1. Die Integration des diadischen Zeichenmodells in das triadische und die Modellierung des sprachlichen Zeichens
Die zweipolige Modellierung des Zeichens einerseits und die dreipolige andererseits schließen einander keineswegs aus, sondern sie lassen sich durchaus integrieren, wie Wolfgang Raible 1983 und im Anschluss Andreas Blank 2001 gezeigt haben. Es ist einerseits, im Sinne von Peirce bzw. schon von Augustinus, unbedingt erforderlich, die Welt außerhalb des Zeichencodes zu berücksichtigen: Zeichen sind ja kein Selbstzweck, sondern Hilfsmittel im Umgang mit den Herausforderungen der Lebens- und Umwelt; sie kategorisieren Erlebnisse, Dinge, Vorgänge, Verhaltensweisen usw., so dass man sich über sie verständigen kann. Andererseits erscheint es auch nicht angemessen, die Existenz spezifisch einzelsprachlicher oder kultureller Bedeutungen auszublenden, da sie unsere Einstellungen und Verhaltensweisen zu den Dingen der Welt stark beeinflussen können. Es ergibt sich ein entsprechend komplexes, an der Sprache ausgerichtetes Modell:
Auch dieses sprachorientierte Zeichenmodell ließe sich jedoch leicht auf andere Codes wie z.B. auf Religionen übertragen und am Beispiel ihrer nicht selten komplizierten Bekleidungs- oder Speisevorschriften konkretisieren:
2. Eigenschaften des sprachlichen Zeichens
Trotz aller funktionalen und kognitiven Vergleichbarkeit unterscheiden sich sprachliche Zeichen mindestens in zweifacher Hinsicht ganz grundsätzlich von nicht-sprachlichen.
2.1. Sprachliche Zeichen sind linear gegliedert.
Das folgende Verkehrszeichen kombiniert Formen, (ein gleichseitiges Achteck), Farben (rot, weiß) und Buchstaben.
Es ist nun offenkundig, dass die genannten Komponenten kognitiv auf unterschiedliche Art verarbeitet werden: Denn es wäre abwegig, die Wahrnehmung der nicht-sprachlichen Komponenten in zwei Schritte zu zerlegen, als ob man erst die Form, dann die Farbe, oder beides in umgekehrter Reihenfolge aufnehmen würde. Die Buchstaben führen dagegen nur in dieser Anordnung von links nach rechts zum beabsichtigten Interpretanten: 'Halt! Vorfahrt gewähren'. Änderte man die Ordnung ergäbe sich ein falscher Interpretant, wie deu. POST, oder eine sinnlose Kombination, wie deu. TOSP.
2.2. Die Gliederung sprachlicher Zeichen erfolgt auf zwei semiotisch komplementären Ebenen.
Genauer gesagt erfolgt die lineare Gliederung auf zwei komplementären Ebenen. Auf einer ersten Ebene stellt jede Sprache Zeichen im Sinne von Saussure zur Verfügung, die allesamt jeweils einen Audruck (fra. signifiant), z.B. deu. Stop, mit einem Inhalt (fra. signifié), 'Halt!', verbinden. Ein kleinstmögliches, d.h. nicht weiter zerlegbares, bedeutungstragendes Zeichen wird Morphem genannt; die Semantik befasst sich mit ihren Inhalten, die Morphologie mit ihrer Verbindung zu komplexeren Wörtern sowie deren grammatischen Kategorien und die Syntax widmet sich dem Aufbau längerer Äußerungen, insbesondere von Sätzen.
Allerdings sind die Einheiten, aus denen ein Morphem gebildet werden kann, stark beschränkt; denn jede Sprache nutzt nur eine sehr kleine Auswahl aus allen möglichen Lauten, die ein Mensch bilden kann (je nach Sprache ca. 20-30), und lässt überdies längst nicht alle möglichen Kombinationen zwischen diesen Lauten zu. Sie werden als Phoneme bezeichnet und fungieren auf der Ebene der Ausdrucksseite als kleinstmögliche bedeutungsunterscheidende Einheiten bezeichnet nur ca. . Dieses Prinzip der zweifachen Gliederung wurde erstmals in (Martinet 1949) formuliert (vgl. die Darstellung von Christian Lehmann); ihm liegt die alte Einsicht zu Grunde, das die Natur in der Lage sei, von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch zu machen (vgl. ).
