daten schwer, diese Hintergründe sowie die Authentizität eines Sprechers und seiner Sprache zum Zeitpunkt der Datenerhebung zu kennen und vor allem auch bei den Daten zu berücksichtigen, was jedoch für valide Ergebnisse relevant wäre.

Ebenso ergaben sich bei der Darstellung der Daten auf den Karten auf dem Portal dh-Lehre Schwierigkeiten. Da es nicht möglich ist, die Fläche zwischen bestimmten Punkten farbig zu markieren, können zusammenhängende Gebiete als solche nicht gekennzeichnet werden. So ist zum Beispiel auf der ersten Karte zu den Artikeln die Fläche in Nordfrankreich, welche von blauen Kreisen umgeben ist, an sich ein Gebiet, in dem der Artikel generell dem Standardfranzösischen entspricht, das ist aber bei dieser Karte nicht deutlich ersichtlich, da das Gebiet hier keine Punkte hat, obwohl hier konsequent der französische Standardartikel verwendet wird. Das lässt sich aber leider auf diesem Portal nicht visualisieren, ohne jeden Punkt einzeln zu markieren.

3. Fazit

Trotz der oben beschriebenen Schwierigkeiten war die Arbeit mit den Sprachatlanten spannend, interessant und aufschlussreich. Um aber weitergehende Forschung auf diesem Gebiet betreiben zu können, wäre es sinnvoll, die Atlanten neu und verbessert aufzulegen. Mit den heutigen technischen Mitteln lassen sich die Daten darüber hinaus viel genauer und präziser erfassen. Mit einer aktuellen Version der Sprachatlanten wäre es gut möglich, die aktuelle Situation der Dialekte und Regionalsprachen zu untersuchen. Dies ist momentan nur punktuell möglich, da für viele Regionen aktuelle Sprachdaten fehlen oder nur sehr schwer zugänglich sind. Die hier aufgetretenen Schwierigkeiten könnten dabei behoben und somit die Qualität der Sprachatlanten verbessert werden. Ebenso könnte ein Vergleich der ursprünglichen mit den dann aktuellen Sprachatlanten erarbeitet werden. Um vertiefte Studien zu ermöglichen, wäre es von Interesse, eine neue Datenerhebung zu erarbeiten und diese allgemein zugänglich zu gestalten.

ALs ein kurzer Ausblick kann an dieser Stelle ein Blick auf die Karte zu den Artikeln des world atlas of language structures (WALS) geworfen werden. Auf dieser Karte lässt sich relativ gut sehen, dass ein Artikel überhaupt nur bei etwa der Hälfte der hier untersuchten Sprachen existiert. Bei der Mehrheit der Sprachen, die in irgendeiner Form einen Artikel verwenden, haben einen eigenständigen Artikel, der sich von dem Demonstrativum unterscheidet. Aus dieser Karte ist leider nicht ablesbar, ob die existierenden Artikel tatsächlich alle aus einem Demonstrativpronomen entstanden sind. Es lässt sich aber festhalten, dass das Existieren eines Artikels durchaus häufig ist, allerdings nicht so weit verbreitet, wie dies vielleicht zu vermuten gewesen wäre.

Bibliographie

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