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Zwischenbemerkung zur Wortgeschichte von comune, nazione und anderen politischen Ausdrücken

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Zitation: Thomas Krefeld (2017): Zwischenbemerkung zur Wortgeschichte von comune, nazione und anderen politischen Ausdrücken. Version 1 (15.02.2017, 13:38). Lehre in den Digital Humanities. , url: https://www.dh-lehre.gwi.uni-muenchen.de/?p=6070&v=1

Schlagwörter: città (it) , compagnia (it) , compagnie (fr) , Staatsform , Maona , Nation (de) , nazione (it) , pieve (it) , repubblica (it) , Sevilla

0.1. Eine neue Bezeichnung für einen neuen Staatstyp: Die Selbstbezeichnung des genuesischen Staats

Die speziellen Staatsformen, um deren Rolle in der italienischen Sprachgeschichte es in dieser Vorlesung geht, wurden bislang mit dem üblichen Ausdruck als repubbliche marinare 'Seerepubliken' bezeichnet.  Es ist jedoch angebracht, in diesem Zusammenhang etwas weiter auszuholen und kurz auf die Bezeichnungen politischer Gesellschaften (und am Rande auch anderer sozialer Gemeinschaften) einzugehen. Zunächst ist es historisch ein wenig irreführend diese Staaten, wie üblich, unter dem Ausdruck repubblica zusammenzufassen, da der wichtige Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbezeichnungen einerseits und dem historischen Kontext der Bezeichnungen andererseits nicht vernachlässigt werden darf. Der Gebrauch eines Appellativums (nomen appellativum), d.h. der Bezeichnung einer Kategorie, zur Selbstbezeichnung, also nicht nur als Eigenname (nomen proprium), sondern als eigener Name ist ja eine ganz bewusste und kontrollierte Setzung. Als offizielle Selbstbezeichnung sc scheint sich repubblica jedoch  erst in der Frühen Neuzeit und zwar wohl ausgehend von Genua etabliert zu haben. Vorher, im Mittelalter, ist so, dass mit dem neuen Staatstyp auch eine neue Bezeichnung auftaucht, die zunächst in lateinischer, besser: in latinisierter Form als compagna communis belegt ist: 

"Genova cominciò a rendersi autonoma dal Sacro Romano Impero intorno al 1096, come libero comune, partecipando poi alla prima crociata (avendo la concessione dell'uso della croce rossa nello stemma). Inizialmente chiamata Compagna Communis, la denominazione "repubblica" fu ufficializzata solamente nel 1528 per iniziativa dell'ammiraglio Andrea Doria. Il suo territorio fu quindi amministrato fin dal Medioevo da consoli, podestà e capitani del popolo, dal 1099 al 1339, che costituiranno le prime "versioni" statali e repubblicane: la prima, la seconda e la terza repubblica."(https://it.wikipedia.org/wiki/Repubblica_di_Genova)  

"compagna2 s. f. [da compagno2], ant. – Compagnia, in senso astratto e concreto: Tanto dice di farmi sua compagna Che io sarò là dove fia Beatrice (Dante); Spargesi tutta la bella c. (Poliziano); lasciò in libertà quella c. (Ariosto). Anche come reparto di gente armata: avendo condotta per quattro mesi la c. del Conte di Lando (M. Villani). Storicamente, si chiamò così a Genova un’associazione, costituitasi verso la fine del sec. 11°, di gruppi armati tenuti insieme da comuni interessi economici o ideali politici, o più semplicem. dall’appartenenza alla stessa parrocchia o allo stesso quartiere, che organizzò la vita della città esautorando a poco a poco i governanti feudali e preparando l’avvento del Comune." (Treccani)

Beide Konstituenten des Ausdrucks sind - womöglich ausgehend von Genua - zu zentralen Termini des europäischen Lexikons der Wirtschaft und Politik geworden.  Der erste Bestandteil compagna scheint aus dem militärischen Bereich in den wirtschaftlichen übertragen worden zu sein (vgl. FEW  2, 968). 