2.3. Sprachliche Zeichen können als solche zum Referenten anderer sprachlicher Zeichen werden.
Man kann über Sprache sprechen, wobei die Sprache, über die gesprochen wird als Objektsprache und die Sprache, mit der man sich über die Objektsprache verständigt als Metasprache bezeichnet wird; das ist mit der größten Selbstverständlichkeit sogar möglich, ohne die jeweilige Sprach (den Code) zu wechseln. Dagegen ist es ganz und gar unmöglich in einem Code wie den Verkehrzeichen Zeichen zu konzipieren, mit denen man Informationen über andere Verkehrzeichen kommunizieren könnte.
3. Das Zeichen in der intersubjektiven Kommunikation
Eine andere, ebenfalls bis heute gültige Präzisierung des Zeichenbegriffs geht auf den wichtigen Psychologen und Sprachtheoretiker Karl Bühler zurück. Er hat daraufhin gewiesen, dass im Bereich des Nicht-Sprachlichen nicht nur der Bezug zum Konzept und zum Referenten sondern der auch zum 'Sender', d.h. dem Sprecher, und zum 'Empfänger', d.h. zum Hörer semiotisch relevant sind. Bühler modelliert das (sprachliche) Zeichen also zunächst in einer pragmatischen Perspektive. Seine Darstellung gehört nach wie vor zum sprachwissenschaftlichen Grundwissen:
"Der Kreis in der Mitte symbolisiert das konkrete Schallphänomen. Drei variable Momente an ihm sind berufen, es dreimal verschieden zum Rang eines Zeichens zu erheben. Die Seiten des eingezeichneten Dreiecks symbolisieren diese drei Momente. Das Dreieck umschließt in einer Hinsicht weniger als der Kreis (Prinzip der abstraktiven Relevanz). In anderer Richtung wieder greift es über den Kreis hinaus, um anzudeuten, dass das sinnlich Gegebene stets eine apperzeptive Ergänzung erfährt. Die Linienscharen symbolisieren die semantischen Funktionen des (komplexen) Sprachzeichens. Es ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen." (Bühler 21965, 28)
Die Kontextualisierung des Zeichens in der Kommunikation eröffnet bei Bühler also gleichzeitig eine kognitive Dimension, insofern der Verarbeitung des Repräsentamens eine zentrale Funktion zukommt. In dieser Hinsicht ist Bühlers Modell auch über die Sprache hinaus von allgemein semiotischer Bedeutung, denn es formuliert den theoretischen Unterschied und die potentielle perzeptive Diskrepanz zwischen konkreten gebrauchten Zeichen (mit den Varianten 'Kreis' und 'Dreieck') und seinem abstrakten Idealtyp ('Z'): Der Empfänger ist in der Lage, den Idealtyp auch dann wieder zu erkennen, wenn er ihn in einer defizitären oder überschüssigen bzw. redundanten Realisierung wahrnimmt. Dafür zwei Beispiele aus der Schrift:
Die Integration der Perzeption, d.h. der kognitiven Verarbeitung des perzeptiven Stimulus in die Zeichentheorie markiert einen großen Erkenntnisfortschritt. Allerdings wird nur die Wahrnehmung der Zeichenform und ihrer konkreten Realisierung berücksichtigt. Wenn man jedoch das Zeichen in seinem kommunikativen Gebrauch analysiert, wie Bühler es unternimmt, muss der Perzeption eine noch weitaus allgemeinere Rolle zugeschrieben werden, denn in der Face-to-face-Kommunikation, die den Urtyp der Kommunikation bildet, nehmen die beteiligten Personen ('Sender' und 'Empfänger') nicht nur das realisierte Zeichen wahr, sondern die ganze Sprechsituation bildet einen gemeinsamen 'multimodalen' Wahrnehmungshintergrund, zu dem alle Sinnesleistungen beitragen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass sich die Kommunikationspartner gegenseitig wahrnehmen und nicht selten auch den Referenten, wenn er präsent ist. Dazu das folgende Schema:
Diese allumfassende Einbettung des Zeichengebrauchs in ein vielfältiges Geflecht von Perzeptionsleistungen ist für viele semantische Relationen und Prozesse grundlegend, wie sich in der Analyse zahlreicher Beispiele zeigen wird.