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FEW 2, 968, s.v. Companio

Ein Hinweis auf den genuesischen Ausdruck, genauer gesagt auf eine mögliche Entstehung des wirtschaftlichen Bedeutung 'Handelsgesellschaft'  fehlt im FEW im Zusammenhang mit der Beschreibung des altfranz. compagne bzw. der analogen Formen anderer romanischer Sprachen. Es hat sich ja schließlich im Italienischen wie im Französischen die suffigierte Variante ita. compagnia bzw. fran. compagnie durchgestetzt, die weiterhin ins Engl. und ins Deutsche entlehnt wurden. (Übrigens werden beide Typen, ita. compagnia und compagna in den Einträgen des TLIO vermischt, da jeweils Varianten des einen auch unter dem anderen Lemma aufgenommen wurden, wie die Einträge unter der Funktion 'Lista forma' beider Lemmata zeigen).

Bemerkenswert ist aber gerade auch die zweite Komponente von Compagna Communis, denn die frühe Gründung und der frühe Beleg (wenngleich in lateinischer Variante) könnte womöglich ein Hinweis darauf sein, dass der politische Terminus comune im Sinne von 'unabhängiger mittelalterlicher Stadtstaat'  hier, in Genua, geprägt wurde.

"Nel 1097 il vescovo Arialdo riunendo i principali detentori del potere, vale dire i visconti (ovvero i signori feudali imperiali) e le otto Compagne Rionali (antica divisione in quartieri cittadini), fondò un'associazione di tutti i cittadini, la Compagna Communis." (Quelle

Auch die Namensänderung in der Selbstbezeichnung von compagna communis zu repubblica  (1528) ist bemerkenswert, denn ihr ging die zuerst bei  L.B. Alberti belegte, moderne Definition von Republik im Sinne einer Staatsform aus Grundlage gewählter Repräsentanten voraus (DELI , 1053); die feudale Staatsform wird im Gegensatz dazu als principato bezeichnet (vgl. den lateinischen Originaltitel De principatibus des berühmten Traktats von Niccoló Machiavelli [1513/gedruckt 1532], der vor allem unter seinem italienischen Titel Il principe berühmt wurde).

0.1.1. Zwei konkurrierende Motivationen hinter den (italienischen) Bezeichnungen von Gesellschaftsformen: Politik und Genealogie

Beide Selbstbezeichnungen des genueischen Staates, sowohl die ältere (compagna comunis) wie die neuere (repubblica), sind also in ihrer Semantik politisch motiviert, da sie auf die pragmatische Zusammengehörigkeit (compagna) und die gemeinsame (comunis), institutionalsierte (lat. res) Öffentlichkeit (lat. publicus) verweisen. Das gleiche gilt übrigens für ita. città (bzw. die ältere Variante cittade) 'Stadt', das auf la. civitate(m) (Akk.. von civitas) 'Bürgerrecht' zurückgeht und kollektiv auch die Gemeinschaft der Bürger (la. civis), d.h. der Personen mit Bürgerrecht bezeichnet. Es ist allerdings fraglich, ob diese semantische Motivation im italienischen Mittelalter noch präsent war; im FEW (2, 725) liest man:

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FEW s.v. civitas

Dahinter steht letztlich die Trennung des politisch-rechtlichen Status von der Herkunft, die mit der constitutio Antoniana (212 n.Chr.) im römische Recht vollzogen wurde. In diesem Edikt verlieh der Kaiser Caracalla allen Einwohnern das römische Bürgerrecht; ausgenommen davon blieb lediglich die Gruppe der so genannten dediticii).

Zum Kern des lateinischen politischen Lexikons gehören ferner 

  • it. popolo < la. populu(m) 'Volk; Gesamtheit der Einwohner aller Stände des Staats'; in seiner seiner umfassenden Bedeutung entspricht das la. Wort dem griechischen δημος 'Land, Gebiet, Volk, Gemeinde, Demokratie' (vgl. Gemoll 1965, 193).  La. populus war als Selbstbezeichnung des römischen Staats von zentraler Bedeutung, wie sich am offiziellen  Gebrauch der Floskel Senatus Populusque Romanus, bzw. an der daraus abgeleiteten Sigle S⋅P⋅Q⋅R auf den Hohheitszeichen manifestiert:    
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Der senatus steht also nicht im Gegensatz zum populus, sondern ist Teil desselben. Im Gegensatz zu populus schließt plebs 'bürgerliche Bevölkerung' jedoch den Stand der Patrizier aus.  Der römische Rechtsgelehrte Aulus Gellius (ca. 125 - ca. 180) schreibt in diesem Sinn:

"plebs autem a populo eo distat, quod populi appellatione universi cives significantur, connumeratis etiam patriciis; plebis autem appellatione sine patriciis ceteri cives significantur" (Quelle)

(La plebe in questo si differenzia dal popolo perché popolo indica tutti i cittadini, compresi i patrizi. Il termine plebe indica i rimanenti cittadini senza i patrizi)

  • Das ita. pieve 'Pfarrbezirk' < la. plebe(m) (Akk. von plebs) ist insofern interessant, weil es die soziale Verankerung des frühen Christentum in den bürgerlichen Schichten der Bevölkerung widerspiegelt; das Wort ist vor allem in Ortsnamen Ober- und Mittelitaliens erhalten. 

Wie die folgende Münze zeigt, wurde populus pisanus immerhin in Pisa als Selbstbezeichnung verwandt:

Es liegen den oben genannten Selbstbezeichnungen des genuesischen Staats, mit anderen Worten, keine Ausdrücke zu Grunde, die auf die Genealogie und damit auf die biologische Abstammung referieren. Auch solche Ausdrück sind seit lateinischer Zeit fester Bestandteil des politischen und rechtlichen Wortschatzes; dazu gehören:

  • ita. gente < la.  gente(m) (Akk. von gens) 'Stamm; rechtlich privilegiertes Geschlecht, das durch einen gemeinsam, vom Vater vererbten Gentilnamen identifiziert wurde'; dann auch 'kleinerer Stamm, fremdes Volk'; vgl. FEW 4, 108); dieses lateinische Wort, das semantisch dem griechischen εθνος (ethnos) 'Schar, Haufe, Geschlecht, Volk, Volksstamm, Menschenklasse' (Gemoll 1965, 241) ähnelt, gehört etymologisch zur Wortfamilie von la. gignere 'hervorbringen', genus usw. Es wurde dann im Italienischen auf andere soziale Kategorien von Personen ausgeweitet (gente povera, gente di chiesa usw.);
  • ita. stirpe < la. stirpe(m), (Akk. von stirps) 'Stamm, Wurzel; Abkunft, Familie, Geschlecht (ohne spezifischen rechtlichen Status)';
  • ita. famiglia < la. familia(m), 'Gesinde, Dienerschaft eines dominus' und vor dem Hintergrund der patriarchalischen Gesellschaft auch 'Angehörige, Familie'.

Gar nicht zu dem aus der Antike überlieferten politisch-rechtlichen Vokabular gehört dagegen das etymologisch sehr umstrittene:

  • ita. razza (< altfr haras 'Gestüt', das wiederum < altnord. hârr 'grauhaarig'). Die konkurrierenden Vorschläge zur Herkunft (la. generatione(m) 'Erzeugung' | la. ratione[m]) fasst DELI (1037 f.) zusammen.

Die  heute allgemeinste  Bezeichnung einer politisch verfassten Gesellschaft, it. stato 'Staat', führt zwar auch auf ein la. Rechtswort, nämlich status, zurück; damit wurde allerdings ursprünglich vor allem der physische Zustand sowie der rechtliche Stand des Individuums in der Gesellschaft, nicht aber ein soziales Kollektiv als solches bezeichnet.

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FEW s.v. status

Die Bezeichnungstyp ist übrigens kaum zum Bestandteil des Namens von Staaten geworden, vom Vatikan, dem Stato Pontificio oder Stato della Chiesa einmal abgesehen. Es bliebt zu überprüfen, ob diese Verwendung im Namen des Kirchenstaats zur Verbreitung des Ausdrucks und zur Entstehung von de. Staat, en. state usw. beigetragen hat. Zum Bestandteil eines Namens wurde dieser lexikalische Typ erst in der Moderne (United States of America).     

0.2. Von GEBURT zu STAAT - über nazione

Der seerepublikanische Kontext ist über die genannten politisch-rechtlichen Termini hinaus auch von Interesse für die Bedeutungsgeschichte von nazione, bzw. den analogen Formen der anderen europäischen Sprachen (fr. nation, sp. nación, de. Nation, en. nation usw.). Dieser Ausdruck ist grundlegend, ja emblematisch für die politische Geschichte  der europäischen Moderne. 