4. Ein sprecherorientiertes Modell des sprachlichen Zeichens - und die Aufgaben der Semantik
Vor dem skizzierten Hintergrund erscheint es angebracht, dem bereits recht komplexen sprachorientierten Modell des Zeichens (s.o.) eine sprecherorientierte Konzeption an die Seite zu stellen. Sie erfordert eine weitere Opposition, um den Bereich der kognitiven Verarbeitung der perzeptiven Stimuli und ihrer Verknüpfungen mit Wissensbeständen abzugrenzen. Dieser Bereiche wird im folgenden Modell als 'innen' (= im Bewusstsein des Sprechers) markiert. Die damit implizierten neuronalen Prozesse sind jedoch konkreter Natur und werden der medizinisch-neurologischen Forschung auch langsam klar (vgl. Gegenfurtner 2003). Durch bildgebende Verfahren lassen sich ja Regionen im Gehirn identifizieren, in denen sensorische Reize (Stimuli der Wahrnehmung) verarbeitet und versprachlicht werden usw. Die Details sind weithin noch unbekannt, wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich die Zuordnung von Wahrnehmungsleistungen und sprachlichen Zeichen nicht ausschließlich als 'abstrakt' einschätzen lässt. Die folgende Abbildungen ist in diesem Sinn sprecher- (und hörer-), d.h. zeichenbenutzerorientiert.
Das Aufgabengebiet der Semantik lässt sich nun ausgehend von diesem Schema mit einigen Fragen umreißen, die aus zwei Richtungen gestellt werden können:
(1) Die semasiologische Forschungsrichtung geht von der Form zum Inhalt und vom Inhalt zu den Konzepten (von 'innen' nach 'außen'):
- Welche Inhalte sind mit einer sprachlichen Form verbunden? Formen sind ja in der Regel 'polysem', d.h. sie haben mehr als nur eine Bedeutung.
- In welcher Beziehung stehen die unterschiedlichen Inhalte einer Form untereinander?
- Beeinflusst die Existenz einzelsprachlicher Zeichen die Wahrnehmung der Referenten und/oder ihre Kategorisierung und Konzeptualisierung?
- Gibt es für identische Inhalte unterschiedliche Formen (Synonymie)?
(2) Die onomasiologische Forschungsrichtung geht von den Konzepten zum Inhalt und zur Form (von 'außen' nach 'innen'):
- Welche Konzepte werden mit einzelsprachlichen (z.B. italienischen) Wörtern bezeichnet und sind daher mit einzelsprachlichen Inhalten verknüpft?
- Spiegelt sich die Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft von Konzepten in der Existenz von einzelsprachlichen Zeichen (und ihrer Veränderung) wider?
- Schlagen sich die Prozesse der neurologischen Verarbeitung von Wahrnehmungsdaten im Inhalt der einzelsprachlichen Zeichen nieder?
Ich hätte eine Frage zu den beiden kombinierten Zeichenmodellen.
Bei Blank besteht eine direkte Verbindung zwischen Inhalt und Konzept (beide können ja zusammen als Interpretant gesehen werden).
Im erweiterten Modell (Krefeld/Pustka) besteht diese Verbindung von Inhalt und Konzept nicht mehr, nur noch eine indirekte, die über den Referenten realisiert werden kann.
Leider verstehe ich diese Änderung des Modells noch nicht ganz, evtl. könnten Sie das nochmal erklären?
Ja, Sie haben recht, die Linie hätte man vllt hinzufügen können; sie erübrigt sich aber strenggenommen, denn KONZEPT taucht in K/P 2 mal auf: ‚außen‘ und eben auch ‚innen‘, d.h. im Wissen des Sprechers, also dort in enger Verknüpfung mit ‚Inhalt‘