Alle genannten (und zahlreiche andere) einzelsprachliche Varianten des Typs gehen zwar auf lateinisch la. natione(m) zurück, das als Ableitung vom Partizip natus (zu nasci 'geboren werden') ursprünglich 'Geburt' bedeutete. Im Einzelnen ist mit indirekter Vermittlung zu rechnen, etwa vom Französischen ins Englische und womöglich ist das französische nation bereits seinerseits aus einer italienischen Varietät entlehnt worden; die Vermittlungswege können hier nicht detailliert nachgezeichnet werden. Festzuhalten ist jedoch, dass die modernen Formen allesamt den STAAT ganz allgemein bezeichnen; dasselbe gilt für die zugehörigen Adjektive des Typs (inter)nazionale oder Derivate wie de. Nationalität, frz. nationalité usw. (ita. dafür vor allem cittadinanza, mit semantischer Rückentwicklung zur Ausgangsbedeutung der bereits genannten lexikalischen Basis la. civitas 'Bügerrecht'). 'Geburt' und 'Staat' bilden also gewissermaßen die Endpunkte eines Bedeutungswandels, dessen Etappen historisch zu verorten sind. Eine im Hinblick auf die 'Endpunkte' konzise Zusammenfassung gibt der DELI:

"nazióne [...]  (av. 1294, B. Latini) [...] Vc. dotta, lat. natione(m) 'nascita', poi 'popolazione', da natus 'nato'. «Il termine Nazione, impiegato negli stessi contesti significativi in cui viene abitualmente usato oggi, cioè riferito alla Francia, alla Germania, all'Italia ecc., incomincia a comparire nel discorso politico - in Europa - nel corso della Rivoluzione francese, anche se il suo uso era lontano, in quell'epoca dall'essere univoco; mentre appare nella letteratura con il romanticismo tedesco, in particolare nelle opere di Herder e Fichte, dove peraltro è usato esclusivamente in un accezione linguistico-culturale (...). Il contenuto semantico del termine, malgrado la sua immensa forza emotiva, rimane tuttora tra i più vaghi e incerti del vocabolario politico» (F. Rossolillo, in N. Bobbio-N. Matteucci, Dizionario di politica, Torino, 1976)." (DELI 796)

Ausgeklammert wird in dieser Quintessenz der spezielle Bezug des Wortes auf den Geburtsort, der auch dem la. Etymon natio (noch) fremd ist, der jedoch in der vormodernen Verwendung im Vordergrund steht und sich im ita. nazione im Unterschied zu den französischen, deutschen, englischen u.a. Entsprechungen bis heute erhalten hat. Der Vocabolario degli Accademici della Crusca (1612) definiert das Wort nur über diese Bedeutung:

"NAZIONE. Generazion d' huomini nati in una medesima provincia, o Città. Latin.natio."

Bekannt ist aus der Universitätsgeschichte auch die mit der der ersten Universität (Bologna, 11. Jh.) begründete Tradition, die Studenten nach ihrer Herkunft in nationes  zu gruppieren und zur universitas ('Universität') zusammenfassen (vgl. Pini 2000). Vor diesem wortgeschichtlichen Hintergrund führt uns eine zu wenig bekannte, aber bemerkenswerte Quelle, die überhaupt eine eingehende sprachgeschichtliche Untersuchung verdient hätte, zur Republik Genua zurück, genauer gesagt:  zu ihrer Niederlassung in Sevilla.

0.2.1. Eine bemerkenswerte Niederlassung jenseits des Mittelmeers: Die nación genovese in Sevilla

Die Handelsniederlassungen Genuas waren keineswegs auf Häfen im Mittelmeergebiet im engeren Sinn beschränkt, wie vor allem das Beispiel Sevillas zeigt.  In dieser Stadt ist die Geschichte der Genuesen relativ gut dokumentiert und daher aufschlussreich für das Selbstverständnis und die Positionierung dieser Gruppen von Kaufleuten in anderen Mehrheitsgesellschaften. Eine wichtige Quelle für die Situation der Genuesen in Sevilla und auf der Iberischen Halbinsel ist El libro de los privilegios de la nación genovese (Gonzáles Gallego 1974), das im Übrigen auch für die Begriffsgeschichte von nazione/Nation usw. von Interesse ist (vgl. zu diesem Dokument Fossati Reiteri 2001). Der Text umfasst zwei Teile, nämlich zunächst

  • Abschriften vom 29 April 1432 und vom 23. Juli 1491:

“Copia de los privilegios e cartas de mercedes e franquezas e libertades que los mercaderes ginoeses estantes en la muy noble cibdad de Sevilla han e tienen de los senores reyes de Castilla e de León : sequntur” (Titel zit. in Fossati Raiteri 2001, 285);

  • sodann eine Abschrift vom 13. Oktober 1537, mit der Bestätigung der von der Königin  Johanna im Jahre 1508 bekräftigten Privilegien, sowie mit einem Index von El libro de los privilegios de la nación genovese aus dem Jahre 1519; die jeweils zu Grunde liegenden Referenzdokumente sind jedoch verloren gegangen.

Das Dokument ist  in Bezug auf den Zeitpunkt der Abschrift (1491) und in Bezug auf den Status der Genuesischen Kaufleute in den beiden vorhergehenden Jh. aufschlussreich:

“in questo caso compare ufficialmente, nel manoscritto, la dizione di nazione, proprio nel momento in cui Isabella e Ferdinando hanno unificato e riorganizzato la nazione spagnola, alla vigilia dell’impresa colombiana.” (Fossati Raiteri 2001, 286)

Zu Grunde liegt ein Privileg des spanischen Königs Alfons XI vom 23. Okt. 1281; es wird bestätigt, dass vor dem König “omes buenos del barrio de los ginoeses de Sevilla” erschienen sind und um Bestätigung und Erneuerung eines Privilegs (mit gebrochenem Siegel) bitten, das von Alfons X auf romance ausgefertigt wurde. Die Vorlage ist der traslado (auf romance) vom 28. August 1261 eines lateinischen Privilegs von Ferdinand III. (vom 22.5.1251), d.h. unmittelbar (3 Jahre) nach der Eroberung Sevillas (1248), vorgebracht vom mandadero Genuas, Opizzino Musso, Vertreter der genues. Kaufleute, auf Wunsch des comune della città di Genova. Geforderung werden fueros i posturas ‘leggi e statuti’. Bemerkenswert ist die Sprachenwahl:

“porque lo entiendesen e no les pasasen contra el”

Es gibt somit zwischen Sevilla und Genua eine Phasenverschiebung  in Bezug auf den Gebrauch des Romanischen in offiziellen Rechtstexten:

“Ciò testimonia che già nel secolo XIII i mercanti genovesi di Siviglia, che pur dovevano avere sufficiente dimestichezza con il latino (a Genova tutti gli atti erano redatti in latino), preferivano la lingua castigliana. Presumibilmente ciò dipende dal fatto che in Siviglia il latino era sempre meno usuale, e poteva diventare pericoloso affidare i propri diritti a documenti redatti in una lingua ormai poco compresa. Il re acconsente, uditi anche alcaldes, almojarifes (esattori delle imposte, doganieri che spesso sono coinvolti in questioni tra genovesi e vecinos di Siviglia) e uomini di legge della sua terra ” (Fossati Raiteri 2001, 286)

Inhaltlich wurden den Genuesen Folgendes zugesprochen: barrio 'Stadtviertel' mit einer alfondiga (fondaco), einem forno, einem baño sowie Handelsfreiheit. Die genannten Einrichtungen des Stadtviertels entsprechen übrigens - von der Moschee abgesehen - den Stadtquartieren der traditionellen arabischen Städten, d.h. hier wird eine Tradition aus Zeit vor der Reconquista fortgeschrieben. Das Privileg wurde übrigens durch den Annalisten (den Stadtschreiber) in genua ausgiebig und kritisch kommentiert (Bd. III, 183-185); die Annali hatten also neben der historiographischen durchaus eine kmmunikative Funktion. Insgesamt wird eine Verschlechterung festgestellt:

“i genovesi pretendevano di avere le stesse immunità date loro in precedenza dai saraceni (sic), mentre il sovrano voleva equipararli agli altri mercanti del suo regno. Soprattutto «consulatum liberum non concedebat»” (Fossati Raiteri 2001, 289).

Aber in einem zusätzlichen Privileg vom 26.4. 1262 wird verfügt, dass Häuser im genuesischen barrio nur an Genuesen verkauft werden dürfen:  vielleicht darf man daher eine “una piccola comunità autoctona?” vermuten (Fossati Raiteri 2001, 289). Die Kompetenz des console blieb auf Zivilrecht beschränkt: “nessun giudizio di sangue” (Fossati Raiteri 2001, 291) wurde ihm zugestanden; er war ferner nicht für Sevillaner zuständig: “entre los genoveses que vinieren de fuera que no fueren vecinos de Sevilla”.

Hier die Regelung der zivilrechtlichen Kompetenzen des genuesischen Viertels im Überblck:   

  Zuständigkeit
Kontrahenden span. fuero, alcalde genues. console
Genuesen gg. Sevillaner +  
Sevillaner gg. Genuesen, die Bürger (vecinos) von Sevilla +  
Sevillaner gg. Genuesen, die nicht Bürger (nicht vecinos) von Sevilla   +
Genuesen (vecinos) gg. Genuesen (vecinos) +  
Genuesen (vecinos) gg. Genuesen (nicht vecinos) + oder +
Genuesen (nicht vecinos) gg. Genuesen (nicht vecinos)   +

Schon in einem deutlich früheren Privileg aus Avila (25.8.1346) werden die Genuesen von Sevilla ausdrücklich als nación bezeichnet ([El libro…fol. 10.v] in Fossati Raiteri 2001, 293), aber:

“un documento [El libro… fol. 11v.] emanato sempre da Avila il giorno seguente ribadisce esenzioni fiscali ai genovesi come ricompensa per l’intervento «de las gentes del Común de Genova» nella presa di Algesiras. È curiosa la distinzione fatta in due documenti contemporanei: in quello che interessa la comunità di Siviglia si parla di nazione, in quello che promette esenzioni fiscali per tutti i mercanti genovesi si fa riferimento a gente del comune, ma non si parla di nazione genovese, perché non esiste. In sostanza sembra che la nazione genovese a Siviglia tratti in modo autonomo con le autorità locali, distinta dalla Genova ufficiale, dal Comune come recitano alcuni documenti. Quindi si tratta di una comunità mercantile, una nazione con propri consoli, con i vantaggi che ho elencato, ma sempre sotto la signoria del re di Castiglia e León. Lo stato di provenienza dei mercanti non è citato come nazione, ma ‘común’ e signoria di Genova. (È noto d’altra parte che a Genova non fu mai sentito lo spirito di nazione).” (Fossati Reiteri 2001, 294)

Mit anderen Worten:

“le forze economiche, solo parzialmente coincidenti con il ceto di governo, si coagulano in organismi diversi da quelli statali, riescono a fare di alberghi, compere, maone, consolati delle ‘nationes’ genovesi all``estero, veri centri di potere che condizionano le istituzioni.” (Petti Balbi zit. in Fossati Reiteri 2001, 291)

Bei den im  Zitat erwähnten maone handelt es sich um ein ganz spezifisch genuesische Form der Handelsgesellschaft, in der Privatwirtschaft und Staat eng mit einander verflochten sind:

"maóna2 (o magóna) s. f. [dall’arabo maūna «aiuto, appoggio»; cfr. magona]. – Storicamente, nome di associazioni aventi carattere finanziario sotto la garanzia dello stato ma con amministrazione autonoma (in cui alcuni economisti riconoscono una forma primitiva di società anonima), mediante le quali i comuni italiani e soprattutto la Repubblica di Genova dettero vita a grandi imprese marinare e commerciali che altrimenti avrebbero superato di molto le possibilità di investimento dei governi e dei privati; tipiche, per es., quelle costituite dai Genovesi per la spedizione di Ceuta (1235) e per la conquista di Chio (1347)." (Quelle)

Wie es scheint, ist aus dieser Unternehmensform die moderne  Aktiengesellschaft hervorgegangen.

Abschließend ist festzuhalten, dass der prägende Einfluss der französischen Revolution natürlich nicht in Frage gestellt werden kann; er ist allerdings im Blick auf die Geschichte von ita. nazion und comune im Kontext der Seerepubliken vielleicht ein wenig zu relativieren, denn das sevillanische Beispiel zeigt, dass mit nazione durchaus nicht nur auf eine Herkunftsgemeinschaft, sondern explizit auf eine Rechtsgemeinschaft und insofern auf eine staatsrechtlich relevante Gruppe referiert wird.

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